STIMMENSPLITTING

Überhangmandate sind wie Primzahlen

Das Stimmensplitting ist die Hauptursache für die leidigen Überhangmandate. Es gibt aber keinen proportionalen Gleichschritt, der sie miteinander verbindet. Das hängt damit zusammen, dass in den 299 Wahlkreisen mit einfacher Mehrheit abgestimmt wird, die Listenwahl aber in den Wahlgebieten der 16 Bundesländer erfolgt. Außerdem muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Wähler der Großen Parteien mit großen Vorsprung dazu neigen, die Zweitstimme zu verleihen, um damit einen möglichen Koalitionspartner zu unterstützen, während die Wähler der kleinen Parteien es vorziehen, die für aus­sichtslos gehaltene Erststimme einem aussichtsreicheren Kandidaten der großen Parteien zukommen lassen. Man nennt das allgemein „Stimmensplitting“, obwohl die Wortschöpfung, die entfernt an das Steuerrecht erinnert, kein Rechtsbegriff ist und mehr Verwirrung stiftet als Klarheit schafft.

„Stimmensplitting“ in den Bundestagswahlen: 2009, 2013, 2017

2009 2013 2017

Erststimmen-Überschuss, d.h. Zweitstimmen-Transfer

CDU 2.028.397 1.311.848 1.581.972
CSU    360.762    300.398 385.860
SPD 2.089.770 1.588.650 1.888.246
Summe 1 4.478.229 3.206.876 3.856.078

Rechenweg: Erststimmen minus Zweitstimmen = Zweitstimmen-Transfer (sog. „Leihstimmen“).

Zweitstimmen-Überschuss, d.h. Erststimmen-Transfer

Linke 364.809    168.527 333.727
Grüne 666.147    513.045 440.128
FDP *) 2.239.584 (1.053.983) 748.433
AfD **) 0 (1.246.090) 560.999
Summe 2 3.270.540 2.981.645 2.083.287

Rechenweg: Zweitstimmen minus Erststimmen = Erststimmen-Transfer. Quelle: Bundeswahlleiter und eigene Berechnungen. *) FDP: 213 nicht im Bundestag; **) AfD: 2009 und 2013 nicht im Bundestag. Ohne Berücksichtigung der Sonstigen Parteien, die an der Sperrklausel gescheitert sind.

Das Splitting hat bei den Zweitstimmen zu- und bei den Erststimmen abgenommen

Bei allen drei Großparteien ist 2017 der Zweitstimmen-Transfer – also die sog. „Leihstimmen“ ge­genüber 2013 gestiegen, und übertraf bei der CSU sogar das Niveau von 2009. Es gab 2017 gegen­über 2013 bei den Wählern der großen Parteien wieder mehr Bereitschaft, nur den Wahlkreis­kandidaten zu wählen, die Zweitstimmen aber an eine kleine Partei zu „verleihen“, um damit einen möglichen Koalitionspartner zu fördern, vor allem bei den Wählern der CSU.

Bei den vier kleinen Parteien ist 2017 der Erststimmen-Transfer gegenüber 2013 deutlich gefallen, ausgenommen bei der Linke. Bei der FDP und der AfD ist der rückläufige Erststimmen-Transfer besonders hoch. Es gab bei den Wählern der kleinen Parteien weniger Bereitschaft, die für aussichtslos gehaltene Erststimmen an einen aussichtsreicheren Kandidaten der Großparteien zu vergeben und nur mit der Zweitstimme die Partei zu wählen, die man in das Parlament bringen will.

Die Summe 1 ist 2017 gegenüber 2013 um 650.000 Zweitstimmen angestiegen (Zweitstimmen-Transfer insgesamt). Die Summe 2 ist 2017 gegenüber 2013 um 900.000 Erstimmen gefallen (Erststimmen-Transfer insgesamt). Das Stimmensplitting hat 2017 gegenüber 2013 bei den Zweitstimmen zugenommen, bei den Erststimmen aber abgenommen.

 Einmal mehr bewahrheitet sich die Erkenntnis: Überhangmandate sind wie Primzahlen. Es lassen sich keine Gesetzmäßigkeiten erkennen.

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