Änderungsantrag zur Erneuerung des BWahlG – ein Entwurf

Am 29.1.2023 wurde im Deutschen Bundestag in 1. Lesung von den drei Fraktionen, SPD, Grünen und FDP, der Entwurf für eine Reform des Bundeswahlrechts (BT-DruckS. 20/5370) eingebracht. Dieser Entwurf zeichnet sich dadurch aus, dass die Zahl der 598 Mitglieder des Parlaments künftig nicht mehr eine variable, sondern eine feste Größe sein soll, die vom Wahlgesetzgeber zwingend vor­gegeben wird. Das schließt alle Überhang- und Ausgleichsmandate aus. Diese Zielsetzung kommt einer Zeitenwende im deutschen Wahlrecht gleich, verdient uneingeschränkte Zustimmung und ist ohne Wenn und Aber umzusetzen.

Die Zahl der 598 Mitglieder des Bundestages ist nach neuem Recht ein zwingender Gesetzesbefehl. Alle entgegenstehenden Vorschriften des geltenden BWahlG sind außer Kraft zu setzen oder anzupassen. Hinzu kommen einige zusätzliche Klarstellungen und Verbesserungsvorschläge wie etwa die überfällige Neufassung der Sperrklausel. Schließlich sollte das Wahlprüfungs-Gesetz vollständig in das Wahlgesetz einbezogen und zu einem späteren Zeitpunkt überarbeitet werden. Denn die Wahlprüfung hat sich in ihrer bisherigen Ausge­staltung nicht bewährt.

§ 1 BWahlG – Mitglieder des Bundestages

Die Vorschrift wird nach Maßgabe des Entwurfs, BT-DruckS. 20/5370, gefasst und ergänzt.

„Der Deutsche Bundestag besteht aus 598 Abgeordneten. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den wahlberechtigten Deutschen gewählt.

Die Wahl erfolgt getrennt nach Bundesländern (föderatives Wahlverfahren). Über die Abgeordneten wird dort jeweils zur Hälfe in Wahlkreisen und mit Listen der Landesparteien abgestimmt. Die Anteile der Abgeordneten aus den einzelnen Bundesländern können nicht überschritten werden. Die Landes­sitzkontingente sind endgültig.“

Begründung

Die Zahl der Mitglieder des Deutschen Bundestages ist ein Gesetzesbefehl. Sie wird im Wahlgesetz verbindlich festgelegt. Überhang- und Ausgleichsmandate gehören damit der Vergangenheit an. Alle entgegenstehenden Vorschriften des BWahlG entfallen oder werden entsprechend angepasst.

§ BWahlG 2 – Geltungsbereich

(Begriffliche Klarstellung)

„Die Wahl findet auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland statt.“

Begründung

Die Neufassung dient der begrifflichen Klarstellung. Denn Wahlgebiet im eigentlichen Sinn des Wortes sind die Wahlkreise und Bundesländer.

§ 3 BWahlG – Kommission zur Einteilung der Wahlkreise und Bundesländer

Die Absätze 2 und 3 werden vorgezogen. Der Absatz 1 wird auf den dritten Platz gestellt.

Die Absätze 4 und Absatz 5 bleiben unverändert.

Begründung

Die Vorschrift bleibt in der Sache unverändert. Die Umstellung der Absätze dient einer Verbesserung der Rechtstechnik.

§ 4 BWahlG – Stimmen

Die Vorschrift wird geringfügig ergänzt.

„Jeder Wählberechtigte hat zwei Stimmen, eine Erst- oder Wahlkreis-Stimme für die namentliche Kennzeichnung eines Bewerbers in den Wahlkreisen, und eine Zweit- oder Landesstimme für die namentliche Kennzeichnung einer Landespartei.“

Begründung

Bei der Direktwahl der Abgeordneten wird mit ihrer Person zwangsläufig auch ihre Partei mitgewählt. Beide Entscheidungen lassen sich nicht voneinander trennen und in zwei verschiedene Wahlgänge aufspalten. Gleichwohl sind die Staatsbürger seit 1953 gewohnt, mit zwei getrennten Stimmen zu wählen. Es liegt daher nahe, es dabei zu belassen und sich damit zu begnügen, von 598 Abgeordne­ten nur 299 nach den Grundsätzen der unmittelbaren Personenwahl in 299 Wahlkreisen zu bestim­men, für die verbleibenden 299 Abgeordneten aber die mittelbare Parteienwahl heranzuziehen.

Nimmt man die Unmittelbarkeit der namentlichen Personenauswahl ernst, muss die bloße Parteien­wahl durch eine simultane Personenwahl legitimiert werden (Erststimmen-Deckung in einer „personali­sierten“ Verhältniswahl). Bei 598 Sitzen im Bundestag müsste es 598 Wahlkreise geben, um das über­haupt möglich zu machen. Alternativ kommt eine Wahl mit offenen Landeslisten in Betracht. Die Listen in den großen Flächenstaaten wären dafür aber viel zu lang und deshalb praxisuntauglich. Das ge­samte Bundesgebiet müsste daher in überschaubare Regionen unterteilt werden (kleine Listenwahl).

Insgesamt bleibt festzuhalten: Wer zwei Stimmen hat, kann sie auch gegeneinander richten, und das macht keinen Sinn. Die Unmittelbarkeit der Personenauswahl für die Volksvertretung muss die Grund­lage für jede Reform des Bundeswahlrechts sein. Diese Verfassungsfrage ist im Parlament nicht end­gültig ausdiskutiert worden und deshalb weiterhin offen.

§ 5 BWahlG – Abstimmung nach Wahlkreisen

Die Vorschrift bleibt unverändert.

§ 6 BWahlG – Abstimmung nach Landeslisten

Die Vorschrift wird vollständig neu gefasst.

(Pro Kopf eine Stimme)

„Wer für einen Wahlkreis kandidiert, kann sich nicht zugleich auch für die Landesliste einer Partei be­werben. Zuwiderhandlungen machen die Landesstimme ungültig. Das zuständige Wahlorgan kann eine Missbrauchsgebühr von 2600 Euro verhängen.“

(Landessitzkontingente und Landesquote)

„Bei der Ermittlung der Wahlergebnisse aus den Landeslisten werden in Übereinstimmung mit den vom Innenminister gebilligten Empfehlungen der Wahlkreiskommission an Hand der jeweiligen Be­völkerungsanteile zunächst die für die Zweitstimme verfügbaren Landessitzkontingente festgestellt. Sodann werden diese Kontingente an Hand der mit den Zweit- oder Landesstimmen im jeweiligen Bundesland erzielten Landesquoten nach dem Divisor-Verfahren auf die einzelnen Landesparteien aufgeteilt. Näheres dazu regelt die Wahlordnung.“

(Landes- statt Bundessperre)

„Bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten, werden nur Parteien berücksichtig, die mindestens fünf Prozent der im Bundesland gültig abgegebenen Zweit- oder Landesstimmen erhalten oder in einem Wahlkreis des Landes ein Direktmandat errungen haben.“

(„Angstklausel“)

„Die in Wahlkreisen errungenen Direktmandate verbleiben dem Wahlkreis-Sieger auch dann, wenn die erzielten Listenplätze einer Landespartei hinter ihren im Land erlangten Direktmandaten zurückblei­ben.“

Absätze 5 bis 7 entfallen.

Begründung

Bei einer verbindlich vorgegebenen Zahl von Abgeordneten entfallen alle Überhang- und Ausgleichs­mandate. Sämtliche dafür getroffenen Regelungen sind ersatzlos zu streichen oder anzupassen.

Niemand kann physisch zweimal im Parlament sitzen. Wer zweimal gewählt wurde, hat bei der parla­mentarischen Willensbildung trotzdem nur eine Stimme. Für eine Landesliste kann daher nicht aufge­stellt werden, wer bereits für einen Wahlkreis kandidiert hat. Schon bisher war die Bewerbung für zwei Wahlkreise bzw. zwei Landeslisten ausgeschlossen. Wer nur einmal kandidieren darf, kann nicht zweimal gewählt werden.

Die bisherige Regelung, nach Feststellung der verbindlichen Landessitzkontingente die Landesquoten für die Listenwahl zu ermitteln, bleibt erhalten. Das Divisor-Verfahren, das dabei zur Anwendung kommt, ist in der Wahlordnung näher zu bestimmen. Diese Entlastung erleichtert den Durchblick und die Verständlichkeit der Rechtsnorm.

Gewählt wird mit Landeslisten. Das ist unstreitig. Für die Landesverbände der Parteien ist die Bundes­sperre eine völlig überhöhte und deshalb grundfalsche Bezugsgröße. Auch eine bundesweite Grund­mandatsregelung widerspricht dem föderativen Staatsaufbau und ergibt keinen Sinn, weil eine Lan­despartei, außerhalb des Landes gar keine Grundmandate erringen könnte. Niemand kann in Ham­burg einen Saarländer wählen.

Die Bestandsgarantie für „Überhangmandate“ ist bereits im geltenden Recht anzutreffen. Da es nach neuem Recht keine Überhänge mehr gibt, verliert diese Vorschrift ihren Sinn, sollte aber als „Angst­klausel“ erhalten bleiben.

§ 7 BWahlG – Bundeslisten

Die Vorschrift lebt wieder auf und wird neu gefasst.

„Eine Wahl mit Bundeslisten ist ausgeschlossen.“

Begründung

Eine fakultative Zusammenfassung von Landes- zu Bundeslisten gab es, gibt es aber nicht mehr. § 7 BWahlG wurde auf Vorschlag des Verfassungsgerichts (BVerfGE 121, 266 (315)) mit dem BWahlG v. 25.11.2011 (BGBl I, S. 2313) aufgehoben. Die Neufassung stellt unmissverständlich klar, Bundeslisten gibt es nicht mehr. Bundesquoten gehören endgültig der Vergangenheit an. Die Wahlergebnisse sind von den Wahlleitern länderweise zu ermitteln.

Zweiter Abschnitt – Wahlorgane

§ 8 bis § 11 BWahlG: Die Vorschriften bleiben unverändert.

Dritter Abschnitt – Wahlrecht und Wählbarkeit

§ 12 bis § 15 BWahlG: Die Vorschriften bleiben unverändert oder sind anzupassen.

Vierter Abschnitt – Vorbereitung der Wahl

§ 16 bis § 17 BWahlG: Die Vorschriften bleiben unverändert oder sind anzupassen.

§ 18 BWahlG – Wahlvorschläge und Beteiligungsanzeige

Der Abs. 1 wird neu gefasst. Die Absätze 2 bis 5 bleiben unverändert oder sind anzupassen.

„Vorschläge für Bewerber in den Wahlkreisen wie für Landeslisten der Parteien müssen gleichermaßen von mindestens 200 Wahlberechtigen persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein, die im jewei­ligen Wahlgebiet stimmberechtigt sind (Stützunterschriften). Davon ist befreit, wer im Bundestag be­reits vertreten ist. Die Stützunterschriften erfolgen auf amtlichen Formblättern, aus denen die erforder­lichen Angaben zur Identifizierung der Unterzeichner hervorgehen.“

Begründung

Die bisherige Regelung zur Aufstellung gültiger Wahlvorschläge ist unübersichtlich, weit verstreut und z.T. auch diskriminierend. Um das Verfahren zu vereinfachen sollen grundsätzlich für alle Wahlvor­schläge in Wahlkreisen wie Landeslisten gleichermaßen 200 Stützunterschriften beigebracht werden. Wer im Bundestag bereits vertreten ist, wird davon befreit.

§ 19 bis § 26 BWahlG

Die Vorschriften bleiben unverändert oder sind anzupassen.

§ 27 BWahlG – Landeslisten

Absätze 1 bis 4 bleiben unverändert. Abs. 5 wird neu gefasst.

„Die Aufstellung der Landesliste erfolgt durch Abstimmung in der Landesversammlung einer Partei oder Wählergruppe. Auflagen für die Benennung von Bewerbern, wie angemessene Anmeldefristen oder die qualifizierte Bewerbung durch Zustimmung Dritter, können in der Satzung festgelegt werden. Kein Bewerber kann mehrfach vorgeschlagen werden. Über die Reihenfolge auf der alphabetisch zu sortierenden Vorschlagsliste entscheidet schlussendlich allein der in einer Sammelabstimmung pro Kopf erzielte Stimmenanteil. Bei Stimmengleichheit ist ein Stichentscheid herbeizuführen.“

Begründung

Bei einer starren Landesliste ist die Nominierung durch die Aufstellungsversammlung einer Partei oder Wählervereinigung bereits eine Vorentscheidung für die Listenwahl durch das Wahlvolk. Die Platzie­rung auf der Landesliste gibt den Ausschlag. Wer vorne auf der Liste platziert wurde, hat gute, wer weiter hinten aufgeführt ist, hat schlechtere Wahlchancen. Deswegen verlangte der Wahlgesetzgeber, dass die alles entscheidende Reihenfolge auf der Liste nicht außerhalb der Abstimmung im Voraus festgelegt wird, sondern sich einzig und allein aus der geheimen Abstimmung ergibt.

Leider bleibt das bloße Theorie. In der Praxis wird über die Spitzenplätze auf der Liste zuerst in Ein­zelabstimmung, und danach oft in Blockwahl entschieden. Die Reihenfolge auf der Liste steht also bei einer Einzel- bzw. Blockwahl im Voraus fest. Die ausdrückliche Anordnung der Sammelwahl für die Nominierung der Listenbewerber schafft hier die erforderliche Normenklarheit und tritt der abweichen­den Praxis mit dem gebotenen Nachdruck entgegen.

Um das Verfahren nicht beliebig ausufern zu lassen, empfiehlt es sich, in den Satzungen angemes­sene Auflagen, z. B. Schriftlichkeit der Bewerbung, Anmeldefristen, oder die mehrheitliche Zustim­mung der Parteibasis anzuordnen. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass die Kriterien für die Vorbedingungen praxistauglich sind.

§ 28 bis § 42 BWahlG

Die Vorschriften bleiben unverändert sind anzupassen.

§ 43 BWahlG – Nachwahl

Abs. 1 wird neu gefasst. Die Absätze 2 bis 4 bleiben unverändert.

„Wird ein Wahlkreis vakant, erfolgt eine Nachwahl mit den Erststimmen. Die Anordnungen in §18 sind zu befolgen. Die Nachwahl unterbleibt, wenn die verbleibende Zeit bis zum nächsten Wahltermin einschließlich der Fristen für die Wahlvorbereitung weniger als 6 Kalendermonate beträgt.

Ein vakanter Listenplatz wird durch den nächsten Nachrücker aus der jeweiligen Landesliste besetzt, der noch nicht zum Zuge gekommen ist. Der Nachrücker ist vom zuständigen Wahlleiter zu berufen. Ist die Liste erschöpft, bleibt der Listenplatz unbesetzt.“

Begründung

Wer mit den Erst- oder Wahlkreis-Stimmen gewählt wurde, kann nicht durch jemand ersetzt werden, der sich für die Zweit- oder Landesstimmen beworben hat, aber noch nicht zum Zuge gekommen ist. Durch die bisherige Praxis der sog. Listennachfolge-in-Direktmandate würde die Direktwahl in den einzelnen Wahlkreisen durch die Listenwahl in den Bundesländern verdrängt und ist deshalb auszu­schließen. Eine solche Entwertung der Wahlkreis-Stimmen ist mit der zwingenden Anordnung unver­einbar, dass grundsätzlich die Hälfte Abgeordneten in Wahlkreisen zu wählen ist.

§ 44 bis § 47 BWahlG

Die Vorschriften sind anzupassen oder bleiben unverändert.

§ 48 BWahlG – Listennachfolge

Der Sachverhalt wurde in § 43 Abs. 1 BWahlG (Nachwahl) bereits abschließend geregelt. Die Vor­schrift fällt daher weg.

Das Wahlprüfungsgesetz (WahlPrüfG) wird als 10. Abschnitt in das BWahlG eingefügt.

Begründung

Die Wahlprüfung ist ein in Art. 41 der Verfassung garantiertes Grundrecht. Das Wahlprüfungsgesetz hat sich in der Praxis nicht bewährt. Sie ist erstinstanzlich Sache des Bundestages, der als Richter in eigener Sache tätig wird, deshalb befangen ist und die Wahleinsprüche regelmäßig niederstimmt. Das ist aber im Grundgesetz so geregelt und kann nur mit verfassungsändernder Mehrheit abgeändert werden.

Gegen die Entscheidung des Bundestages ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zu­lässig. Das Verfassungsgericht kann die Beschwerde zur Entscheidung annehmen, muss aber nicht. Wenn alle Richter des zuständigen Senats einig sind, können sie unzulässige oder offensichtlich un­begründete Anträge durch Beschluss zurückweisen. Und das tun sie in den allermeisten Fällen auch.

Im Ergebnis haben sich die zahlreichen Einsprüche aus den Reihen der Wahlberechtigten gegen die Überhangmandate und vor allem gegen die 2013 im Bund neu eingeführten Ausgleichsmandate als chancenlos erwiesen, obwohl der Gesetzgeber inzwischen selbst einen Bundestag ohne Überhang und ohne Ausgleich schaffen will.

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