Urabstimmung in der Belegschaftsversammlung

Wir sind die Belegschaft, wir bestimmen ob bei uns gestreikt wird oder nicht

Während eines Streiks werden alle Arbeitsverträge in den umkämpften Betrieben geschlossen außer Kraft gesetzt. Das hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts 1955 so entschieden. (Vgl. BAG GS 28.1.1955 BAGE 1, 291). Im Kampf­gebiet werden alle Rechte und Pflichten aus den Arbeits­ver­trägen der gesamten Belegschaft suspendiert. Es muss also nicht zuerst gekündigt werden, bevor gestreikt werden darf. Die Arbeitsverträge können aber nicht gegen den Willen der Belegschaft geschlossen außer Kraft treten. Eine Abstimmung nur unter Gewerk­schafts­mit­­gliedern reicht nicht aus. Es streikt ja nicht die Gewerkschaft, es streikt die Belegschaft. Es gilt also das Prinzip: Wir sind die Belegschaft, wir bestimmen, ob gestreikt wird oder nicht.

Die auf Verlangen der Arbeitgeber abzuhaltende Urabstimmung in der gesamten Belegschaft wurde während der Zeit des New Deals unter Präsident Theodor Roosevelt zuerst in den USA einge­führt. (Vgl. Biedenkopf, Unternehmer und Gewerkschaften im Recht der vereinigten Staaten von Amerika, 1961.) In Großbritannien hat Norman Tebbit, Arbeitsminister unter Margaret Thatcher, das in seine Gewerkschaftsreform übernommen. Dieses Verfahren hat sich also bewährt. Es sichert aber auch die Tarifeinheit in den Betrieben. Denn es zwingt insbesondere die Sparten­gewerkschaften zur Tarif­union, wenn sie die Abstimmung in der gesamten Belegschaft ge­winnen wollen.

Der Streik ist nur als letzter Ausweg zulässig: Prinzip der „ultima ratio“ (Vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, 2002, S. 339)  Hält die Mehrheit in der Belegschaftssammlung ihre Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für aus­kömmlich und erträglich, ist die ultima ratio nicht gegeben, die Arbeitsverträge bleiben daher in Kraft. Min­der­­hei­ten ist der Streik untersagt. Die unerfreulichen Auswirkun­gen, die ein Arbeits­kampf regelmäßig mit sich bringt, muss die Allgemeinheit also nur dann ertragen, wenn der Streik durch Urabstim­mung in der gesamten Belegschaft basis­demo­kra­tisch legitimiert ist. Eine Gewerkschaft, die zu „wilden“ Streiks aufruft, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Dieser Beitrag wurde unter Arbeitsksampfrecht veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.