Zweiter Senat, Postfach 1771, 76006 Karlsruhe Mit Rückschein
Es gilt das Datum der Zustellung
Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1, Ziff. 4a) Grundgesetz,
AktenZ 2 BvR 842/23
der Erstunterzeichner:
1.) Dr. Wolfgang Goldmann, Zuccalistr 25, 80639 München; 2.) Dr. Robert Mertel, Kindermannstr. 1, 80637 München; 3.) Joachim Kampka, Nürnberger Str. 24, 80637 München; 4.) Dr. Manfred C. Hettlage, Nibelungenstr. 22, 80639 München; 5.) Dr. Ursula Offergeld-Hettlage, Nibelungenstr. 22, 80639 München; 6.) Gero von Braunmühl, Taxisstr. 25, 80637 München; 7.) Dr. Annelie Grasbon, Am Rain 15, 85267 Hettenshausen; 8.) Dr. Winfried Grasbon, Am Rain 15, 85267 Hettenshausen; 9.) Dr. Felix Grasbon, Longinusstr. 22, 81247 München;
… und weiteren Damen und Herren durch gesonderte Beitrittserklärungen zur Verfassungsbeschwerde. Ihre Beitrittserklärungen sind Bestandteil dieses Schriftsatzes.
Hiermit legen alle Beschwerdeführer, beim Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4a) GG
Verfassungsbeschwerde
ein. Die Beschwerde richtet sich gegen das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes. Es wurde am 17.3.2023, in der Fassung der beiden Bundestags-Drucksachen 20/5370 und 20/6015, vom Bundestag, beschlossen, ist im Bundesgesetzblatt I, Nr. 147 am 13.6.2023 verkündet worden und trat am 14.6.2023 in Kraft.
Zulässigkeit
Die Zulässigkeit Ihrer Verfassungsbeschwerde ist ein Grundrecht der Beschwerdeführer. Das geht aus Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4a GG und aus §§ 90 ff BVerfGG unmittelbar hervor. Im Grundgesetz heißt es: „Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Verfassungsbeschwerden, die von Jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt (…) in einem seiner in Art. 38 enthaltenen Rechte verletzt zu sein.“ Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz heißt es: „Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt (…) in einem seiner in (…) Art. 38 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.“
Nach §§ 93 a) und b) BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung „anzunehmen, soweit ihr eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt“. Das ist bei der strittigen Reform des BWahlG offensichtlich der Fall.
Beschwerdefähigkeit
Ausnahmslos alle beteiligten Beschwerdeführer sind natürliche Personen, also grundrechts- und damit beschwerdefähig.
Beschwerdegegenstand
Die Beschwerde richtet sich gegen das neue Bundeswahlgesetz, (Bundesgesetzblatt I, Nr. 147, v.13.6.2023). Beschwerdegegenstand ist das Gesetz als Ganzes und die sieben im nachfolgenden Antrag (Teil B) einzeln aufgezählten Normen des Wahlrechts, die anzutreffenden Unterlassungen des Wahlgesetzgebers eingeschlossen. Dadurch werden die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 38 GG verletzt. (Vgl. dazu § 92 Abs. 2 a); und Abs. 2 b) BVerfGG.)
Beschwerdebefugnis
Sämtliche Beschwerdeführer sind wahlberechtigte Staatsbürger (nach § 12 BWahlG a.F.). Sie waren in den meisten Fällen schon 2021 im Wählerverzeichnis eingetragen. Sie alle werden durch die nachfolgend aufgeführten Verstöße des Gesetzgebers gegen Art. 38 Abs. (1) GG in ihren Grundrechten als Wahlberechtigte selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt.
Form und Frist
Die Beschwerde insgesamt und die Eventualvollmacht für die Prozessvertretung das Verfahren vor dem BVerfG erfolgte in Schriftform. Die in § 93 Abs. 3 BVerfGG angeordnete Jahresfrist wurde eingehalten. Eine ausführliche Begründung des Antrags liegt vor.
Prozessvollmacht
Der Beteiligte zu 4) und Schriftsatzurheber kann dem Verfassungsgericht einen Prozessvertreter im Sinne des § 22 BVerfGG benennen, der hiermit vorsorglich von allen Beteiligten
bevollmächtigt
wird, im Falle einer mündlichen Verhandlung zu dieser Verfassungsbeschwerde in ihrem Namen vor dem Verfassungsgericht aufzutreten und zu handeln.
Die Beschwerdeführer beantragen, dass der Beteiligten zu 4) als anderer Beistand aller Beteiligten, im Sinn von § 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG, zugelassen wird. Auf seine zahlreichen Veröffentlichungen in rechtswissenschaftlichen Fachzeitschriften wird zur Begründung hingewiesen.
Vgl. www.manfredhettlage.de/kleine-beitraege-zum-wahlrecht-seit-11-2017/
Anträge
Alle Beschwerdeführer stellen gemeinsam den
Antrag Teil A,
das neue BWahlG in der Fassung der beiden Bundestags-Drucksachen 20/5370 und 20/6015 schon deshalb zu verwerfen, weil das Plenum der Volksvertretung durch die nur dreitägige Bedenkzeit zwischen Nachbesserungen im Innenausschuss v. 14.3.2023 und Beschluss des Bundestages am 17.3.2023 überrumpelt wurde und dem beschlossenen Normengeflecht weiterhin die unerlässliche Normenklarheit und Verständlichkeit fehlt.
Im Einzelnen rügt dieser gegen das neue Wahlgesetz gerichtete
Antrag Teil B
die mehrfachen Verletzungen von Art. 38 Abs. 1 GG, in Verbindung damit aber auch die Verletzung von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, wie sie nachfolgend aufgeführt sind:
1.) Der grundsätzliche Richtungswechsel hin zur mittelbaren „Verhältniswahl“, mit Vorrang vor der Personenwahl (in § 1 Abs. 2, Satz 1 BWahlG n.F.), verletzt den Grundsatz der unmittelbaren Wahl und ist zu verwerfen.
2.) Das systemwidrige Zurückbleiben der 299 Wahlkreise hinter der Gesamtzahl der 630 Mitglieder des Bundestages (lt. § 1 Abs. 1, Satz 1 und Abs. 3, Satz 1 BWahlG n.F.) ist mit dem Grundsatz der gleichen Wahl unvereinbar und muss beseitigt werden.
3.) Das neue Verfahren der „Zweitstimmendeckung“ (gemäß § 1 Abs. 3, Satz 2 BWahlG n.F. sowie § 6 Abs.1 Satz 1 BWahlG n.F.) ist zu untersagen. Es ist ein nachträglicher Eingriff in das Wahlergebnis, bei dem die freie Wahlentscheidung des souveränen Wahlvolkes übergangen wird.
4.) Die Verletzung des föderativen Staatsaufbaus durch die nachgeschobene Oberverteilung bzw. Unterverteilung der Zweitstimmen (nach § 4 Abs. 2 und Abs. 3 BWahlG n.F. sowie § 5 Abs. 1 BWahlG n.F.) ist zu unterbinden.
5.) Die offensichtlich überhöhte Bemessungsgrundlage einer deutschlandweiten Bundessperrklausel für die regionalen Landeslisten in den 16 Bundesländern (§ 4 Abs. 2, Ziff. 2 BWahlG n.F.) widerspricht der föderativen Staatsordnung und ist durch 16 Landessperrklauseln zu ersetzen.
6.) Die Überschreitung der 630 Plätze im Bundestag durch nachträgliche Zuteilung von Ergänzungsmandaten (sog. „Siegerprämien“) nach (§ 4 Abs. 4 BWahlG n.F.) missachtet das Demokratiegebot, dass die Abgeordneten gewählt werden. Sie ist ersatzlos zu streichen.
7.) Der sinnwidrige Austausch von Direktmandaten durch Listenplätze bei der Nachfolge in vakante Wahlkreise (§ 48 BWahlG n.F.) verletzt die unmittelbare und freie Personenauswahl mit der Erststimme durch das souveräne Wahlvolk und darf nicht länger fortgeführt werden.
Es werden in
Antrag Teil C
schlussendlich zwei höchstrichterliche Hinweise (obiter dicta) beantragt, erstens zur Wahl mit zwei Stimmen und zweitens zum Homogenitätsgebot nach 28 GG, dass der Bund letztlich auch die verfassungsmäßige Ordnung der Länder, also die Gleichwertigkeit der Wahl in Bundestag und Landtagen zu gewährleisten hat (große Reform des Wahlrechts).
Antragsbegründung I
Zu Teil A des Antrags: „Es wird allgemein beantragt das neue BWahlG in der Fassung der beiden Bundestags-Drucksachen 20/5370 und 20/6015 schon deshalb zu verwerfen, weil das Plenum der Volksvertretung durch die nur dreitägige Bedenkzeit zwischen Nachbesserungen im Innenausschuss v. 14.3.2023 und Beschluss des Bundestages am 17.3.2023 überrumpelt wurde und dem beschlossenen Normengeflecht weiterhin die unerlässliche Normenklarheit und Verständlichkeit fehlt.“
Begründung:
Die Bundestags-Drucksache 20/5370 stammt vom 24.1.2023. Sie enthält zwar als Synopse in übersichtlicher Form den neu gefassten Wortlaut des BWahlG (auf S. 17 ff der Drucksache). Diese wurde aber nur drei Tage vor der 2. und 3. Lesung, am 17.3.2023, im Innenausschuss durch Bundestags-Drucksache 20/6015 in vier wesentlichen Punkten erweitert und in einem wesentlichen Punkt sogar widerrufen, also wieder rückgängig gemacht. Für die überhasteten Erweiterungen und die Widerrufung gab es keine Expertenanhörung. Für die mit einer extrem kurzen Frist von nur drei Tagen angesetzte Beratung im Plenum des Bundestages war eine Aussprache von insgesamt nur 66 Minuten angesetzt worden. Ein Vorschlag zur Geschäftsordnung aus der CDU/CSU-Fraktion auf Vertagung um 14 Tage bis zur nächstfolgenden Sitzungswoche des Parlaments wurde – ohne Abstimmung – allein von der SPD-Fraktion abgelehnt. Dieser Verfahrenswirrwarr, insbesondere aber die extreme Kürze der nur dreitägigen parlamentarischen Bedenkzeit zwischen nachgeschobenen Änderungen bzw. Widerrufungen und der endgültigen Beschlussfassung, ist als verfahrensfehlerhaft zurückzuwiesen: Dem Plenum des Bundestages blieb nicht genug Zeit, um sich mit der nachgeschobenen Rechtsmaterie ausreichend befassen zu können.
Der Bundestag hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 20/5370 (v. 24.1.2023) – nach Maßgabe der Änderungen auf Drucksache 20/6015 (v 15.3.2023) im Übrigen aber unverändert – am 17.3.2023 in 2. und 3. Lesung beschlossen. Es gibt also drei Rechtsquellen nebeneinander, eine Zumutung für die Rechtsunterworfenen. Die ursprüngliche Reform wurde gleichsam durch eine „Reform-nach-der-Reform“ in mehreren Punkten ersetzt oder ergänzt und in einem Punkt sogar wieder rückgängig gemacht. Es ist schon schwer genug bei einem Artikel-Gesetz den Durchblick zu behalten. Bei zwei Artikel-Gesetzen (der beiden Bundestags-Drucksachen 20/5370 und 20/6015) und der Fortgeltung des von der Reform unberührten Rechts verlieren auch viele Wahlrechtsexperten die Übersicht über das in einander verwobene Normengeflecht. In Drucksache 20/6015 werden auf Seite 7, unter Art. 2 c) die Nummern 9 bis 11, und unter Art. 2 g) die Nummer 18 in der Drucksache 20/5370 wieder gestrichen, also die ursprüngliche Textfassung, die vor der Reform bestand, wieder hergestellt. – Ein Widerruf gesetzgeberischer Neuerungen ist ein besonders unrühmliches Novum in der Geschichte des BWahlG. Genau genommen macht hier der Wahlgesetzgeber „viel Lärm um nichts“.
Nach der gleichsam „über Nacht“ abgeänderten Textfassung (BT-Drs. 20/6015) soll der Bundestag künftig nicht 598, sondern 630 Mitglieder haben. Der bisherige Vorbehalt möglicher „Abweichungen“ von der Sollzahl wurde gestrichen. Sie ist deshalb als Gesetzesbefehl zu verstehen. Dieser neu geschaffene Imperativ schließt – endlich – jede Überschreitung der gesetzlichen vorgegebenen Mitgliederzahl des Bundestages von vorneherein aus. Sie kann also nicht mehr überschritten werden. Und das ist das definitive Ende aller konkurrierenden Anordnungen zur Regelung von sog. „Überhangmandaten“, die mit der „verbundenen Mehrheitsregel“ in § 1 Abs. 3 Satz 2 BWahlG n.F. und in § 2 bis § 6 BWahlG n.F. – trotz allem! – neu getroffen wurden. Sie stehen unübersehbar im Widerspruch dazu, dass es keine „Abweichungen“ von der Sollzahl der 630 Mitglieder des Bundestages mehr geben soll.
Die leidigen Ausgleichsmandate sind, nach drei Legislaturperioden fast lautlos wieder von der Bildfläche verschwunden. Es gibt sie nicht mehr. Das Gleiche gilt aber auch für die vermeintlichen „Überhangmandate“, würden die Wahlleiter der bloßen Logik folgen, dass aus 299 Wahlkreisen nicht mehr als 299 Wahlkreis-Sieger hervorgehen können. Weil für mehr als 299 Direktmandate schlicht und einfach die Wahlkreise fehlen, verschwinden auch alle vermeintlichen „Überhänge“ außerhalb der 299 Wahlkreise von der Bildfläche, wie davor die sog. „Ausgleichsmandate“ wieder verschwunden sind. Überhangmandate sind „imaginäre“ Direktmandate, für die es keine Wahlkreise gibt. Ihrer Rechtsnatur handelt es sich bei den sog. „Überhängen“ also um einen Zählfehler: Kein Wähler kann mit einer gültig abgegebenen Erststimme ein ungültiges Direktmandat vergeben, das zu allem Überfluss trotzdem zum Wahlergebnis hinzugezählt werden darf, anschließend aber annullieret werden muss.
Der zentrale Rechtsbegriff der bisherigen „Zweitstimme“ wurde im ersten Reformentwurf (BT-Drs. 20/5370) durch das Wort „Hauptstimme“ ersetzt. Diese generelle Umbenennung zur „Hauptstimme“ wurde in der geänderten Textfassung (BT-Drs. 20/6015) widerrufen, also wieder rückgängig gemacht. Der ursprüngliche Rechtsbegriff der Zweitstimme habe sich „bewährt“, heißt es dazu in der Drucksache lakonisch. Kurzum heißt die Zweitstimme so wie eh und je. Der Wahlgesetzgeber selbst hat damit allerdings unstreitig gestellt, dass die Zweitstimme nicht die Hauptstimme ist.
Trotzdem soll die „personalisierte“ Verhältniswahl durch die „verbundenen Mehrheitsregel“ überformt werden. Den gewöhnlich anzutreffenden Normalbürgern des Wahlvolkes erschließt sich der mit diesen Schlagworten verbundene Systemwechsel nicht. Auch Experten tun sich damit schwer. Für beides gibt es keine allgemeinverständlichen Erläuterungen, die der gewöhnlich anzutreffende Wähler in ihren Auswirkungen nachvollziehen kann. Vergleicht man den geänderten Wortlaut mit dem bisherigen, genügt schon ein kurzer Blick auf §§ 4 bis 6 BWahlG n.F., dass der auch weiterhin mit zahlreichen Verweisungen überfrachtete Gesetzestext, so wie er mit der BT-Drs. 20/6015, beschlossen wurde, die Anforderungen des BVerfG v. 3.7.2008; BVerfGE 121, 266 (316) wiederum nicht erfüllt „das für die Wähler kaum noch nachvollziehbare Regelungsgeflecht auf eine normenklare und verständliche Grundlage zu stellen.“ Der Gesetzgeber bleibt damit weiterhin im Verzug.
Wie beantragt ist das neue BWahlG aus beiden Gründen insgesamt zu verwerfen. Das übereilte Verfahren war fehlerhaft und ließ dem Plenum des Bundestages keine ausreichende Bedenkzeit. Außerdem fehlt es nach wie vor an der erforderliche Normenklarheit und Verständlichkeit.
Antragsbegründung II
Im Einzelnen richtet sich der Antrag auf die höchstrichterliche Beseitigung der mehrfachen Verletzungen von Art 38 Abs. 1 GG, in Verbindung damit aber auch der Verletzung von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG in den nachfolgend aufgeführt Normen des BWahlG:
Zu Teil B Ziff. 1 des Antrags: „1.) Der grundsätzliche Richtungswechsel hin zur mittelbaren „Verhältniswahl“, mit Vorrang vor der Personenwahl (in § 1 Abs. 2, Satz 1 BWahlG n.F.), verletzt den Grundsatz der unmittelbaren Wahl und ist zu verwerfen.“
Begründung:
Die Unmittelbarkeit der Wahl ist ein strenger Verfassungsbefehl. „Eine Wahl erfolgt unmittelbar, (direkt) i.S. des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn (…) die Abgeordneten allein durch Stimmabgabe der Wähler bestimmt werden (…).“ (Vgl. Schreiber/Strelen (2017), § 1, Rdnr. 15, mit zahlr. Verweisen auf die einschlägigen Entscheidungen des BVerfG in Anm. 29). Das schließt den grundsätzlichen Richtungswechsel hin zur mittelbaren „Verhältniswahl“ aus, wie er in § 1 Abs. 2, Satz 1 BWahlG n.F. getroffen wurde.
Die Verhältniswahl ist eine Blockwahl. Die Liste wird als Ganze, d.h. „en bloc“ gewählt. So auch Schreiber/Strelen BWahlG, 2017, § 1, Rdnr. 114 u. Rdnr. 117. Die Blockwahl ist hochumstritten. Sie gilt als „undemokratisch und damit verfassungswidrig“. (Vgl. Scholz, „Deutschland in guter Verfassung“, 2004, S. 131.) Auf den amtlichen Stimmzetteln wird mit der Zweitstimme nicht der Name einer Person, sondern der Name einer Partei gekennzeichnet. Den amtlichen Stimmzetteln sind nur die Namen der fünf Listenführer zu entnehmen. (Vgl. § 30 Abs 2 Ziff. 1 BWahlG a.F.) Die Namen der übrigen Listenbewerber gingen aus den Stimmzetteln noch nie hervor, weil sie gar nicht auf den Stimmzetteln erscheinen, die Wahl von 1949 ausgenommen. Aber auch aus den Namen der fünf Listenführer können die Wähler allein durch Stimmabgabe in der Wahlkabine keine Auswahl treffen. Die Wähler kennen also nicht einmal alle Namen aller Personen, die sie wählen sollen. Daran hat sich seit 1953 bis heute nichts geändert.
Die Abgeordneten werden gewählt. Eine Partei ist keine natürliche Person. Sie kann nicht selbst wählen, und deshalb auch nicht selbst zum Mitglied des Bundestages gewählt werden. Für sich allein genommen ist die nur mittelbare „Verhältniswahl“ allein mit der Zweitstimme nicht verfassungskonform. Sie muss durch die Erststimmen vollständig personalisiert werden („personalisierte“ Verhältniswahl). Bei einer Wahl mit zwei Stimmen ist also die lückenlose Erststimmendeckung unerlässlich, wenn die Verletzung der unmittelbaren Wahl auf der Seite der Parteienwahl durch die simultane Direkt- oder Personenwahl ergänzt, vor allem aber geheilt werden soll.
Als 1949 das Grundgesetz entstand, wollte niemand aus dem Parlamentarischen Rat zu den „Weimarer Verhältnissen“ zurückkehren. Zwischen 1919 und 1930 gab es 16 Regierungen. Alle, die zwischen 1920 und 1931 im Amt waren, wurden vorzeitig aufgelöst. Die abschreckenden Erfahrungen mit der „Verhältniswahl“, wie sie in Art. 22 der Weimarer Reichsverfassung ausdrücklich niedergelegt war, gaben den Ausschlag: Die Verhältniswahl wurde aus dem Grundgesetz verbannt. Sie hat heute keinen Verfassungsrang mehr. Das ist unstreitig. Das Verfassungsgericht hat jedoch in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, der einfache Wahlgesetzgeber sei bei der konkreten Ausgestaltung des Wahlverfahrens frei. (BVerfG v 25.7.2012; BVerfGE 131, 316 (334 f.). Gewiss, das trifft zu, setzt jedoch die Einhaltung der in Art. 38 GG normierten Wahlrechtsgrundsätze nicht außer Kraft. Die unmittelbare Abstimmung über die Person der Abgeordneten ist und bleibt daher ein unabdingbares Verfassungsgebot. Die unmittelbare Personenwahl ist also ein Verfassungsbefehl.
Im Standard-Kommentar zum BWahlG beschreibt Karl-Ludwig Strelen die Wahlhandlung zutreffend als „Personenauswahl-Entscheidung“ (Schreiber/Strelen, BWahlG 2017, § 1, Rdnr. 5.) Der Kommentator, Johann Hahlen, wird noch deutlicher und spricht: „(…) von dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verbürgten Prinzip der Personenwahl (…)“. (Schreiber/Hahlen, BWahlG 2017, § 48, Rdnr. 13.) Das Bundesverfassungsgericht sagt umgekehrt: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ (BVerfG v. 26.2.1998, BVerfGE 97, 317 (323), Nachrücker-Entscheidung). Und „der Grundsatz der unmittelbaren Wahl verbietet die indirekte Wahl (…)“. (Vgl. BVerfGE 47, 253 (279).)
Dem wird in der Begründung zur Reform des BWahlG entgegengehalten, auch nach Auffassung BVerfG sei das geltende Wahlverfahren „seinem Grundcharakter nach, eine Verhältniswahl“. (Vgl. BVerfG v. 25.7.2012; BVerfGE 131, 316, 2. Leitsatz, (359 ff), Entscheidung zur Deckelung der Überhänge.) Und diese höchstrichterlichen Ausführungen passen offensichtlich nicht zusammen. Dem Grundgesetz ist die sog. „Verhältniswahl“ als Rechtsbegriff fremd. Entstehungsgeschichtlich ist dieses Verfahren nicht mehr in das Grundgesetz übernommen worden, die Bundesversammlung ausgenommen. (Vgl. Art. 54 Abs. 3 GG.) Das gibt bei der Auflösung der höchstrichterlichen Spruchkonkurrenz den Ausschlag.
Das Grundgesetz verlangt die unmittelbare Abstimmung über die Person der Männer und Frauen, die das gesamte Volk bei der parlamentarischen Willensbildung vertreten sollen. Die sog. „Verhältniswahl“ ist aber keine unmittelbare, sondern nur eine mittelbare Blockwahl. Bei der „Verhältniswahl“ wird auf den Stimmzetteln nicht der Name einer Person, sondern der Name einer Partei gekennzeichnet. Eine freie Auswahl der Bewerber aus den Namenslisten der Parteien findet nicht statt. Die fünf Listenführer ausgenommen enthalten die Stimmzettel nicht einmal die Namen aller Listenbewerber. Für sich alleine genommen ist die bloße Parteienstimme nicht verfassungskonform. Sie muss durch die direkte Personenwahl mit der Erststimme lückenlos personifiziert werden („personalisierte“ Verhältniswahl).
Wie beantragt und aus Art. 38 GG hervorgeht, ist der Richtungswechsel zur mittelbaren Verhältniswahl zu verwerfen und die grundrechtliche Ergänzungsbedürftigkeit der indirekten Verhältnis- bzw. Parteienwahl“ durch die unmittelbare Direkt- bzw. Personenwahl festzustellen.
Zu Teil B, Ziff. 2.) des Antrags: „2.) Das systemwidrige Zurückbleiben der 299 Wahlkreise hinter der Gesamtzahl der 630 Mitglieder des Bundestages (in § 1 Abs. 1, Satz 1 und Abs. 3, Satz 1 BWahlG n.F.) ist mit dem Grundsatz der gleichen Wahl unvereinbar und muss beseitigt werden.“
Begründung:
Das Grundgesetz verlangt die unmittelbare Wahl aller Abgeordneten. Für die 630 Sitze stehen aber nur 299 Wahlkreise zur Verfügung. Die „personalisierte“ Verhältniswahl mit zwei Stimmen bleibt daher auf der Strecke. Sie darf aber nicht auf – ungefähr – halben Wege stehen bleiben. Wenn man alle Abgeordneten zweimal zu wählen hat, muss gewährleistet sein, dass dies auch tatsächlich geschieht. In einem Parlament mit 630 Sitzen muss es deshalb auch 630 Wahlkreise geben. Sonst kann die Rechnung der „personalisierten“ Verhältniswahl nicht aufgehen.
Niemand kann 630 Sitze im Bundestag durch die Erststimme „personifizieren“, wenn von vorne herein nur 299 Wahlkreise zur Verfügung stehen. (Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 BWahlG n.F.) Es widerspricht dem Grundsatz der gleichen Wahl, wenn 299 Volksvertreter mit beiden Stimmen, 331 von ihnen aber nur mit einer Stimme gewählt werden können, weil es für eine lückenlose Doppelwahl gar nicht genug Wahlkreise gibt. Also müssen alle 299 Wahlkreise entsprechend verkleinert und damit der Anzahl nach auf 630 Wahlgebiete mit Personenwahl angehoben werden. Der Wahlgesetzgeber hält an dem deutschen Sonderweg der Wahl mit zwei Stimmen fest. Alle 630 Abgeordneten müssen deshalb zweimal gewählt werden: einmal mit der Erststimme und noch einmal mit der Zweitstimme.
Wie beantragt ist höchstrichterlich zu verfügen, dass die gesetzlich vorgegebene Sollzahl der 630 Mitglieder des Parlaments mit der Zahl der 630 Wahlkreise deckungsgleich ist. Anders wird der Grundsatz der gleichen Wahl verletzt.
Zu Teil B, Ziff. 3.) des Antrags: „3.) Das neue Verfahren der „Zweitstimmendeckung“ (gemäß § 1 Abs. 3, Satz 2 BWahlG n.F. sowie § 6 Abs.1 Satz 1 BWahlG n.F.) ist zu untersagen. Es ist ein nachträglicher Eingriff in das Wahlergebnis, bei dem die freie Wahlentscheidung des souveränen Wahlvolkes übergangen wird.“
Begründung:
Zwei getrennte Stimmen sind immer auch zwei getrennte Wahlen. Bei der Zweitstimmendeckung wird zusammengeführt, was nicht zusammengehört. Beide Stimmen werden gegeneinander gerichtet. Wenn die Erststimme durch die Zweitstimme relativiert wird, verliert die gesamte Wahl mit zwei Stimmen ihren eigentlichen Sinn: “Die „personalisierte“ Verhältniswahl schafft sich ab“ (Vgl. DÖV, 4/2015, S. 329 ff.)
Das Staatsvolk ist der Souverän der Republik. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ (Vgl. Art. 20, Abs. 2 GG.) Das Volk tut seien Willen vor allem in regelmäßigen Wahlen kund und bestimmt aus eigenem und freiem Ermessen, wer als Vertreter des ganzen Volkes im Bundestag an der parlamentarischen Willensbildung mitwirken darf. Diesem Verfassungsgebot hat der einfache Wahlgesetzgeber zu folgen, er tut es aber nicht.
In § 1 Abs. 3 Satz 2 BWahlG n.F. (BT-Drs. 20/6015) heißt es vielmehr: „Jede Partei erhält in jedem Land für diejenigen ihrer Bewerber, die in den Wahlkreisen in diesem Land die meisten Erststimmen erhalten haben, die Sitzzahl, die von den auf die Parteien entfallenden Zweitstimmen gedeckt ist (Zweitstimmendeckung).“ In § 6 Abs. 1, Satz 1 heißt es weiter: „Ein Wahlkreisbewerber einer Partei ist dann als Abgeordneter gewählt, wenn er die meisten Wählerstimmen auf sich vereinigt und im Verfahren der Zweitstimmendeckung einen Sitz erhält (…).“ Damit führt der Wahlgesetzgeber eine zweite Sperrklausel für Direktmandate ein. Er unterwirft die Personenwahl der Parteienwahl, verletzt den Grundsatz der unmittelbaren und freien Wahl und stellt im Ergebnis die Parteiensouveränität über die Volkssouveränität.
Durch die Zweitstimmendeckung entsteht gleichsam ein „negatives“ Stimmengewicht. Ein Zuwachs an Erststimmen steigert das Risiko, die Zweitstimmendeckung und damit das Direktmandat zu verlieren. Die Wähler können in der Wahlkabine nicht hinreichend erkennen, ob und inwieweit sie überhaupt gültig gewählt haben. (Vgl. BVerfG 25.7.2012; BVerfGE 131, 316 (347).) Sie müssen es ertragen, wenn ihre gültig abgegebene Erststimme wegen der Zweitstimme nachträglich für ungültig erklärt wird. Ein solcher Eingriff in die Volkssouveränität ist mit Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz unvereinbar.
Der Wahlgesetzgeber greift durch die Anordnung der Zweitstimmendeckung (gemäß § 1 Abs. 3, Satz 2 BWahlG n.F. sowie § 6 Abs.1 Satz 1 BWahlG n.F.) nachträglich in das Wahlergebnis ein und verfälscht insoweit die Entscheidung des Wahlvolkes. Was mit der Erststimme zu entscheiden war, kann nicht nach der Wahl nach Maßgabe der Zweitstimme annulliert werden. Was am Wahlsonntag gültig entschieden wurde, kann nicht bei der Verkündung der Wahlergebnisse am nächsten Montag wieder für ungültig erklärt werden, so dass der Wahlkreis leer bleibt und die Zahl der gesetzlichen Mitglieder des Parlaments unter 630 Köpfe sinkt. Diese offensichtliche Verletzung der in Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz garantierten Volkssouveränität durfte das Staatsoberhaupt nicht unterzeichnen und schon gar nicht zum Gesetz erheben.
Das Volk tut seien Willen vor allem in Wahlen kund. Der Stimmzettel entscheidet. Auf diesem Fundament fußt die Demokratie. Die Wähler haben kein Recht auf einen vakanten Wahlkreis. Sie haben einen grundrechtlich garantierten Anspruch auf einen von ihnen selbst ausgewählten Volksvertreter. Gewählt ist gewählt. Wer die meisten Erststimmen errungen hat, ist der Beste unter allen Mitbewerbern. Er ist und bleibt der Wahlkreissieger. Das ist unstreitig. Der Wahlgesetzgeber kann die Wahlleiter grundsätzlich nicht dazu verpflichten, wegen der Zweitstimme diesen Sieg mit der Erststimme über den Kopf der Wähler hinweg nachträglich umzustoßen und zu annullieren.
Wie auch immer verlangt die „personalisierte“ Verhältniswahl mit zwei grundverschiedenen Stimmen die lückenlose Erststimmendeckung für alle 630 Mandate und das schließt das sog. „Stimmensplitting“ aus. Die Zweitstimme kann demnach nicht zur Hauptstimme gemacht werden, mit der das strenge Verfassungsgebot der unmittelbaren Personenwahl fallweise ausgehebelt wird, schon gar nicht nachdem die Wähler ihre Stimmzettel abgegeben haben und die Wahllokale schon geschlossen sind, eine Zustimmung der Wähler also nicht mehr in Betracht kommen kann.
Direktmandate sind gleichsam verfassungsrechtlich garantierte „Grundmandate“ und können niemals bei der Auszählung der Wahlergebnisse nachträglich annulliert werden. Wahlen werden nicht ausgerechnet, sondern ausgezählt. Niemand kann nach der Wahl entscheiden, wen die Wähler mit der Erststimme nicht wählen durften, weil die mittelbare Parteienwahl mit der Zweitstimme das angeblich nicht hergibt. Wer als Wahlleiter das Wahlergebnis nachträglich ganz oder teilweise verändert, verbessert, ergänzt, bereinigt, ausgleichen, korrigieren oder sogar annullieren will, der verfälscht es auch. Deshalb: „Hände weg vom Wahlergebnis“. (Vgl. dazu auch NJOZ 2023, 161.)
Wie beantragt ist die grundrechtswidrige Hürde der Zweitstimmendeckung für die Erststimmenwahl (nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BWahlG n.F.) in allen Fundstellen der Novelle zu verwerfen und der verfassungsrechtlich garantierte Vorrang der unmittelbaren Personenwahl mit der Erststimme vor der bloßen Parteienwahl mit der Zweitstimme zu bestätigen.
Zu Teil B, Ziff. 4.) des Antrags: „4.) Die Verletzung des föderativen Staatsaufbaus durch die nachgeschobene Oberverteilung bzw. Unterverteilung der Zweitstimmen (nach § 4 Abs. 2 und Abs. 3 BWahlG n.F. sowie § 5 Abs. 1 BWahlG n.F.) ist zu unterbinden.“
Begründung:
Die Abgeordneten werden grundsätzlich nicht im Bund, sondern getrennt voneinander in 16 Bundesländern gewählt. Das ist unstreitig. Die Wahlergebnisse der Länder sind endgültig. Für einen bundesweiten Länderausgleich gibt es keinen Raum.
In den nachgeschobenen Änderungen zur Ursprungsfassung der Reform heißt es dagegen: „Die insgesamt abgegebenen Zweitstimmen werden zunächst bundesweit ins Verhältnis gesetzt und die Zahl der den einzelnen Parteien zufallenden Mandate bestimmt (Oberverteilung), bevor diese dann auf die einzelnen Landeslisten verteilt werden (Unterverteilung).“ (BT-Drs. 20/6015, S. 4.) In der amtlichen Begründung zu § 4 BWahlG n.F. heißt außerdem: „In der Vorschrift wird die Durchführung der Verhältniswahl in der Verteilung der Sitze zwischen den Parteien (Oberverteilung) und den Landeslisten (Unterverteilung) geregelt. Die vorgeschaltete Errechnung von Mindestsitzzahlen anhand der Bevölkerungszahlen der Länder entfällt.“ (BT-Drs. 20/5370, S. 14) Dem steht die föderative Staatsordnung entgegen, die in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegt ist. Alle Länder wählen ihre Abgeordneten selbst.
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein (…) Bundesstaat.“ Der Föderalismus hat Verfassungsrang. Wie die USA ist auch die Bundesrepublik in Deutschland ein föderativ organisiertes Staatsgebilde. Diese Verfassungsgarantie findet ihren besonderen Ausdruck in einem föderativ organisierten Wahlrecht. Gewählt wird einerseits in 299 Wahlkreisen, die auf die 16 Bundesländer verteilt sind. Gewählt wird andererseits mit 16 Landeslisten. Gerade auch die Wahl mit Landeslisten ist Ländersache. Eine fakultative Zusammenfassung zu Bundeslisten gab es früher einmal, gibt es aber nicht mehr. Jedenfalls wurde § 7 BWahlG (a.F. vor 2011) auf Vorschlag des Verfassungsgerichts (BVerfG v. 3.7.2008, BVerfGE 121, 266 (315), Entscheidung zum „negativen“ Stimmengewicht) mit dem Gesetz von 2011 aufgehoben. (Vgl. BWahlG v. 25.11. 2011 (BGBl I, S. 2313). Die Zusammenfassung zu Bundeslisten gehört also einer weit entfernten Vergangenheit an, lebt aber in der Ober- und Unterverteilung trotzdem weiter fort.
Fläche und Umfang der Wohnbevölkerung sind in den einzelnen Bundesländern sehr verschieden ausgeprägt. Das kleine Saarland durfte bisher 7 Saarländer in das Parlament wählen; der etwas größere Stadtstaat, Hamburg, 13 Hamburger. Usw. usf. Der Freistaat Bayern konnte als zweitgrößter Flächenstaat 93 gewählte Bayern nach Berlin schicken und aus NRW stammten 127 Nord-Rheinländer und Westfalen. Es liegt daher auf der Hand, dass die unterschiedlichen Landessitzkontingente für insgesamt 630 Mitglieder des Bundestages neu berechnet und leicht erhöht werden müssen, und zwar ohne den grundrechtlich geschützten Länderproporz aus der Balance zu bringen.
Die vorgegebenen Landessitzkontingente wurden seit 2002 in auffälligem Umfang durch Überhangmandate, und seit 2013 zusätzlich auch noch durch Ausgleichsmandate regelmäßig „über den Haufen“ geworfen. Die neu festgelegte Zahl der 630 Mitglieder des Parlaments ist inzwischen eine verbindlich vorgegebene Größe geworden, die weder auf Bundes- noch auf Landesebene überschritten werden darf. Und in einer freien Wahl mit zwei voneinander getrennten Stimmen muss der Wählerwille aus beiden Verfahren auch dann respektiert werden, wenn sich auf der Ebene der Bundesländer die Zahl der gewählten Direktmandate und der erzielten Listenplätze bei einer Landespartei unterscheiden sollte. Zwei getrennte Stimmen sind zwei getrennte Wahlen. Und es macht keinen Sinn, beide Stimmen zu vermengen und zu vermischen oder sogar gegeneinander zu richten, so dass der objektive Wählerwille nicht mehr zu erkennen ist.
Die bundesstaatlichen Wahlergebnisse in den 16 Bundesländern sind verbindlich. Sie sind länderweise auszuzählen und zu verkünden. Die Abgeordneten ziehen als Landesgruppen in den Bundestag ein. Die verschiedenen Landsmannschaften aus 7 Saarländern, aus 13 Hamburgern, aus 93 Bayern etc. schließen sich dort zu Fraktionen zusammen. Wer die Fraktion wechselt, behält sein Mandat, und zwar auch dann, wenn er über die Liste der Partei gewählt wurde. Die den 16 Bundesländern zustehenden Landessitzkontingente sind endgültig und können nicht überschritten werden. Die in der Begründung zu § 4 (auf Seite 14 der BT-Drs. 20/5370) getroffene Erläuterung, dass „die vorgeschaltete Errechnung von Mindestsitzzahlen anhand der Bevölkerungszahlen der Länder entfällt“, ist abwegig und verletzt die föderative Staatsordnung.
Bundeslisten gibt es nicht. Die 16 ausgezählten Landesquoten sind unterschiedlich, verbindlich, endgültig und nicht zu einer unitarischen Bundesquote umrechnungsfähig. Wie beantragt, hat die Ermittlung einer von den 16 Landesquoten abweichende, gemeinsame Bundesquote, und die damit verbundene Gleichschaltung aller Landesparteien zu unterbleiben.
Zu Teil B, Ziff. 5.) des Antrags: „5.) Die offensichtlich überhöhte Bemessungsgrundlage einer deutschlandweiten Bundessperrklausel für die regionalen Landeslisten in den 16 Bundesländern (§ 4 Abs. 2, Ziff. 2 BWahlG n.F.) widerspricht der föderativen Staatsordnung und ist durch 16 Landessperrklauseln zu ersetzen.“
Begründung:
Die Sperrklausel ist eine Ausnahme, die Grundmandatsregel eine Ausnahme von der Ausnahme, also eine Rückkehr zum Grundsatz, nämlich dass alle Stimmen in das Ergebnis der Wahl einzubeziehen sind. Schon deswegen fällt es nicht leicht, im ohnehin unübersichtlichen Normengeflecht aus BT-Drs. 20/5370 und BT-Drs. 20/6015 den objektiven gesetzgeberischen Willen zu erfassen und umzusetzen. Nicht berücksichtigt wurden bei der Verteilung der Zweitstimmen bisher solche „Parteien“, die weniger als 5 Prozent der „im Wahlgebiet“ gültig abgegebenen Zweitstimmen erhalten haben. Den Wortlaut ausgenommen, hat sich gegenüber dem bisherigen Recht in der Sache nichts geändert. Der Direktwahl mit den Erststimmen war eine Sperrklausel bisher fremd. Die Erststimmen blieben von der Sperrklausel unberührt.
Die Fünf-Prozent-Hürde galt allein der Zweitstimme. Schon das war umstritten genug. Denn die Sperrklausen führt zu einer groben Verzerrung der Verhältniswahl, weil die Zweitstimmen der betroffenen Wähler zu Parteien abwandern, die sie gar nicht gewählt haben. Diesen brachialen Eingriff in das Wahlergebnis hat das Verfassungsgericht „nolens volens“ akzeptiert und angeordnet, dass die Fünf-Prozent-Hürde im Europaparlament entfällt. Nicht so im Bundestag. Dort bleibt sie möglich, darf aber auf keinen Fall erhöht werden. Außerdem darf die Sperre in ihrer Auswirkung auf die parlamentarische Repräsentation des gesamten Staatsvolkes nicht außer Kontrolle geraten. Es darf also nur ein geringfügiger Teil des Staatsvolkes von der Wahl ausgeschlossen werden. (Vgl. dazu Schreiber/Strelen BWahlG 2017, § 6, Rdnr. 36 ff mit zahlr. Hinw. z. Rechtsprechung des BVerfG in Anm. 29.)
Hinzu kommt die Verwirrung, weil sich die drei Mehrheitsfraktionen im Bundestag nur drei Tage vor der Endabstimmung am 17.3.2013, handstreichartig, entschlossen haben, die sog. Grundmandatsregel fallen zu lassen. Das hat natürlich weitreichende Folgen. Betroffen sind aber nicht nur sog. Regionalparteien, wie etwa die ehemalige Bayernpartei, die frühere PDS, die bayerische CSU, oder die „dänische“ Minderheit in Schleswig-Holstein. Betroffen sind alle Landesparteien, auch die regionalen Verbände der CDU, der SPD und der Grünen etc. die mit ihren Landeslisten jenseits der Landesgrenzen ebenfalls nicht gewählt werden können.
Es muss also gleiches Recht unter allen mit einander konkurrierenden Landeslisten geschaffen werden, die jeweiligen Landesverbände von CDU und SPD etc. natürlich eingeschlossen. Und Länder wie Bremen oder das Saarland, wären für eine Bundessperre von 5 Prozent aller deutschen Zweitstimmen von vorneherein viel zu klein. Sie wären überhaupt nicht im Bundestag vertreten. Mehr als 5 Prozent aller deutschen Wahlberechtigten gibt es in Bremen und im Saarland gar nicht. Und außerhalb der eigenen Landesgrenzen stehen die Listen der Landesparteien überhaupt nicht zur Wahl.
Der unscharfe Wortlaut des § 4 Abs. 2 Ziff. 2 BWahlG n.F. (BT-Drs. 20/5370, Seite 6 (und Seite 18)) erschwert die Rechtsauslegung. Die beiden Worte: „Parteien“ und „Wahlgebiet“ sind, unbestimmte Rechtsbegriffe. Man erfährt nicht, ob es sich um Bundesparteien oder ihre Landesverbände handelt. Man erfährt auch nicht, ob das deutsche Staatsgebiet insgesamt oder ob der Geltungsbereich der Listenwahl in den 16 Bundesländern gemeint ist. Aufgestellt werden Landeslisten nicht im Bund, sondern im Land. Deshalb ist schon bei der ersten Bundestagswahl 1949 in den 10 damaligen Bundesländern mit 10 föderativen Sperrklauseln gewählt worden. Ähnlich, aber vergleichbar gab es auch nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990 zwar nicht 16, wohl aber zwei verschiedene Sperrklauseln, eine in den 5 neuen und noch eine in den 11 alten Bundesländern.
Gewählt werden alle Abgeordneten mit getrennten Landeslisten in 16 Bundesländern. Das ist unstreitig und wird durch die in Art. § 38 GG i.V.m. 20 Abs. 1 GG in der Verfassung garantiert. Saarländer wählen daher ihre Abgeordneten im Saarland, Hamburger in Hamburg, etc. Die Bayern stimmen über die bayerischen Volksvertreter in Bayern ab und die Nordrheinländer tun das zusammen mit den Westfalen in NRW. Gerade im Fall einer eigenständigen Regionalpartei wie etwa der bayerischen CSU wird besonders augenfällig, dass eine deutschlandweite Bundessperrklausel eine offensichtlich überhöhte und deshalb grundfalsche Bemessungsgrundlage ist. Keine Landespartei kann außerhalb ihres eigenen „Wahlgebiets“, gewählt werden, und deshalb kann keine von ihnen einer unverkennbar überhöhten Bundessperre unterworfen werden. Wie für die CSU kommt für sämtliche Landeslisten aller Landesparteien eine gesamtdeutsche Bundessperre grundsätzlich nicht in Betracht. Bei einer föderativen Landesperrklausel ist die zusätzliche Verschonung durch eine regionale Grundmandatsregel allerdings entbehrlich. Das aber nur nebenbei.
Die Abgeordneten werden gewählt (Art. 38 GG), und zwar in den Landesgrenzen der 16 Bundesländer (Art. 20 GG). Die deutschlandweite Bundessperrklausel wurde erst 1953 eingeführt, widerspricht der föderativen Staatsordnung und ist, wie beantragt, durch 16 föderative Landessperrklauseln abzulösen.
Zu Teil B, Ziff. 6.) des Antrags: „6.) Die Überschreitung der 630 Plätze im Bundestag durch nachträgliche Zuteilung von Ergänzungsmandaten (sog. „Siegerprämien“) nach (§ 4 Abs. 4 BWahlG n.F.) missachtet das Demokratiegebot, dass die Abgeordneten gewählt werden. Sie ist ersatzlos zu streichen.“
Begründung:
Die nachträgliche Zuteilung von Ergänzungsmandaten ist keine Bagatelle. Solche Bonussitze sind mit den „Siegerprämien“ vergleichbar, die in Italien und Griechenland „in Mode“ waren. Anders als in Griechenland sind sie in Italien ersatzlos gestrichen worden. In der Geschichte des deutschen Wahlrechts ist noch nie der Fall eingetreten, dass eine Partei bundesweit mehr als die Hälfte aller Zweitstimmen erzielen konnte, zugleich aber die absolute Mehrheit aller Listenplätze verfehlt hat. Das für diesen Extremfall vorgesehene Ergänzungsmandat wäre also von niemandem vermisst worden, wenn es diese Regelung gar nicht gegeben hätte.
Gewiss, Ergänzungsmandate spielen in der Praxis keine Rolle und richten keinen Schaden an. Ausschlaggebend ist allerdings, dass diese Listenplätze erst nach der Wahl vergeben werden. Damit wird, das Verfassungsgebot des Art 38 GG verletzt, dass die Abgeordneten grundsätzlich nicht zugeteilt, sondern dass sie gewählt werden. Und eine echte Wahl gibt nun einmal keine Ergänzungsmandat her, weil über die Ergänzung ja überhaupt nicht abgestimmt worden ist.
Nach § 4 Abs. 4 BWahlG n.F. hält der Wahlgesetzgeber hemmungslos an einer verfassungswidrigen „Siegerprämie“ fest. Ergänzungsmandate sind keineswegs irgendwelcher bedeutungslosen Schönheitsfehler. Denn es darf auch nicht der Anschein entstehen, dass der Wahlleiter das Wahlergebnis, über den Kopf der Wähler hinweg gleichsam „aus der Luft“ greifen darf.
Es gibt keinen Grund an den Ergänzungsmandaten festzuhalten. Die Streichung der Vorschrift mag überflüssig sein, gerade deshalb ist sie, wie beantragt, ersatzlos zu streichen.
Zu Teil B, Ziff. 7.) des Antrags: „7.) Der sinnwidrige Austausch von Direktmandaten durch Listenplätze bei der Nachfolge in vakante Wahlkreise (§ 48 BWahlG n.F.) verletzt die unmittelbare und freie Personenauswahl mit der Erststimme durch das souveräne Wahlvolk und darf nicht länger fortgeführt werden.“
Begründung:
Wird ein Wahlkreis vakant, weil der Abgeordnete das Mandat nicht antritt, verstirbt oder aus dem Bundestag ausscheidet, wird der Nachfolger überall auf der Welt durch eine Nachwahl bestimmt. Nicht so in Deutschland. Nach § 48 BWahlG kommt vielmehr eine generelle Listennachfolge zum Zuge, und zwar auch für Direktmandate. Dem steht entgegen, dass die Geltungsbereiche beider Stimmen grundverschieden sind. Wer im Wahlkreis zu wählen ist, kann grundsätzlich nicht durch jemand ersetzt werden, über den landesweit abzustimmen ist. Bei der generellen Listennachfolge können jedoch Abgeordnete mit Direktmandat durch Anwärter auf einen Listenplatz ausgetauscht werden. Erst- und Zweitstimmen werden systemwidrig mit einander vermengt, obwohl das Gesetz in seiner gesamten Ausprägung anordnet, dass zwei separate Stimmen immer auch zwei separate Wahlen sind, die Wähler also zwei eigenständige Stimmen haben. Außerdem steht unstreitig fest, dass im Bundestag dauerhaft 299 Abgeordnete mit Direktmandat Sitz und Stimme haben sollen, der Wahlkries also nicht unbesetzt bleiben darf.
Zehn Jahre später zeichnete sich ab, dass mit einer neuen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen war. Deshalb wurde der säumige Gesetzgeber schließlich doch tätig und verfügte seinerseits, dass der Wahlkreis unbesetzt bleibe, solange der Landespartei des verstorbenen oder ausgeschiedenen Abgeordneten noch ein Überhangmandat anzulasten war. (Vgl. § 48 BWahlG auf BT-Drucksache 16/7462, S 4.). Als es nach dem Urteil (BVerfG v. 25.7.2012 BVerfGE) das neue BWahlG v. 3.5.2013 (BGBl I S. 1084) entstand machte der Wahlgesetzgeber alles wiederrückgängig, weil jetzt die vermeintlichen „Überhänge“ ausgeglichen würden. Als der Bundestagsabgeordnete, Stephan Harbarth, in das Bundesverfassungsgericht wechselte und sein Wahlkreis neu zu besetzen war, rückte jetzt wieder Nina Warken von der CDU-Landesliste in Baden-Württemberg nach und sein Direktmandat blieb unbesetzt.
Die Listennachfolge-in-Direktmandate wurde mit der Nachrücker-Entscheidung des Verfassungsgerichts (BVerfG 26.2.1998; BVerfGE 97, 317) gerügt. Ein vakantes Direktmandat könne nicht nachbesetzt werden, solange die Landespartei des Mandatsträgers von „Überhängen“ beschwert sei. Die strittige Listennachfolge in Direktmandate wurde übergangsweise solange ausgesetzt, bis der Gesetzgeber den Sachverhalt neu geregelt hat. Dieser reagierte darauf aber nicht. Als Karl-Theodor zu Guttenberg und Julia Klöckner ihre Mandate niederlegten, blieben ihre Wahlkreise in Bayern und in Rheinlandpfalz daher unbesetzt, weil die bayerische CSU bzw. die Rheinlandpfälzer CDU damals mit sog. „Überhangmandaten“ beschwert waren.
Doch das war keineswegs das Ende dieser qualvollen Normengeschichte. Mit der Reform des BWahlG sind die Ausgleichsmandate gefallen. Damit lebt der ursprüngliche Gedanke des Verfassungsgerichts (BVerfG 26.2.1998; BVerfGE 97, 317) wieder auf, nämlich dass der Wahlkreis unbesetzt bleibt, solange die Landespartei des Ausgeschiedenen von Überhängen belastet ist. So ist es aber nicht. Nach nur drei Legislaturperioden sind die Ausgleichsmandate ersatzlos weggefallen, doch diesmal fällt die generelle Listennachfolge nicht weg, sondern lebt nach der Reform, auch ohne Ausgleich, weiter fort. Nimmt man den komplizierten und zusätzlich mit vielen Verweisen überfrachteten Wortlaut des § 48 Abs. 1 BWahlG n.F. unter die Lupe und zieht man zieht man als Auslegungshilfe die weiteren Gesetzesmaterialien hinzu, wird klar, dass sich der einfach Wahlgesetzgeber in seinem eigenen Normengeflecht hoffnungslos verheddert hat. Gerade in § 48 BWahlG n.F. fehlt nach wie vor die unerlässliche Normenklarheit und Verständlichkeit.
Direktmandate durften noch nie gegen Listenplätze ausgetauscht werden. Dieser Systembruch verstößt gegen das Willkürverbot und verletzt den Grundsatz der freien Wahl des souveränen Wahlvolkes. Wie beantragt sind vakante Direktmandate unter den 630 Mitgliedern des Bundestages gegebenenfalls durch Nachwahl zu neu besetzen. Bei den 331 verbleibenden Listenplätzen greift dann die Listennachfolge.
Antragsbegründung III
Zu Teil C des Antrags: „Es werden schlussendlich zwei höchstrichterliche Hinweise (obiter dicta) beantragt, erstens zur Wahl mit zwei Stimmen und
zweitens zum Homogenitätsgebot nach 28 GG, dass der Bund auch die verfassungsmäßige Ordnung der Länder, also die Gleichwertigkeit der Wahl in Bundestag und Landtagen zu gewährleisten hat (große Reform des Wahlrechts in Bund und Land).“
Begründung zu Teil C, „erstens“:
„Jeder Wähler hat zwei Stimmen.“ (Vgl. § 1 Abs. 2 BWahlG n.F.) Würde man stattdessen nur mit einer Stimme wählen – wie in den USA, im Vereinigten Königreich und weiten Teilen des Commonwealth oder auch in Frankreich etc. – würde es überhaupt nicht zu Überhangmandaten und schon gar nicht zu Ausgleichsmandaten kommen. Keinem Briten kann man klar machen, dass man zwei Stimmen braucht, eine für die Konservativen und noch eine für Labour.
Der Gesetzgeber hat die Wahl mit zwei voneinander getrennten Stimmen auf einem Stimmzettel erst 1953 eingeführt. Wer mit zwei Stimmen wählt, kann diese gegeneinander richten, also mit der einen Stimme die Regierung im Amt bestätigen und mit der anderen abwählen, d.h. für die Opposition votieren. In nur 20 Legislaturperioden sind 25 Wahlrechts-Änderungsgesetze entstanden, ohne daran etwas zu ändern. Es gibt mehr Wahlrechts-Änderungsgesetze als Wahlperioden. Außerdem darf daran erinnert werden, dass der Stimmzettel 1949 nur einmal gekennzeichnet werden konnte. Das strittige Stimmensplitting war damals ausgeschlossen.
Es macht keinen Sinn, „für ein Mandat zweimal zur Wahlurne zugehen“. (Vgl. dazu auch NJOZ 42/2020, v. 15.10.2020, S 1249.) Niemand kann physisch zweimal im Bundestag sitzen. Niemand soll dort zweimal an der parlamentarischen Willensbildung teilnehmen. Schon deshalb muss verhindert werden, dass man zweimal kandidieren kann, einmal für die Erststimme und noch einmal für die Zweitstimme. Wer sich für die Erststimme bewirbt, kann nicht auch für die Zweitstimme zur Wahl antreten und umgekehrt.
Es wird daher außerhalb dieser Verfassungsbeschwerde eine höchstrichterliche Klarstellung im Sinne eines „obiter dictums“ beantragt, dass sich die Überfrachtung der Wahl mit zwei Stimmen nicht bewährt habe, und der Wahlgesetzgeber gut daran tut, darauf ganz zu verzichten.
Begründung zu Teil C, „zweitens“:
Am 12. Februar 2023 wurde über die 130 Vertreter im Abgeordnetenhaus von Berlin abgestimmt, von denen aber nur 87 in Wahlkreisen unmittelbar gewählt werden konnten. Tatsächlich sind aber 159 Mitglieder in das “rote Rathaus“ eingezogen. Der Berliner Wahlleiter ließ auf Nachfrage mitteilen, in den 12 Stadtbezirken seien 10 sog. „Überhangmandate“ entstanden, die man offensichtlich zu den 87 Wahlkreissiegern hinzugezählt hat, obwohl es jenseits der 87 Berliner Wahlkreise überhaupt keine weiteren Direktmandate mehr geben kann, also auch keine Überhangmandate. Den vermeintlichen „Überhang“ habe man nach Auffassung der Wahlbehörde durch 19 Ausgleichsmandate ausgleichen müssen. Der Ausgleich übersteigt also den Überhang fast um das Doppelte – eine Zumutung für jeden, der mit der Mengenlehre vertraut ist.
Einen Monat später wurde am 17.3.2023 im Berliner Reichstagsgebäude, ein neues Bundeswahlgesetz ganz ohne Ausgleichsmandate beschlossen. Beides zusammen ist mit dem in Art. 28 Abs. 3 GG verankerten Homogenitätsgebot unvereinbar. Denn dort heißt es: „Der Bund gewährleistet, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten (…) entspricht.“ Es kann nicht sein, dass im Bund die nachgeschobenen Ausgleichsmandate wieder verschwunden sind und Überhänge nachträglich annulliert werden, in den Ländern wie in Berlin, aber auch in Bayern etc. auf Dauer aber fortbestehen. Das widerspricht dem Homogenitätsgebot, wie es in Art. 28 Abs. 1 GG niedergelegt ist. Danach muss nicht nur der Bundestag, es müssen auch alle Landtage aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgehen. Kurzum: Wenn die Überhang- und Ausgleichsmandate im Bundestag fallen, können sie in den Landtagen nicht dauerhaft überleben.
Es wird daher neben dieser Verfassungsbeschwerde ein weiterer höchstrichterlicher Hinweis („obiter dictum“) beantragt, dass die Wahl zum Bundestag und zu den Landtagen dem Homogenitätsgebot nach 28 Abs. 1 GG entsprechen muss, und dass der Bund letztlich auch die verfassungsmäßige Ordnung der Länder zu gewährleisten hat, also eine große Wahlrechtsreform in Bund und Land auf Dauer unerlässlich ist.
München, im Juni 2023
Dr. Manfred C. Hettlage, Beteiligter uzu 4.) und Schriftsatzurheber
Erstunterzeichner 1.) Dr. Wolfgang Goldmann, 2.) Dr. Robert Mertel; 3.) Joachim Kampka; 4.) Dr. Manfred C. Hettlage (Schriftsatzurheber); 5.) Dr. Ursula Offergeld-Hettlage; 6.) Gero von Braunmühl; 7.) Dr. Annelie Grasbon; 8.) Dr. Winfried Grasbon; 9.) Dr. Felix Grasbon;
und andere ….
Aufruf zum Beitritt zur Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4a) GG
Aktenzeichen 2 BvR 842/23
Die Verfassungsbeschwerde von Dr. Manfred C. Hettlage und anderen gegen das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, (BWahlG, BGBL I, Nr. 147 vom 13. Juni 2023) steht im Internet und ist mir bekannt. Dieser Verfassungsbeschwerde mit dem Aktenzeichen 2 BvR 842/23 trete ich hiermit bei und bestätige insbesondere auch die im Schriftsatz erteilten Vollmachten. Ich bin wahlberechtigt. Von Gerichtskosten, Anwaltshonoraren oder Missbrauchsgebühren bin ich befreit.
(Name + Vorname) (Straße + Nr., PLZ + Ortvollständig Anschrift) (Unterschrift)
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.Zurück an Dr. Manfred Hettlage, Nibelungenstr. 22, 80639 München.