„Siegerprämie“ und Demokratiegebot in der EU

 Neugriechische Mehrheitsbeschaffung

Griechenland hat am 25. Januar 2015 vorzeitig ein neues Parlament gewählt. Der neue Ministerpräsident des Landes wurde am Tag nach der Wahl vereidigt. Die ganze Welt staunt über das Tempo der Regierungsbildung. Vollkommen aus dem Blick gerät dabei, dass die Syriza-Partei von Alexis Tsipras nicht ordnungsgemäß gewählt worden ist. Die Partei errang 36,9 Prozent der Stimmen, erlangte damit  aber fast 50 Prozent der Sitze im Parlament. Denn der stärksten Partei erhält nach griechischem Wahlrecht eine „Siegerprämie“ in Höhe von 50 Mandaten. Einfach so, ohne dass die Wähler auch über die 50 Extramandate abgestimmt hätten.

Jedem aufrichtigen Demokraten dreht sich der Magen im Leibe um, wenn ihm diese neugriechischen Methoden der Mehrheitsbeschaffung zu Ohren kommen. Es lässt sich ja nicht übersehen: Her geht es um eine massive Verfälschung der Wahlergebnisse. Mit 36,9 Prozent der Stimmen erreicht Syriza 99 der insgesamt 300 Sitze im Parlament. Soweit so gut. Mit der „Siegerprämie“ von 50 Sitzen, die hinzukommen, schnellt der Besitzstand von Syriza auf 149 Mandate in die Höhe und bleibt nur um 2 Sitze hinter der absoluten Mehrheit zurück.

Auf die Parteien werden 250 Sitze im Verhältnis ihrer Stimmenanteile verteilt. Die verbleibenden 50 Sitze erhält die stärkste Partei, ohne das die Wähler auch über die „Prämie“ in unmittelbarer und freier Wahlhandlung abgestimmt hätten. Wenn die Wähler nicht nur über 250, sondern über alle 300 Mandate im Parlament entschieden hätten, die 50 Extramandate eingeschlossen, hätte sich die „Mehrheitsprämie“ im Verhältnis der Stimmenanteile auf alle Parteien verteilt, und Syriza würde etwas mehr als 100 Sitze erhalten, weil sie etwas mehr als Drittel der Stimmen erzielen konnte und ihr Anteil an den Mandaten durch die Sperrklausel von 3 Prozent noch weiter aufgebessert wird.

 Nicht ordnungsgemäß gewählt

 Im Parlament würde sich eine ganz andere Konstellation ergeben. Es würde entweder zu einer Drei-Parteien-Koalition oder zu einer großen Koalition kommen. Ob es unter einer anderen Regierung überhaupt zu erneuten Verhandlungen mit der Europäischen Union über den von Alexis Tsipras geforderten Schuldenschnitt kommen würde, lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Wie auch immer ist die Koalitionsregierung aus den beiden Parteien Syriza und Anel demokratisch nicht legitimiert. Ihr fehlen 50 Sitze zur Mehrheit im Parlament. Die Regierung unter Alexis Tsipras ist daher gegenüber der Europäischen Union eine Vertreterin ohne Vertretungsmacht.

Als Mitglied der EU ist Griechenland völkerrechtlich dazu verpflichtet, die in Art. 2 des EU-Vertrags niedergelegten „grundlegenden Werte“ einzuhalten. Und zu diesen grundlegenden Werten gehört ausdrücklich auch die Demokratie. „Siegerprämien“ verfälschen das Wahlergebnis. Sie sind mit dem Demokratiegebot des EU-Vertrages unvereinbar. Griechenland wird also nicht von einer nach demokratischen Grundsätzen ordnungsgemäß gewählten Regierung vertreten.

Die Verfahrensregeln und Rechtsfolgen von schwerwiegenden und anhaltenden Verstößen gegen „grundlegende Werte“ sind in Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 des EU-Vertrags niedergelegt: Danach können drei Mitgliedstaaten der EU oder die EU-Kommission vom EU-Parlament Abstimmung darüber zu verlangen, ob eine Verletzung fundamentaler Grundsätze der EU vorliegt. Hinzukommen muss ein einstimmiges Votum des Europäischen Rates, dass erst nach Anhörung des beschuldigten Mitgliedstaates abgegeben werden kann. Sind alle Vorbedingungen erfüllt, kann der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte aus dem EU-Vertrag auszusetzen, die Stimmrechte des Mitgliedstaates im Rat eingeschlossen.

 Verletzung fundamentaler Grundsätze

Kurzum könnte die EU-Kommission vom EU-Parlament Abstimmung darüber verlangen, ob in Griechenland eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung fundamentaler Grundsätze des EU-Vertrags vorliegt. Wenn das EU-Parlament das bejaht und der Rat dem einstimmig folgt, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit Griechenland das Stimmrecht im Rat entziehen und bestimmte andere Rechte aussetzen.

Eine realistische Aussicht, dass die Usurpatoren der Macht in Griechenland in den Grenzen des EU-Vertrags für den anhaltenden Verstoß gegen das europäische Demokratiegebot verantwortlich gemacht werden, gibt es nicht. Dazu sind die Hürden des Vertrags viel zu hoch. – Grundlegende Werte? Fundamentale Grundsätze? Die Statue der Justitia hat die Waage in der Hand, aber es fehlt ihr das Schwert.

 

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