Stimmensplitting und „Leihstimmen“

Genug Luft für eine Koalition mit der FDP?

Der Staub, den die Bundestagswahl vom 22.9.2013 aufgewirbelt hat, ist inzwischen verfol­gen. Der Streit über die „Leihstimmen“ ist damit aber nicht zu Ende. Im Gegenteil! Durch die Statistik des Stimmensplittings wird die Debatte erneut angeheizt.

Neben der Wahlbeteiligung gehören die so genanne „Parteien-Landschaft“ und die Fünf-Prozent-Hürde zu den maßgebenden Einflussfaktoren. Mit den Alternativen (AfD) ist 2013 eine neue Partei hinzu­gekommen, ohne jedoch in den Bundestag einzuziehen. Die FDP ist aus dem Bundestag aus­geschieden. Beide Parteien mit einem ins Gewicht fallenden Stimmenanteil.

Bundestagswahl 2009: Splittingbilanz

Partei Erst-
stimmen
Zweit-stimmen Stimmen-differenz Stimmen-differenz
CDU 13.856.674 11.828.277 2.028.277
CSU  3.191.000  2.830.238   360.762
SPD 12.079.758  9.99.4888 2.089.270
Linke  4.791.124  5.155.933   364.809
Grüne  3.977.125  4.643.272   666.147
FDP  4.076.496  6.316.080 2.239.584

Quelle: Bundeswahlleiter und eigene Berechnungen.

Die Splittingbilanz aus den Differenzen zwischen Erst- und Zweitstimmen drückt einerseits aus, wie viele Wähler den Wahlkreisbewerbern der großen Parteien (CDU, CSU und SPD) ihre Erststimmen gaben, der dazugehörenden Partei aber die Zweitstimmen verweigerten. Sie zeigen andererseits auch auf, wie viele Wähler mit der Zweitstimme für eine der 16 Landeslisten der kleinen Parteien (Linke, Grüne und FDP) gestimmt haben, ohne ihre Wahlkreisbewerber mit der Erststimme zu wählen.

Bundestagswahl 2013: Splittingbilanz

Partei Erst-
stimmen
Zweit-stimmen Stimmen-differenz Stimmen-differenz
CDU 16.225.769 14.913.821 1.311.848
CSU  3.543.733  3.243.335   300.398
SPD 12.835.933 11.247.283 1.588.650
Linke  3.583.050  3.752.577   169.527
Grüne  3.177.269  3.690.314   513.045
FDP  1.028.322  2.082.305 1.053.983

Quelle: Bundeswahlleiter und eigene Berechnungen.

Die Grundaussage lautet: Der ohnehin  hohe Anteil der Wähler, die regelmäßig beide Stimmen der gleichen Partei geben, ist gemessen an 2009 bei der Bundestagswahl von 2013 deutlich gestiegen, das Stimmensplitting also gesunken. Bei der FDP gab es 2013 rund 1,2 Mio Splittingwähler weniger als 2009. Die so genannten „Überhangmandate“ gingen von 24 (in 8 Bundeslänern) auf 4 (in 4 Bundeslänern) zurück. Der FDP fehlten zwei Listenplätze, um die 5-Prozent-Hürde zu überwinden und in voller Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen. Die so genannten „Leihstimmen“ waren jedoch bei der CDU in mehreren der 16 Länder durchaus vorhanden. Die Wahlempfehlung der CDU war aber eine andere.

Kleinere Länder mit wenig Direktmandaten und traditionell hohen Erststimmen-Anteilen hät­te sich für den Zweitstimmen-Transfer besonders geeignet. So hat z.B. die CDU in Thüringen in allen 9 vorhandenen Wahlkreisen gewonnen, aber nur 8 Listenplätze erlangt. Wären es nur 6 gewesen, hätte sich bei der CDU an der Zahl der 9 Direktmandate nichts geändert. Zwar wären mit den Überhangmandaten auch die neu eingeführten Ausgleichsmandate gestiegen. Aber die CDU nimmt in den verbleibenden Bundesländern ohne Überhangmandate als stärkste Partei am Länderausgleich teil, ist also zugleich auch der größte „Ausgleichspro­fiteur“.

Rechtlich gilt eine Wahlempfehlung nach dem Motto: „Gebt uns die Erststimmen, dann bekommt ihr die Zweitstimmen!“ als unproblematisch. Rein theoretisch schließt zwar das Wahlrecht in § 1 Abs. 1 BWahlG das Stimmensplitting aus. Denn dort wird angeordnet, dass die Wahl nach „den Grundsätzen einer der Personenwahl verbundene Verhältniswahl“ durchzuführen ist. („Personalisierte“ Verhältniswahl) Erst- und Zweitstimmen gehören demnach untrennbar zusammen. Trotzdem gilt die gespaltene Abgabe der Stimmen allgemein als zulässig. Wie die beiden Tabellen zeigen, wird von den „Leihstimmen“ unangefochten Gebrauch gemacht. Auch wurde die Zulässig­keitsgrenze von 15 Überhängen 2013 nicht überschritten.
Abgesehen davon wäre es noch leichter gewesen, der FDP drei Direktmandate zukommen zu lassen, so dass die Liberalen über die Grundmandatsklausel in voller Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen wären. Luft für eine Koalition mit der FDP hätte es genug gegeben …

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