Bundeswahlgesetz – BWahlG

Ein „legislatorisches Monster“: fünf kapitale Konstruktionsfehler

Massiver könnte die Kritik am neuen Wahlrecht kaum noch ausfallen. Hans Meyer, Berlin, hat den Stab über das geltende Bundeswahl-Gesetz – das 22. seiner Art – gebrochen. Es verstoße „eklatant gegen die Forderung des Bundesverfassungsgerichts“ (BVerfGE 121, 266 (316)), nämlich „das für den Wähler kaum noch nachvollziehbare Regelungs­geflecht der Sitzverteilung des deutschen Bundestags auf eine neue, normenklare und verständliche Grundlage zu stellen“.

In seinem Beitrag für die Fachzeitschrift „Die Öffentliche Verwaltung“ (DÖV 16/2015, S. 200 ff) nimmt sich der renomierte Wahlrechtsexperte, Meyer,  auch sonst kein Blatt vor den Mund. Er spricht von einem „verwirrenden Zweitstimmen-System“ (S. 702) und schreckte nicht davor zurück, es als „wahlrechtlichen Irrsinn“ (S. 701) und als „legislatorisches Monster“ (S. 203) zu bezeichnen.

Der Wind hat sich also gedreht. Die gängige Auffassung, das geltende Wahlrecht habe sich „bewährt“, trifft zunehmend auf Widerspruch, der an Heftigkeit zunimmt. Eine der Ursachen ist die Sperrklausel. Ihr fielen bei der letzten Bundestagswahl 15,7 Prozent der Zweitstimmen zum Opfer. Das hat es in dieser Größenordnung bisher noch nie gegeben. In Mandaten gerechnet werden 93 von 598 Sitzen von den sog. Splitterpar­teien auf die privilegierten Parlamentsparteien umverteilt. Knapp jeder sechste Abgeordnete sitzt also auf einem Platz, den die Wähler einer anderen Partei zukommen lassen wollten. – Und das kann es nicht sein!

Gegen diesen drastischen Eingriff in das Wahlergebnis regt sich Widerstand. Von den 54 Wahlprüfungs-Beschwerden, die beim BVerfG gegen die Bundestagswahl eingelegt worden sein sollen, richten sich die meisten offenbar gegen die Sperrklausel; eine will das Kinderwahlrecht, d.h. Mehrstimmen-Wahlrecht für Eltern erzwingen; eine andere das Stimmrecht von Behinderten verbessern. Zwei Wahlprüfungs-Beschwerden (2 BvC 64/14 und 2 BvC 67/14) greifen das geltende Wahlrecht aus mehreren Gründen „auf breiter Front“ an. Diese Beschwerdeführer lasten  dem dualen Wahlsystems mit Erst- und Zweitstimme übereinstimmend fünf kapitale Konstruktionsfehler an wie folgt:

1.) Weil die Zahl der 299 Wahlkreise hinter der Zahl der 598 Plätze im Bundestag weit zurückbleibt, kann höchstens die Hälfte der Abgeordneten mit beiden Stimmen (Erst- und Zweitrstimme), mindesten die Hälfte aber nur mit einer von beiden (mit der Zweitstimme) gewählt werden. Das aktive und das passive Wahlrecht sind nicht deckungsgleich. Das verstößt gegen den Grundsatz der gleichen Wahl.

2.) Die vom Verfassungsgericht schon zweimal verworfene negative Korrelation zwischen Stimmen und Mandaten (negatives Stimmengewicht) trat 2013 deutlicher in Erscheinung als je zuvor. Als alleinige Verursacherpartei der Überhänge wurde die CDU zugleich zum größten Ausgleichsprofiteur. In vier Bundesländern hat sie mit den Zweitstimmen ein Mandat weniger erlangt als mit der Erststimmen und erhält trotz Zweitstimmen-Verlust mit bundesweit 13 zusätzlichen Listenplätzen sogar den „Löwenanteil“ an den insgesamt 29 Ausgleichsmandaten.

3.) Das Stimmensplitting verletzt den in § 1 BWahlG niedergelegten Grundsatz, das Wahlvolk nach dem Verfaren einer „mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl“ abstimmen zu lassen. Was laut Gesetz verbunden ist, darf der Wähler nicht trennen. Die unverbundene Abstimmung der Splittingwähler ist deshalb ungesetzlich.

4.) Die nach der Wahl vergebenen 29 Ausgleichsmandate können nicht durch Abstimmung entstan­den sein. Sie werden den Parteien nachträglich zugeteilt, um das Wahlergebnis zu verändern und sind daher grob verfassungswidrig. Es muss über alle Mandate durch Kennzeichnung von Stimmzetteln abgestimmt werden – auch über Ausgleichsmandate.

5.) Die empirische Wahlforschung hat im März 2013 erneut festgestellt, das duale Wahlsystem mit Erst- und Zweitstimme werde von ungerfähr der Hälfte der Wähler nicht hinreichend verstanden, die  Abstimmung daher von einen „uninformierten Elektorat“ entschieden.

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