Dr. Manfred C. Hettlage, Nibelungenstr. 22 80639 München An das Bundesverfassungsgericht Schlossbezirk 3 76131 Karlsruhe vorab per Fax: 0721 / 9101 - 382
In Sachen
Wahleinspruch beim Deutschen Bundestag, AktenZ WP 193/13,
der Beteiligten
1.) Axel Schlicher, An der Neuwiesen 20 a), 67677 Enkenbach-Alsenborn; 2.) Dr. Manfred Hettlage, Nibelungenstr. 22, 80639 München, (Gruppenbeauftragter) 3.) Marena Bowden, Außerhalb Niedersaulheim 4, 55291 Saulheim; 4.) Friedrich Schaffarth, Höhenweg 17, 50129 Bergheim; 5.) Oliver Krauss, Carlo-Mierendorff-Str. 25, 67574 Osthofen; 6.) Thomas Wolf, Hauptstr. 37, 67724 Höringen; 7.) Stefan Schmidt, Hinter den Gärten 37, 66287 Quierschied; 8.) Angela Mayer, Keltenweg 73, 67663 Kaiserslautern; 9.) Christian Kiefer, Potzemergarten 9, 54450 Freudenburg; 10.) Daniela Gmeiner, Meißenerstr. 41 a, 90522 Oberasbach; 11.) Michaela Gmeiner, Meißenerstr. 41 a, 90522 Oberasbach; 12.) Thomas Vogler, Rumfordstr. 17, 80469 München; 13.) Ingo Klein, Ermlandstr. 3, 75181 Pforzheim; 14.) Rolf Lindner, Calandrellistr 15, 12247 Berlin; 15.) Stefanie Bauer, An den Neuwiesen 20, 67677 Enkenbach-Alsenborn; 16.) Kurt Frühauf, Randsiedlung 20, 67677 Enkenbach-Alsenborn; 17.) Günter Appel, Hohlstr, 22, 67724 Gonbach 18.) Rolf Heiss, An der Neuwiesen 20, 67677 Enkenbach-Alsenborn; 19.) Dr. Annelie Grasbon, Am Rain 15, 85767 Hettenshausen; 20.) Dr. Jürgen Frohwein, Dorfstr. 17, 14913 Hohengörsdorf;
und andere.
Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG
Die Beteiligten des Wahleinspruchs, der beim Deutschen Bundestag unter dem Aktenzeichen WP 193/17 anhängig ist, haben mich als Gruppenbevollmächtigten im Sinne des § 2 Abs. 3 WahlPrüfG benannt. Ich habe beim Bundestag am 28.3.2018 vorläufigen Rechtsschutz beantragt und Frist für den zweiten Tag der nächstfolgenden Sitzungswoche nach Ostern gestellt. Das war Dienstag der 17.4. 2018.
Der Eilantrag hatte den nachfolgenden Wortlaut:
Als Unterzeichner und Gruppenbevollmächtigter, beantrage ich, Dr. Manfred C. Hettlage, Beteiligter zu 2.), hiermit
– im Eilverfahren –
dass der Deutsche Bundestag in seinen Plenum unverzüglich die einstweilige Entscheidung trifft wie folgt: Bis zur Abstimmung des Bundestages über den Wahleinspruch WP 193/17 in der Hauptsache nehmen die 65 Abgeordneten, die lediglich ein nachgeschobenes Ausgleichsmandat bekleiden, nicht länger an der parlamentarischen Willensbildung teil und sind von allen Abstimmungen im Plenum und den Ausschüssen, insbesondere im Wahlprüfungs-Ausschuss ausgeschlossen.
Der Deutsche Bundestag hat diesen Eilantrag nicht auf die Tagesordnung gesetzt und auch nicht darüber abgestimmt. Für die Beteiligten des Wahleinspruchs WP 193/17 führe ich daher
B e s c h w e r d e
und beantrage beim Bundesverfassungsgericht mit Hinweis auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dem an den Deutschen Bundestag als Eingangsinstanz gerichteten Eilantrag als Letztinstanz des Eilverfahrens stattzugeben.
Hilfsweise beantrage ich beim Bundesverfassungsgericht, dem Bundestag aufzuerlegen, dass er unverzüglich über den ursprünglich an ihn gerichteten Eilantrag abstimmt und im Falle einer Zurückweisung damit im Eilverfahren den Weg zur Beschwerde an das Verfassungsgericht freigibt.
Zulässigkeit
Ich bin im Hauptsacheverfahren WP 193/17 als Beteiligter zu 2.) und als Gruppenbevollmächtigter antragsberechtigt. Die Beschwerde ist daher zulässig.
Begründung
I.
„Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestages“. So will es das Grundgesetz und hat das in Art. 41 Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegt. Diese Verfassungsnorm garantiert den Staatsbürgern die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Deutschen Bundestages. Das Wahlprüfungsgesetz führt dazu in § 2 WahlPrüfG näher aus: Die Prüfung erfolge auf Einspruch. Den Einspruch könne jeder Wahlberechtigte jede Gruppe vom Wahlberechtigten und auch der Präsident des Bundestages einlegen. Die Beteiligten des Wahleinspruchs WP 193/17 haben das getan. Der Schriftsatz des Wahleinspruchs ist im Internet zugänglich unter: http://www.manfredhettlage.de/wahleinspruch-wp-19317/
Die Beteiligten sind darüber noch hinausgegangen. Um der Sache mehr Gewicht zu geben, haben sie zuerst den Bundestagspräsidenten, Dr. Wolfgang Schäuble, MdB, aufgefordert, von sich aus nach § 2 Abs. 2 WahlprüfG Einspruch gegen die Bundestagswahl einzulegen. (Vgl. Anlage 1) Der Bundestagspräsident hat auf diese an ihn gerichtete Bürgereingabe nicht reagiert.
Rechtzeitig vor der Kanzlerwahl haben die Beteiligten auch den Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, aufgefordert, durch das Verfassungsgericht Klarheit vor allem über die Streitfragen des Wahleinspruchs WP 193/17 schaffen zu lassen, dass im Bundestag 65 Abgeordnete Sitz und Stimme haben, obwohl sie ihr Mandat nicht durch Wahl, sondern durch eine nachgeschobene Zuteilung von Aufstockungsmandaten erhalten haben und eine Kanzlerwahl mit einem solchen Makel eine Staatskrise auslösen muss. (Vgl. Anlage 2) Auch der Bundespräsident hat auf diese an ihn gerichtete Bürgereingabe nicht reagiert.
Schon in der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages v. 24.10.2017 hat der Tagungspräsident, Hermann Otto Solms, MdB, bereits zu erkennen gegeben, das Wahlgesetz könne nicht so bleiben wie es ist. Notfalls müsse man zum alten Wahlrecht vor dem 22.Wahlrechtsänderugnsgesetz zurückkehren, in dem es noch keinen nachgeschobenen Mandatsaufstockung gab, die in der Umgangssprache als Ausgleichsmandate bezeichnet werden.
Wie die Tagespresse berichtete hat der Bundestagspräsident, Wolfgang Schäuble, die Fraktionsführer aller Parteien am 14.12.2017 zu sich gebeten, um mit ihnen über eine Reform des Wahlrechts für den Fall verhandeln, dass eine Koalitionsregierung nicht zustande komme und in diesem Zusammenhang Neuwahlen erforderlich würden. Die Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, MdB, unterstützte den Bundestagspräsident und sprach sich gegenüber der Presse für eine zeitnahe Wahlrechtsreform aus.
Geschehen ist nichts dergleichen. Zur Kanzlerwahl waren 709 Abgeordnete zugelassen, obwohl der Bundestag in normaler Besetzung nur 598 Mitglieder hat. Bundestagspräsident Schäuble stellte keinen Antrag auf Wahlprüfung nach § 2 Abs. 2 WahlprüfG. Bundespräsident Steinmeier ließe die Streitfrage nicht durch das Verfassungsgericht prüfen. Auch brachten die Grünen keinen Antrag auf Änderung des Wahlrechts in den Bundestag ein. Die CDU als Partei des Bundestagspräsidenten, und FDP als Partei des Präsidenten der konstituierenden Sitzung des Bundestages – taten das ebenfalls nicht. Im Koalitionsvertrag wird das Wahlrecht nicht erwähnt. Auch der Regierungserklärung von Kanzlerin, Angela Merkel, lässt sich dazu nichts zu entnehmen.
In dieser Situation sahen sich die Beteiligten des Einspruchsverfahrens WP 193/17 dazu veranlasst, beim Deutschen Bundestag einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. (Anlage 3) Dieser wurde ihnen vom Bundestag verweigert. Wie zuvor der Bundestagspräsident und der Bundespräsident, reagierte auch der Bundestag nicht. Er setzte das Thema nicht auf die Tagesordnung und stimmte über den Eilantrag nicht ab.
II.
Der Bundestag ist in Personalunion sowohl Antragsgegner des Wahleinspruchs und Eingangsinstanz auf dem Rechtsweg. Er wird also durch Beschluss des Plenums zum Richter in eigner Sache. Das verstößt zwar gegen das althergebrachte Prinzip „nemo judex in sua causa“. Da das Grundgesetz die Wahlprüfung zur Sache des Bundstages gemacht hat, und gegen seine Entscheidung Beschwerde zum Verfassungsgericht zulässig ist, findet die Letztentscheidung am Ende doch vor einem unabhängigen Gericht, nämlich dem Verfassungsgericht statt. Die Grundgesetzgeber haben damit einen Rechtsweg „sui generis“ geschaffen.
Auf der Ebene der Eingangsinstanz, d.h. des Bundestages gilt das Wahlprüfungsgesetz. Es kennt keinen einstweiligen Rechtsschutz. Auf der Ebene der Letztinstanz, d.h. des BVerfG ist dagegen das Institut des Eilantrags in § 32 BVerfG niedergelegt worden. Das Wahlprüfungsgesetz hat also eine Lükke. Es kann nicht sein, dass ein so fundamentales Grundrecht, nämlich die Garantie der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Bundestages, in der Eingangsinstanz ohne einstweiligen Rechtsschutz bleibt und dieser erst in der höchstrichterlichen Überprüfung zu Zug kommt. Ein Eilantrag käme dann viel zu spät.
Die Beteiligten des Einspruchsverfahren WP 193/17 haben daher in analoger Anwendung von § 32 BVerfGG den Antrag auf einstweilige Anordnung gegen den Bundestag gerichtet. Der Bundestag hat darauf nicht reagiert. Dagegen führen sie Beschwerde beim BVerfG und weisen in diesem Zusammenhang auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG hin. Es kann den Beteiligten des Einspruchsverfahrens WP 193/17 nicht zugemutet werden, die Entscheidung des Bundestages in der Hauptsache abzuwarten, danach Beschwerde in der Hauptsache beim BVerfG einzulegen und dann erst Eilantrag lt. § 32 BVerfGG an das BVerfG richten zu können.
Der Bundestag hätte sich zumindest für nicht zuständig erklären und die Beteiligten des Eilantrags an das BVerfG verweisen können. Aber auch das hat er nicht getan.
III.
Der Bundestag hat in normaler Besetzung 598 Mitglieder. Tatsächlich sind aber 709 Abgeordnete in das Berliner Parlament eingezogen, 111 mehr als der Bundestag in regulärer Besetzung Sitze hat. Wolfgang Schäuble hat schon vor seiner Wahl nämlich am 3.10.2017 zum Ausdruck gebracht, dass „der Bundestag zu groß geworden ist“. Der Bundestag kann und darf nicht zu groß sein. Ist er zu groß, ist er auf Betreiben des Parlamentspräsidenten – unverzüglich d.h. sofort – auf die gesetzliche Mitgliederzahl zu verkleinern. Ein zu großer Bundestag ist bereits ein besonders wichtiger Grund für seine Verkleinerung. Daran führt zuerst für den Bundestagspräsidenten und dann für den Bundespräsidenten kein Weg vorbei. Sie müssen dem so schnell wie möglich ein Ende setzen.
Es kann nicht sein, dass an der Kanzlerwahl 111 Mitglieder des Bundestages mitwirken, von denen 46 sog. „Überhangmandate“ bekleiden, die allgemein missbilligt werden und die vom BVerfG 25.7.2012, BVerfGE 131, 316 gedeckelt wurden. Insbesondere kann es nicht sein, dass weitere 65 Abgeordnete – ohne unmittelbares Zutun der Wähler in Gestalt einer den Wahlausgleich betreffenden Wahlhandlung – ein nachgeschobenes Ausgleichsmandate erhalten, also gar nicht gewählt worden sind. Schon gar nicht kann es sein, dass der Ausgleich größer ist als der Überhang.
Der Kommentator, Karl-Ludwig Strelen hält (in: Schreiber, BWahlG 9. Aufl. 2013) fest, dass Ausgleichsmandate Zusatzmandate seien (vgl. § 6, Rdnr 29); Abgeordneten würden jedoch grundsätzlich gewählt (vgl. § 1, Rdnr 5); ein Bonus sei ausgeschlossen (vgl. § 1, Rdnr. 17); und es dürfe keine staatliche Instanz zwischen Wähler und Gewählten stehen.
IV.
Der Eilantrag verlangt einen besonders wichtigen Grund. Dieser Grund liegt vor: An der Wahl des Bundestagspräsidenten, der Kanzlerwahl und an der sonstigen parlamentarischen Willensbildung etwa zur Beteiligung an Kriegseinsätzen z.B. in Syrien können unmöglich 65 Abgeordnete mitwirken, die keine gesetzlichen Abgeordneten sind, ohne dass dies wenigstens durch einstweiligen Rechtsbehelf mit sofortiger Wirkung unterbunden werden kann.
V.
Der Deutsche Bundestag hat nicht geltend gemacht, dass der im Einspruchsverfahren WP 193/17 an ihn gerichtete Eilantrag offensichtlich unbegründet ist. Es hat deshalb eine Nachteilsabwägung zu erfolgen. Sie richtet sich auf die Frage, ob es besser ist dem Eilantrag stattzugeben, obwohl das Hauptsacheverfahren erfolglos bleibt; oder umgekehrt dem Eilantrag nicht stattzugeben, obwohl das Hauptsacheverfahren erfolgreich ist.
Gesetzt den Fall der Bundestag würde doch noch in den Bürgerkrieg in Syrien hineingezogen, weil es politisch unvermeidbar wird, aus erneutem Anlass das Verbot der Anwendung von Giftgas mit Waffengewalt durchzusetzen. Ist es von Vorteil, wenn an dieser Entscheidung Abgeordnete zu Recht mitwirken, die nur vermeintlich keine gesetzlichen Abgeordneten sind, oder ist es von Vorteil, wenn sie zu Unrecht an der Entscheidung mitwirken, weil sie in Wahrheit keine gesetzlichen Abgeordneten sind?
Gegenüber dem Bundestag haben die Beteiligten des Wahleinspruchs WP 193/17 in der Begründung ihres Eilantrags geltend gemacht, die Tatsache, dass im Bundestag 65 Mitglieder sitzen, die keine gesetzlichen Abgeordneten sind, sei ein besonders wichtiger Grund. Er schlage auf die Nachteilsabwägung durch. Daran halten die Einspruchsführer auch als Beschwerdeführer grundsätzlich fest. Sie kommen bei der Nachteilsabwägung daher zu dem Ergebnis: Es ist besser, das Stimmrecht der Abgeordneten, die lediglich ein Ausgleichsmandat bekleiden, zu Unrecht ruhen zu lassen als es zu Unrecht nicht ruhen zu lassen. Denn der Bundestag bleibt funktionsfähig, auch wenn die Abgeordneten mit Ausgleichsmandat bis zur Entscheidung in der Hauptsache kein Stimmrecht haben.
VI.
Die Beschwerde lässt sich wie folgt zusammenfassen. Die Entscheidung in der Hauptsache durch das Plenum des Deutschen Bundestages käme viel zu spät. Die Beschwerdeführer konnten in anderer Weise keinen ausreichenden Rechtsschutz erlangen, weder durch den Bundestagspräsidenten noch durch den Bundespräsidenten, die Kraft ihrer hohen Ämter Wege und Mittel hatten, Abhilfe zu schaffen. Sie haben auf die ihnen zugestellten Bürgereingaben nicht reagiert. Es kann ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstehen, wenn im Bundestag 65 Mitglieder sitzen, die keine gesetzlichen Abgeordneten sind: Denn durch die Verweigerung der einstweiligen Anordnung leidet vor allem die Akzeptanz der Demokratie.
Die Beschwerdeführer bitten daher höflich, ihrer Beschwerde im Sinne des von ihnen gestellten Antrags statt zu geben,
München, den 18. April 2017
Dr. Manfred C. Hettlage
(als Beteiligter zu 2 und als Gruppenbevollmächtigter)