Lammert: Ausgleichsmandate deckeln

Auf ein Wort Herr Präsident

Im Juli 2016 machten Schlagzeilen die Runde, Bundestagspräsident Norbert Lammert, MdB, wolle eine Obergrenze für die Zahl der Abgeordneten im Deutschen Bundestag einführen, genauer gesagt, die Ausgleichsmandate deckeln. 630 Mitglieder des Bundestags seien genug. Die meisten Fraktionen stimmten dem mit „Krokodilstränen“ zu, wollten aber nicht aktiv werden und keine entsprechende Gesetzesänderung beantragen. Andere Fraktionen lehnten den Vorschlag mit der bizarren Begründung ab, ein solches Vorhaben würde die großen Par­teien begünstigen. Wie auch immer, landete der Vorschlag sehr schnell in der Versenkung. Und inzwischen redet niemand mehr darüber.

Nimmt man die Ideen von Lammert mit wissenschaftlicher Akribie unter die Lupe, dann zeigt sich rasch wie untauglich sie sind. Denn es ist ja nicht zu übersehen, dass es 2013 vier sog. „Überhänge“ gegeben hat. Alle bei Landesverbänden der CDU, und zwar je eines in Thürin­gen, in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg und im Saarland. Völlig überrascht war die Öffent­lichkeit von der amtlichen Mitteilung des Wahlleiters, dass die vier Überhänge nicht durch vier, sondern durch 29 Ausgleichsmandate „egalisiert“ worden seien. Der Ausgleich über­steigt den Überhang also um mehr als das Siebenfache. Es sind daher nicht 598 reguläre Ab­geordnete, plus vier mit „Überhangmandat“, plus vier mit Ausgleichsmandat in das Parlament eingezogen. Es gibt vielmehr 631 Volksvertreter, die im Deutschen Bundestag Sitz und Stim­me haben.

Warum denn in der Ferne schweifen …

Daher liegt die Frage auf der Hand: „Warum denn in der Ferne schweifen …“.  Wären die vier „Überhänge“ durch 4 Ausgleichsmandate kompensiert worden, wie das im Grundsatz schon bei den meisten Landtagswahlen so gehandhabt wird, hätte Lam­mert seinen Reformvorschlag gar nicht aus der Schublade ziehen müssen. Dann säßen im Berliner Parlament nicht 631, sondern nur 606 Abgeordnete. Der Bundestag wäre also viel kleiner als sich Lammert das gewünscht hat, und würde auch der gesetzlichen Sollzahl von 598 Mitglie­dern sehr viel näher kommen, die ja der Fünf-Prozent-Sperrklausel zugrundegelegt wird.  Und nebenbei gesagt: Würde man die 29 nachgeschobenen Ausgleichsmandate auf alle Parteien gerecht verteilen, die zur Wahl standen, wäre die FDP, der ja nur zwei Mandate gefehlt haben, vielleicht doch noch in das Parlament eingezogen.

Doch es kommt noch etwas hinzu: Vor einem knappen Jahr ist Katherina Reiche (CDU) aus dem Bundestag ausgeschieden. Das genaue Datum war der 4. September 2015. Der Amts­verzicht ist formpflichtig (Schriftform) und gegenüber dem Bundestagspräsidenten zu er­klären. Wird die Verzichtsurkunde bei einem Notar errichtet, ist der Bundestagspräsident davon zu unterrichten. Der Mandatsverzicht von Katherina Reiche hat aber eine Besonderheit. Sie ist in dem Wahlkreis Nr. 061 (Potsdam / Potsdam-Mittelmark II /Teltow-Fläming) ge­wählt worden. Und dieser Wahlkreis liegt in Brandenburg.

Nach herrschender Praxis wird der vakante Sitz eines direkt gewählten Abgeordneten aber nicht durch Nachwahl neu besetzt, wie das überall auf der Welt geschieht, sondern durch einen Nachrücker aus der Landesliste, der noch nicht zum Zuge gekommen ist. Es wird also ein Direktmandat durch einen Listenplatz ausgetauscht. Aber soweit kam es gar nicht. Denn auf der „Reservebank“ gab es niemand mehr, der hätte nachrücken können. Die Liste der Lan­des-CDU in Brandenburg war erschöpft. Und in einem solchen Fall bleibt der Platz im Bun­destag unbesetzt. (Vgl. § 48 Abs 1 Satz 4 BWahlG)

Sieben Abgeordnete müssen den Bundestag verlassen

Weil es für Katerina Reiche keinen Listennachfolger gab, bleibt der Wahlkreis vakant. Der Deutsche Bundestag ist also geschrumpft. Statt 631 gibt es seit dem 4.9.2015 nur mehr 630 Abgeordnete. Doch hat die Sache einen Haken. Wahlkreis Nr. 061 (Potsdam / Potsdam-Mit­telmark II /Teltow-Fläming) liegt – wie schon gesagt – in Brandenburg. Und in Brandenburg ist eines der vier Überhangmandate entstanden. Wenn dort ein Direktmandat wegfällt, dann fällt ein Viertel der insgesamt vier Überhangmandate weg. Und damit ist auch für ein Viertel aller Ausgleichsmandate der Rechtsgrund entfallen. Nach „Adam Riese“ muss deshalb auch die Zahl der Ausgleichsmandate um ein Viertel zurückgeführt werden. Man glaubt es kaum, aber es gibt tastsächlich sieben Abgeordnete, die den Bundestag schon längst hätten verlassen müssen. Doch der Bundestagspräsident denkt nicht daran, den Wahlleiter mit der Ermittlung der sieben Abgeordneten zu beauftragen, und diese dann nach Hause zu schicken.

Auf ein Wort Herr Präsident: Reden Sie, bitte, nicht von einer Deckelung der Ausgleichs­mandate, die 2013 in Ihrem Hause neu eingeführt worden sind und den Überhang um mehr als das Siebenfache übersteigen. Vor allem aber reden Sie, bitte, nicht von einer Deckelung der Ausgleichsmandate, solange sie sich weigern, dem gesunden Menschenverstand folgend wenigstens das geltende Recht umzusetzen und sieben Abgeordnete nach Hause zu schicken, die im Bundestag nichts verloren haben, weil mit dem Ausscheiden von Katerina Reiche der Rechtsgrund für den Ausgleich entfallen ist. – Im Bundestag sitzen deshalb zu viele Abgeordnete, weil Sie es dulden!

 

 

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