Brief an den Präsidenten des Bundestags
An Herrn Prof. Dr. Norbert Lammert, MdB, Der Präsident des Deutschen Bundestags, Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Betreff: Wahlanfechtung (AktenZ: WP 187/13)
Sehr geehrter Herr Parlamentspräsident Prof. Lammert,
inzwischen habe ich ein Schreiben vom Wahlprüfungsausschuss des Bundestages erhalten, in dem mir das Aktenzeichen meiner Wahlanfechtung mitgeteilt wurde, obwohl es einen Wahlprüfungsausschuss noch gar nicht gibt und ein Hauptausschuss seine Arbeit übernommen hat. Ein nicht bestehender Wahlausschuss kann nicht das gesetzliche Gremium einer Wahlprüfung sein.
1.
Das Recht, eine Wahlprüfung einzuleiten, (Wahlanfechtung) ist ein Grundrecht. Es steht jedem Wahlberechtigten zu. Artikel 41 Grundgesetz lässt daran keinen Zweifel. Das Verfahren ist kostenfrei, und es besteht auch keine Anwaltspflicht. Von diesem Grundrecht habe ich Gebrauch gemacht und die Bundestagswahl vom September 2013 angefochten. Der Schriftsatz zur Begründung dieses Schrittes liegt Ihnen unter dem Aktenzeichen: WP 187/13 inzwischen vor.
In Ihrer Rede aus Anlass der konstituierenden Sitzung des Parlaments v. 22.10.2013 haben Sie unübersehbar klargestellt, das Bundeswahlgesetz müsse erneut reformiert werden. Ihrer Auffassung schließe ich mich uneingeschränkt an. In meiner Wahlanfechtung habe ich das näher begründet. Nun hat der Parlamentspräsident das Recht, von sich aus eine Wahlprüfung einzuleiten. Vgl. § 2 Abs. 2 und § 14 WahlPrüfG.
Deshalb fordere ich Sie hiermit öffentlich auf, Ihrer Rede v. 22.10 2013 Taten folgen zu lassen. Machen Sie von Ihrem Recht Gebrauch. Walten Sie Ihres Amtes. Leiten Sie in Ihrer Eigenschaft als Präsident des Deutschen Bundestags selbst ein Wahlprüfungsverfahren ein. Sie haben dazu nicht nur das Recht. Sie haben auch die moralische Verpflichtung, das zu tun. Denn Sie können nicht das Wahlrecht des Bundes in der Sache verwerfen und dann untätig bleiben.
2.
Ich will Ihrer Entscheidung nicht vorgreifen, nach § 2 Abs. 4 und § 14 WahlprüfG selbst ein Wahlprüfungsverfahren einzuleiten. Ich biete Ihnen aber an, sich meine Wahlanfechtung zu eigen zu machen und ihr mit dem Ziel beizutreten, im Bundestag ein verfassungskonformes Wahlgesetz herbeizuführen, um so die drohende Verfassungsbeschwerde nach Art. 41 Abs. 2 Grundgesetz abzuwenden. In meiner Wahlanfechtung habe ich von mir aus darauf hingewiesen, dass ich den „zweiten Mann im Staate“ auf meiner Seite habe. Das ist im Grundsatz unstreitig, auch wenn in Begründung und Zielrichtung der Wahlprüfung auf Ihrer und auf meiner Seite unterschiedliche Aspekte stärker oder schwächer hervorzuheben sein sollten.
Ein Wahlprüfungsausschuss ist bisher noch nicht gebildet worden. Statt des Wahlprüfungsausschusses wurde vom Bundestag ein Hauptausschuss gewählt, der unter Ihrem Vorsitze steht. Sie sind also befugt, in diesem Hauptausschuss unverzüglich eine Beschlussvorlage für meine Wahlanfechtung erstellen zu lassen, um diese zeitnah im Bundestag zur Abstimmung zu stellen. Die Sache ist in höchstem Maße eilbedürftig. Das Wahlvolk kann nicht im Unklaren darüber gelassen werden, ob die Wahl v. 22.9.2013 Recht und Gesetz entsprach oder nicht und welche Konsequenzen gegebenenfalls daraus zu ziehen sind.
3.
Aus meiner Sicht ist das 22. Bundeswahlgesetz grob verfassungswidrig. Es gelangen 29 Abgeordnete mit Ausgleichsmandat in das Parlament, die gar nicht vom Wahlvolk gewählt worden sind. Es gibt 29 zusätzliche Listenplätze, nicht aber die dafür erforderlichen zusätzlichen Zweitstimmen. Das kann es nicht sein. Der Deutsche Bundestag hat keine andere Wahl: Entweder wird er von sich aus tätig, den unübersehbaren Missstand zu beseitigen und das Wahlgesetz einer erneuten Reform zu unterwerfen oder er lässt es darauf ankommen und riskiert, dass „wir uns alle in Karlsruhe wiedersehen“.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Manfred C. Hettlage