Buchbesprechungen: DVBl

Manfred C. Hettlage, Wie wählen wir 2013? 2/2012, 186 S, kt, Euro 24,90. Verlag Dr. Hopf, Berlin, ISBN 978-3-643-11585-0; Deutsches Verwaltungsblatt – DVBl 2012, S. 1559.

In der Sammlung von Aufsätzen des Münchner Publizisten Hettlage geht es nicht um die (angesichts von Zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag zu EU-Schuldenhaftungs-Paketen Ende Juni 2012) für den einen oder anderen möglicherweise immer schwerer zu entscheidende Frage, wen man 2013 wählen sollte. Hettlage untersucht vielmehr in kenntnisreicher Weise das System der „personalisierten“ Verhältniswahl in Deutschland und vergleicht es mit der englischen Mehrheitswahl, von der Disraeli sagte: „Dieses Land bildet keine Koalitionen“ (S. 38). Als Urgrund für die Verfälschung der Wählerentscheidung durch die Regelung im Bundeswahlgesetz macht Hettlage das Wahlrechtsprinzip „one man one vote“ aus (Stimmensplitting S. 11 ff.) Er schildert eingehend und detailliert die daraus folgenden Unwuchten und Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit den Üeberhang- (S. 25 ff.) und Ausgleichsmandaten (S. 115 ff.).

Der Autor legt im Einzelnen dar, warum er die (auch noch verspätete) Reaktion des Bundesgesetzgebers auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „negativen“ Stimmengewicht (BVerfGE 121, 266) für unzulänglich hält (S. 59 f.). Er plädiert nicht nur für die Abschaffung des Stimmensplittings und der Üeberhangmandate, für die Einführung der Parteien- oder Personalwahl. Hierzu müssten sich Union und SPD vermutlich zu eine Großen Koalition zusammenschließen (S. 60 f.). Ferner widmet er sich dem Problem der parteiinternen Aufstellungsverfahren (S. 139 ff.) und dem Umstand, dass Wahlkreise, die einen Direktkandidaten entsandt hatten, möglicherweise  nicht  mehr  im  Parlament  vertreten  sind,  wenn dieser Abgeordnete sein  Mandat  aufgibt (S. 185 ff.).

Hettlage reiht sich ein in die stattliche Reihe der Grundsatzkritiker unseres Wahlsystems. Der Autor war lange für die Politik (CSU) tätig und weiß daher wie sehr die personalstarken „Apparate“ der Parteien auf ihre „Pfründen“ achten, wobei sie in der deutschen Parteiendemokratie als de-facto-Gesetzgeber in eigener Sache amtieren (dürfen). Insofern ist das Wahlrecht nicht nur eine eigenartige Mischung aus reiner Mehrheits- und reiner Verhältniswahl, sondern auch eine Art ständiger Machtkompromiss zwischen den „großen“ und den „kleinen“ (im Bundestag vertretenen) Parteien.

Dem Autor gelingt es, das überkomplizierte und (ähnlich wie das Steuerrecht) in zahlreichen Selbstwidersprüchen erstickende deutsche Verhältniswahlrecht darzustellen und seine Mängel aufzudecken. Er schreibt kraftvoll und klar, wobei er sich an gebildete Leserinnen und Leser wendet und durchaus Detailkenntnisse des Wahlrechts voraussetzt. Das Buch kann nicht nur Juristen, sondern allen am Staatsleben interessierten Bürgerinnen und Bürgern sehr empfohlen werden. Ob die Vorschläge von Hettlage zur Änderung des Wahlrechts  seitens Union und SPD angenommen werden, erscheint natürlich offen.

Nordrhein-Westfalen z.B. hat sein jahrzehntelanges Einstimmenwahlrecht in der 14. Wahlperiode 2007 aufgegeben (näher Thesling, in: Heusch/Schönenbroicher (Hrsg.). Die Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, 2010, Art. 31, Rdnr. 4) im Verbund mit einer besonders verfehlten Berechnungsweise der Ausgleichs- und Überhangmandate ergab dies nach der Wahl am 13.5.2012 dann 237 Abge-ordnete, obwohl der Wahlgesetzgeber eigentlich nur 180 bis 190 Abgeordnete ansteuert und es  – auch angesichts der Finanzlage de Landes – damit eigentlich sein Bewenden haben müsste.

Dr. jur. Klaus Schönenbroicher, Troisdorf

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