An Herrn Frank-Walter Steinmeier, Der Bundespräsident Schloss Bellevue, Spreeweg 1, 11010 Berlin 18. Februar 2018 Eilsache Betrifft: Wer so den Kanzler wählt, löst eine Staatskrise aus
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
der Unterzeichner ist Gruppenbevollmächtigter von 50 wahlberechtigten Staatsbürgern, die nach Art. 41 Grundgesetz, beim Deutschen Bundestag, form- und fristgerecht Einspruch gegen die Bundestagswahl v. 24.9.2017 eingelegt haben. Axel Schlicher und Marena Bowen, sind weitere Beteiligte des Verfahrens, das unter dem Aktenzeichen WP 193/17 beim Deutschen Bundestag anhängig ist. Den Schriftsatz füge ich in der Anlange hinzu und bitte um Kenntnisnahme.
Wie bekannt sind 709 Abgeordnete in den 19. Deutschen Bundestag eingezogen. Von ihnen wurden 299 in Wahlkreisen unmittelbar gewählt, wie es das Grundgesetz in Art. 38 verlangt. 410 Abgeordneten sind dagegen nur mittelbar über die Landeslisten der Parteien in das Parlament gelangt. Auf die Zusammensetzung und die Reihenfolge der Listen können die Wähler keinen Einfluss nehmen. Das verletzt die Volkssouveränität bei der personellen Besetzung des Bundestages.
Wie aus dem amtlichen Stimmzettel unstreitig hervorgeht, auf denen mit der Zweitstimme ein Partei gekennzeichnet wird, handelt es sich bei den 410 allein mit der Zweitstimme nur mittelbar gewählten Abgeordneten nicht um eine Personen- sondern um eine blanke Parteienwahl. Dazu hat das Verfassungsgerecht in der sog. „Nachrücker-Entscheidung v. 26.2.1998, (BVerfGE 97, 317 (323)) festgehalten: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“
Erschwerend kommt hinzu, dass unter den 410 nur mittelbar gewählten Abgeordneten 46 Mitglieder des Bundestages anzutreffen sind, die ein Überhangmandat bekleiden, das allgemein missbilligt wird. Außerdem hat das BVerfG v. 25.7.2012 (BVerfGE 131, 316) die Überhangmandate gedeckelt: Mehr als eine halbe Fraktion, d.h. 15 Überhänge sind nicht mehr verfassungskonform. Hinzukommen weitere 65 Parlamentarier, denen ein nachgeschobenes Aufstockungsmandat zugeteilt wurde nachdem die Wahllokale schon geschlossen waren und eine Abstimmung durch das Wahlvolk gar nicht mehr in Betracht kommen kann.
Im Ergebnis sind 410 Abgeordneten nicht unmittelbar gewählt worden. Unter ihnen sind 111 Abgeordnete, die nur bedingt oder überhaupt nicht durch eine Abstimmung v. 24.9.2017 legitimiert sind. Außerdem übersteigt der Ausgleich den Überhang, so dass 19 Abgeordneten mit Ausgleichsmandat gar kein Überhang gegenübersteht. Kurzum, das 22. Wahlrechts-Änderungsgesetz kann vor dem Grundgesetz offensichtlich keinen Bestand haben.
Eine Kanzlerwahl mit einem so schwerewiegenden Makel würde eine Staatskrise auslösen. Als Bevollmächtigter der Gruppe von Wahlberechtigten, die in dem Verfahren WP 193/17 Einspruch gegen die Bundestagswahl eingelegt hat, fordert ich Sie daher auf, eine offenkundig verfassungswidrige Kanzlerwahl zu verhindern und nach Art. 93 Abs. 1 Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht zu rechtzeitige Eilentscheidung noch vor der Kanzlerwahl anzurufen.
Wir verbleiben im Respekt vor Ihrem hohen Amt und erwarten, dass der Bundespräsident tut, was er in der gegebenen Situation tun muss, nämlich den Rechtsweg auszuschöpfen, den das Grundgesetz vorsieht. Und das bedeutet konkret, mit dem nötigen Nachdruck eine präsidiale Normenkontrolle der grundrechtwidrigen Wahlrechtsvorschriften einzuleiten bevor es zu spät ist.
Gezeichnet: Dr. Manfred C. Hettlage, (Gruppenbevollmächtigter) Zustimmend: Marena Bowden und Axel Schlicher (beide als Verfahrensbeteiligte)
Anlage: Schriftsatz im Einspruchsverfahren WP 193/17 gegen die Bundestagswahl v. 24.9.2017.