Insgesamt gaben 2017 etwa 3,85 Mio. Wähler ihre Erststimme für den gewünschten Wahlkreisbewerber ab. Sie wählten seine Partei aber nicht mit der Zweitstimme. Umgekehrt wählten 2,08 Mio. Wähler mit der Zweitstimme die gewünschte Partei, verweigerten aber dem von ihr aufgestellten Kandidaten die Erststimme. (Zum Rechengang vgl. „Gegenkommentar“, 2018, Anhang, S. 110, Tabelle 2) Und dieses „Splitting“ genügte 2017 für 46 Überhänge und 65 Ausgleichsmandate.
Für 2013 ergab sich ein ähnliches Bild: Damals „verschenkten“ 2,98 Mio. Zweitstimmenwähler ihre Erststimme an den Wahlkreisbewerber einer abweichenden Landespartei und 2,99 Mio. Erststimmenwähler stimmten mit der Zweitstimme nicht für seine Partei. 2013 kam es im Vergleich zu 2017 aber nur 4 Überhänge und 29 Ausgleichsmandaten. Der Ausgleich war, zu allem Überfluss, sowohl 2017 als auch 2013 größer als der Überhang.
Überhang- und Ausgleichsmandate verhalten sich also wie Primzahlen. Es gibt sie, aber man kann sie nicht vorhersagen. Ein Aufwuchs des Bundestages um insgesamt 111 Mitglieder (2017) bzw. 32 Mitglieder (2013) kann aber nicht dadurch geheilt werden, dass 2021 lediglich 3 Überhänge vom Ausgleich freigestellt werden, also drei unausgeglichene Überhänge entstehen und ab 2024 die ohnehin viel zu geringe Zahl der Wahlkreise von 299 sogar auf 280 noch weiter abgesenkt wird.
Zwei getrennte Stimmen sind zwei getrennte Wahlen. Sie führen in den einzelnen Bundesländern regelmäßig zu verschiedenen Ergebnissen. Doch ohne Splitting keine Überhänge und auch kein Ausgleich. Denn die Erststimmen können in einer vollständigen Verbundabstimmung nicht von den Zweitstimmen abweichen. Deshalb kann in den einzelnen Ländern auch kein Abstand zwischen Direktmandaten und Listenplätzen einer Partei entstehen. Zuerst muss also das Stimmensplitting weg. Der Wahlgesetzgeber darf außerdem nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Die Zahl der 299 Wahlkreise muss mit der Zahl der 598 Plätze im Parlament deckungsgleich sein. Kurzum müssen ausnahmslos alle Volksvertreter mit beiden Stimmen gewählt werden. Nur unter diesen beiden Voraussetzungen lässt sich das duale Wahlsystem verfassungskonform ausgestalten.
Zwei Stimmen sind umständlich, aber machbar. Doch eine Stimme ist genug.