ERFOLGSWERTGLEICHHEIT DER STIMMEN

Ausgleich ohne Überhang?

Es ist schwer zu verstehen, und die gewöhnlich anzutreffenden Wähler verstehen es ja auch nicht. Bei der Bundestagswahl 2013 entstanden vier sog. „Überhänge“, jeweils eines in Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und im Saarland. Alle vier bei der CDU des Landes. Die vier Überhnge wurden erstmals auch im Bund ausgeglichen, aber nicht durch vier, sondern durch 29 Ausgleichsmandate. Thüringen, Brandenburg und Sachsen erhielten jedoch kein Ausgleichsmandat, obwohl es dort jeweils einen Überhang gab. Niedersachsen kam dagegen auf sieben und NRW sogar auf zehn nachgeschobene Zusatzmandate, obwohl in diesen Ländern keine Überhänge entstanden sind.

Nun gibt es bundesweit 299 Wahlkreise, in denen 299 Abgeordnete direkt gewählt worden sind – keiner mehr und keiner weniger. Es gibt also keine überzähligen Wahlkreise, aus denen Mitglieder des Bundestages hervorgegangen wären, denen ihr Mandat in Wahrheit gar nicht zusteht und deshalb „auszugleichen“ ist. Lässt man beiseite, dass es für den Ausgleich offensichtlich keinen Rechtsgrund gibt, wird den verblüfften Wählern als Erklärung aufgetischt, dass aus Gründen einer höheren Gerechtigkeit ein Ausgleich auch dann geboten sei, wenn es keinen Überhang gegeben hat. Ein Großteil der Ausgleichsmandate sei nämlich gar nicht wegen der Überhänge erforderlich, „sondern weil ein Vorteil der CSU ausgeglichen werden müsse“. Das behauptet jedenfalls der Politologe Joachim Behnke. Zur weiteren Begründung führt er aus: In Bayern gingen immer relativ viele Zweitstimmen an kleine Parteien, die in anderen Ländern kaum eine oder gar keine Rolle spielen (Freie Wähler, ÖDP, Bayernpartei), die aber wegen der Sperrklausel im Bundestag nicht vertreten seien. Deren Stimmen zählten deshalb nicht. Dadurch entstünde eine „Überrepräsentation der CSU“ und diese müsse kompensiert werden.

Hier irrt Herr Behnke, und zwar gewaltig

Jetzt ist es endlich klar. Behnke hat den Fall mit dem „Aktenzeichen XY“ gelöst: „Die CSU ist schuld.“ An den bayerischen Stammtischen nimmt man den Tatvorwurf jedoch gelassen auf und hält das für einen ziemlichen „Schmarrn“. In der Tat irrt hier Joachim Benke, und zwar gewaltig. Gewählt wird nicht mit Bundes- sondern mit Landeslisten. Die Zusammenfassung zu Bundeslisten, die nach altem Recht noch möglich war, wurde abgeschafft, der § 7 BWahlG a.F. ersatzlos gestrichen. Wir wählen also – ähnlich wie in den USA – nach einem föderativen Wahlsystem mit entsprechenden Landeskontingenten.

Ob in einem anderen Bundesland mehr Stimmen pro Mandat nötig waren, um den Sieg zu erlangen, spielt daher keine Rolle und ändert das Landeskontingent nicht. Wer auch immer im Land den Sieg davonträgt, sein Land schickt immer den gleichen, auf das Wahlgebiet entfallenden Anteil an Abgeordenten in das Parlament. Überhang – und vor allem Ausgleichsmandate – sind daher ein Unding, denn sie sprengen den föderativen Landesproporz. Und würde man sich an die Ländequoten halten, wäre der ganze Spuk mit den Überhängen und dem sich anschließenden Ausgleich sofort am Ende!

Außerdem wird eine Wahl nicht dadurch entschieden, wie viele Wähler woanders zur Wahl gegangen oder an der Sperrklausel gescheitet sind und wie viele Stimmen für den gewünschten Wahlerfolg dort notwendig waren. Eine Wahl wird dadurch entschieden, welche Partei – in ihrem eigenen Wahlgebiet – am besten abgeschnitten hat. Und das ist in Bayern die CSU. Davon unabhängig schickt der Freistaat Bayern sowieso nicht mehr und auch nicht weniger Abgeordnete in das Berliner Parlament. Denn in Bayern ist 2013 gar kein Überhang entstanden.

Natürlich kann man nachrechnen, ob in Bayern weniger Stimmen pro Mandat notwendig waren als z.B. in Bremen, Brandenburg, Berlin oder Baden-Württemberg und der Listenplatz dort vielleicht „teurer erkauft“ werden musste. Doch falls das tatsächlich so sein sollte, und das Mandat in Bayern „billiger“ zu haben war, spielt das keine Rolle, denn dort, wo das Mandat angeblich „teurer“ war, gab es ja auch mehr Wähler. – Wo liegt also das Problem?

Dieser Beitrag wurde unter Wahlrecht veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.