Ausgleichsmandate

Kostspielige „Schweinerei“

Der Präsident des Bundestags, Prof. Norbert Lammert, MdB, muss tätig werden und gegen Abgeordnete mit Ausgleichsmandat ein Wahlprüfungsverfahren einleiten. Die deutschen Aufstockungsmandate (gemäß  § 6 BWahlG) sind der „Mehrheitsprämie“ im italienischen Wahlrecht vergleichbar, die das Verfassungsgericht in Rom vor wenigen Wochen verworfen hat. Bei der „Mehrheitsprämie“ bekam in Italien die Partei mit den meisten Stimmen einen Nachschlag an Mandaten, der so bemessen wurde, dass dabei die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament deutlich übertroffen wurde. Die Italiener bezeichneten diese wunderbare Vermehrung der Mandate als „porcellum“, auf deutsch als „Schweinerei“. Bei den deutschen Aufstockungsmandaten fällt der Nachschlag den sonstigen Parteien in den Schoß, ist also eine „Oppositionsprämie“. Und diese „Schweinerei“ ist genau so verfassungswidrig.

Denn das ist „der ganz normale Wahnsinn“ der Bundestagswahl v. 22.9.2013: Im Parlament gibt es 598 Plätze, aber 631 Abgeordnete. In vier Bundesländern Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Saarland entstand bei der jeweiligen Landes-CDU ein so genanntes „Üeberhangmandat“. Das Wahlergebnis schlägt also mit 602 Abgeordneten zu Buch, die natürlich bezahlt werden müssen. Nach dem 22. Wahlrechts-Äenderungsgesetz des Bundes werden neuerdings die „Üeberhänge“ in den Bundesländern ausgeglichen. Das ergibt vier zusätzliche Abgeordnete mit Ausgleichsmandat. Und weil sich dadurch der Proporz unter den Ländern verschiebt, wird auch er nachträglich ausgeglichen. (Doppelter Mandatsausgleich)

Bundestagswahl 2013: Direktmandate und Listenplätze,
so genannte „Üeberhangmandate“ und Aufstockungsmandate

Partei    Direktmandate    reine Listenplätze    Wahlergebnis Aufstockungsmandate
CDU               191                           51                            242                       13
CSU                 45                            11                              56                        0
SPD                 58                          125                            183                      10
Linke                4                            56                              60                        4
Grüne               1                            60                              61                        2
Summen      299                          303                           602                      29

Quelle: www.bundeswahlleiter.de

Nach den Berechnungen des Bundeswahlleiters sind allein  für den Länderausgleich noch einmal 25 weitere Mandate erforderlich. Unter dem Strich rücken zusätzlich zu den 602 gewählten Abgeordneten also 29 weitere Abgeordnete mit Ausgleichsmandat in den Bundestag ein. Doch einen unzulässigen Mandatsüberhang, den man ausgleichen müsste, den gibt es überhaupt nicht.

Wie die Tabelle zeigt, wurden genau 299 Abgeordnete in genau 299 Wahlkreisen gewählt, keiner mehr und keiner weniger. Von einem unzulässigen „Üeberhang“ kann keine Rede sein. Man kann also nicht sagen, dass die Wähler zu viele Direktmandate vergeben hätten. Schlimmer noch: Für Ausgleichsmandate findet man in den Wahlurnen gar keine Stimmzettel, auf denen die Wähler mit eigener Hand, aus freien Stücken, in der Wahlkabine, konkret auch über den Mandatsausgleich entschieden hätten. Dazu hätte man eine dritte Stimme gebraucht. Doch so etwas gibt gar es nicht.

Die Wähler sind ja keine Hellseher. Weil niemand im Voraus weiß, wie viele so genannte „Üeberhangmandate“ aus der Wahl hervorgehen, kann die Entscheidung über die Aufstockungsmandate erst erfolgen, nachdem die Wahllokale geschlossen wurden. Das ausgezählte Wahlergebnis wird amtlich festgestellt. Niemand ist befugt, es nachträglich „auszugleichen“. Dass die Abgeordneten mit Ausgleichsmandat im Parlament nichts verloren haben, weil sie gar nicht gewählt, sondern über den Kopf der Wähler hinweg in das Mandat eingesetzt worden sind, stört den Präsidenten des Deutschen Bundestags, der dort für Recht und Ordnung zu sorgen hat, offenbar nicht. Und was das den Steuerzahler kostet, dazu gibt es von ihm keinen Kommentar.

Bei der Bundestagswahl 2009 gab es sogar 24 so genannte „Üeberhangmandate“ in acht Bundesländern. Zehn davon in Baden-Württemberg, 3 in Bayern und der Rest in sechs weiteren Ländern. Wie der Bundeswahlleiter in einer Musterrechnung ermittelt hat, wäre im Wiederholungsfall die Zahl der 622 gewählten Abgeordneten durch den Mandatsausgleich um 49 Mitglieder des Bundestages auf 671 emporgeschnellt – alle 49 sind  nicht  durch Wahl in das Parlament gelangt.

Der Deutsche Bundestag hat sich von diesem Szenario aber nicht abschrecken lassen, die so genannten „Üeberhangmandate“ im neuen Wahlgesetz durch Ausgleichsmandate zuerst im betroffenen Bundesland und dann für den gesamten Bund zu egalisieren. Das „Ende der Fahnenstange“ wird also erst in einer der nächsten Wahlen erreicht. Schon in der 19. Bundestagswahl kann es deshalb passieren, dass dann deutlich mehr als 700 Abgeordnete im Parlament sitzen. – Und niemand schert sich darum, was das die Steuerzahler kostet?

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Prof. Norbert Lammert, MdB, ist der „zweite Mann“ im Staate. Er muss im Parlament persönlich für Recht und Ordnung sorgen. Politiker, die von den Wählern nicht in unmittelbarer und vor allem nicht in freier Wahlentscheidung gewählt worden sind, haben im Parlament nichts verloren. Der Präsident des Bundestages ist befugt, gegen sie ein Wahlprüfungsverfahren einleiten. So steht es im Wahlprüfungsgesetz.

Der Wortlaut in Art. 38 Grundgesetz und in § 1 BWahlG ist klar und eindeutig: „Die Abgeordneten werden (…) gewählt“. Wer nicht gewählt wurde, kann kein Abgeordneter sein.  Das Verfassungsgericht in Italien hat das erkannt. Das  höchste Gericht in Deutschland wird dem folgen.

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