Direktmandate und Listenplätze, Üeberhang- und Ausgleichsmandate

… eine „Milchmädchen“-Rechnung?

Bei den bisher 18 Bundestagswahlen kam es jedes Mal zu einer Mandatsdifferenz. Die Listenplätze einer oder verschiedenrer Landesparteien blieben 14-mal gegenüber den Direktmandaten in Unterzahl. Nur 4-mal kam es umgekehrt und die Listenplätze aller Parteien waren gegenüber den von ihr erlangten Direktmandaten landes- und bundesweit in der Üeberzahl. Wird mit zwei Stimmen gewählt, sind also Mandatsdifferenzen das, was man erwarten muss. Wenn der Gesetzgeber das nicht will, oder nicht zulassen kann, weil das Verfassungsgericht nicht länger mitmacht,  muss er zu dem klassischen Prinzip der Wahl: „one man one vote“ – pro Kopf eine Stimme – zurückkehren, also mit einer Stimme wählen lassen.

Bundestagswahl 2013: Direktmandate und Listenplätze, so genannte         „Üeberhangmandate“ und Aufstockungsmandate

Partei   Direktmandate    reine Listenplätze   Wahlergebnis  Aufstockungsmandate

CDU               191*                          51                            242*                        13
CSU                45                             11                               56                           0
SPD                58                            125                            183                           9
Linke               4                              56                              60                           4
Grüne              1                              60                              61                            2

Summen      299                           303**                        602***                  29****

Quelle: www.bundeswahlleiter.de

   Glossar:

* Inklusive 4 fälschlich so genannte „Üeberhangmandate“ aus vier Bundesländern, in denen die Listenplätze der Landes-CDU um einen Platz hinter den von ihr im Land erzielten Direktmandaten zurückblieben. Einen tatsächlichen Mandatsüberhang gibt es jedoch nicht. Wie die Tabelle zeigt, wurden genau 299 Abgeordnete in genau 299 Wahlkreisen gewählt, keiner mehr und keiner weniger. Man kann also nicht sagen, die Wähler hätten zu viele Direktmandate vergeben. Von einem verfassungswidrigen „Üeberhang“ kann hier keine Rede sein.

** Weil die Listenplätze der jeweiligen Landes-CDU in vier Bundesländern um je einen Sitz hinter den Direktmandaten der von ihr im Land aufgestellten Wahlkreisbewerber zurückbieben, wanderten die Zweitstimmen und damit auch die Listenplätze zu einer anderen Partei. Erwartungswidrig liegt deshalb die Summe der reinen Listenplätze nicht bei 299, sondern bei 303 Sitzen.

*** Die Sollzahl der Sitze im Parlament beträgt 598 Plätze. Das Wahlergebnis steigt aber um 4 Plätze an. Denn in vier Bundesländern kam bei der Landes-CDU nicht die „überpersonalisierte“ Listenwahl zum Zuge, sondern fiel unter den Tisch. Statt dessen wurde in vier Ländern bei der CDU selektiv nach den Grundsätzen der Direktwahl abgestimmt. Hierbei handelt es sich um eine verfassungswidrige „Rosinenpickerei“. Denn die anderen Parteien wurden von diesen Systemwechsel nicht im Land und schon gar nicht im Bund erfasst. Zwei Stimmen sind zwei Wahlen. Die stärkere zieht, aber nur selektiv. Und das ist mit dem Grundsatz der gleichen Wahl unvereinbar. Wenn auch verkürzt, kann man in diesem Sinne also sagen, die fälschlich so genannten „Üeberhangmandate“ seien im Ergebnis am Ende doch verfassungswidrig.

**** Die deutschen Aufstockungsmandate gemäß  § 6 BWahlG sind der „Mehrheitsprämie“ im italienischen Wahlrecht sehr ähnlich. Das Verfassungsgericht in Rom hat dieses Verfahren, das die Italiener als „porcellum“- Schweinerei – bezeichnen, jedoch verworfen. Bei der italienischen „Mehrheitsprämie“ bekommt die stärkste Partei mit den meisten Mandaten einen Nachschlag an Sitzen. Er wird so bemessen, dass bei ihr die absolute Mehrheit der Mandate deutlich überschritten wird.  Bei den deutschen Aufstockungsmandaten fällt der Nachschlag den anderen Parteien in den Schoß. Die deutsche Aufstockung ist also eine „Minderheitenprämie“ – … deshalb aber keine geringere „Schweinerei“.

Niemand ist befugt, den Willen der Wähler auszugleichen. Ausgleichsmandate sind grob verfassungswidrig. Denn die Mandatsaufstockung entsteht in beiden Ländern nicht durch Wahl, sondern durch Zuteilung. Die deutche Rechtsfigur des Abgeordneten mit Ausgleichssmandat ist eine „Milchmädchen“-Rechnung: Es gibt mehr Listenplätze, aber nicht mehr Zweitstimmen. Die Ausgleichsmandate wurden also aus dem Hut gezaubert.

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