Dringliche Petition

nach Art. 115 der Bayerischen Landesverfassung

An die Präsidentin des Bayerischen Landtags Ilse Aigner, MdL Maximilianeum, Max-Planck-Straße 1, 81675 München

Antragsteller und Antrag:

Hiermit beantrag ich, Dr. Manfred C. Hettlage (Nibelungenstr. 22, 80639 München), beim Pe­titionsausschuss des Bayerischen Landtags: Der Petitionsausschuss möge dem Plenum des Landtags zur zeitnahen Beschlussfassung vorschlagen:

„Dem ausgezählten Wahlergebnis für die Landtagswahl vom 8.10.2023 werden nach­träglich keine sog. „Überhänge“ und keine sog. „Ausgleichssitze“ hinzugefügt. Die Zuteilung von 11 sog. Überhang- und 12 Ausgleichsmandaten wird zeitnah rückgängig gemacht.“

Begründung:

Mit der Petition des Unterzeichners v. 5.8.2023 (Az. Vf. 1106, 18) hat sich der Petitionsaus­schuss nicht befasst. Dadurch wurde das Petitionsrecht verletzt, das in Art. 115 der bayerischen Verfassung verankert ist. Am 7.9.2023 hat der Zwischenausschuss des Landtags getagt, eine Beschlussfassung des Landtags wäre also möglich gewesen. Die Unterlassung hat schwerwie­gende Folgen.

Bei der Landtagswahl v. 8.10.2023 erreichte die CSU 85 Direktmandate, aber nur 74 Listen­plätze. Die 11 Listenplätze, die der CSU angeblich fehlen würden, wurden ihr gleichsam „ge­schenkt“ und durch 12 Ausgleichssitze für die anderen Landtagsparteien „ausgeglichen“. Das widerspricht dem Demokratiegebot des Art. 2 der Bayerischen Verfassung von 1946, der besagt: „Träger der Staatsgewalt ist das Volk. Das Volk tut seien Willen durch Wahlen (…) kund. Mehr­heit entscheidet.“ Außerdem ist der Ausgleich größer als der Überhang. Es gibt also ein Aus­gleichsmandat, dem gar kein Überhang gegenübersteht. Zusammengenommen entstanden 23 Zusatzsitze. Im Landtag gibt es 180 Plätze (Soll-Zahl), aber 203 Mitglieder. Das Maximilia­neum ist überfüllt. Das hätte man verhindern können, wenn der Landtag die Petition v. 5.8.2023 (Az. Vf. 1106, 18) ernst genommen hätte.

Schon bei der Landtagwahl v. 14.10.2018 sind zur Soll-Zahl der 180 ordentlichen Mitglieder, 10 sog. „Überhangmandate“ und 15 Ausgleichsmandate hinzugezählt worden. Diese nach der Wahl erfolgte Aufstockung um 25 Mitglieder des Landtags (ca. 14 v.H.) wird inzwischen nicht mehr akzeptiert. Der Deutsche Bundestag hat am 17.3.2023 eine Reform des Wahlrechts (BGBl. I, Nr. 147) beschlossen, mit der die Einführung der Ausgleichsmandate wieder rück­gängig gemacht wurde, obwohl sie erst 2013 auch für den Bund neu eingeführt worden war. Damit hat kein Geringerer als der Volkssouverän der Bundesrepublik Deutschland den Aus­gleichsmandaten nach nur drei Legislaturperioden eine parlamentarische Missbilligung erteilt und gleichsam eine „Zeitenwende“ in der Geschichte des deutschen Wahlrechts herbeigeführt.

Das Grundgesetz ordnet in Art. 28 an: „In den Ländern (…) muss das Volk eine Vertretung haben, (…) die aus Wahlen hervorgegangen ist“. Auf diesem Hintergrund muss auch in Bayern die Rechtslage neu überdacht werden. In Art. 13 Abs. 1 BV heißt es: „Der Landtag besteht aus 180 Mitgliedern des Bayerischen Volkes.“ Dem wurde mit dem Verfassungsreformgesetz – von Landtag und Staatsregierung vom 20.2.1998 (GVBl. S. 39) hinzugefügt: „Durch Überhang- und Ausgleichsmandate, (…), kann die Zahl der Mitglieder des Landtages nach Art. 13 Abs. 1 überschritten werden.“ (Vgl. Art. 14 Abs. 1. Satz 6 BV)Haben die Überhang- und Ausgleichs­mandate im Freistaat Bayern also Verfassungsrang?

Offenbar ist das so. Doch der Schein trügt. Die Soll-Zahl der 180 gewählten Mitglieder des Landtags „kann“ überschritten werden. Überhang und Ausgleich sind also kein zwingendes, sondern nachgiebiges Verfassungsrecht. Das stellt auch der bayerische Verfassungsgerichtshof ausdrücklich fest. (Vgl. BayVGH, Vf. 74-III-18, Rdnr. 40) Die Zulässigkeit der nachge­schobenen Zusatzsitze wird also von der bayerischen Verfassung in beiden Formen fingiert, die Aufstockung aber keineswegs zwingend angeordnet. Handelt es sich bei den nachgeschobenen Überhang- und Ausgleichsmandaten also um unverbindliches Verfassungsrecht? Eine bloße Empfehlung, an die niemand gebunden ist?

Unverbindliches Verfassungsrecht? Klingt irgendwie merkwürdig, doch offenbar ist diese Un­verbindlichkeit gewollt. Es gibt also keinen Gesetzeszwang. Der Landtag kann daher mit Billi­gung der Verfassung in die Überhang- und Ausgleichsmandate „einsteigen“, aber auch „aus­steigen“, wenn er das will. Und davon sollte er Gebrauch machen. Denn im bayerischen Land­tag gibt es 180 Mitglieder, im Land aber nur 91 Stimmkreise. Daraus können nicht mehr als 91 Stimmkreis-Sieger hervorgehen. Überhangmandate, außerhalb der 91 Stimmkreise, sind „ima­ginäre Direktmandate“, weil es für sie keine Wahlgebiete gibt und deshalb auch keine Wähler geben kann. Überhangmandate heißen zwar so, sind aber in Wahrheit überhaupt keine Mandate, sondern nachgeschobene Pseudo-Mandate, die nicht durch ausgezählte Erststimmen gedeckt sein können. Weil es dafür gar keine Wahlgebiete gibt, dürfen die Wahlleiter zu den 91 Stimm­kreis-Siegern keine Pseudo-Mandate hinzuzählen. Tun sie es doch, verstößt das gegen das De­mokratiegebot, das Art. 2, Abs. 2 der Bayerischen Verfassung v. 8.12.1946 fest verankert ist.

Das Grundprinzip der in Wahlen auszuübenden Volksherrschaft hat Vorrang. Es ist unabdingbar und hat Ewigkeitscharakter: Die Abgeordneten werden gewählt. Wer nicht gewählt wurde, kann kein Abgeordneter sein. Niemand ist befugt, das Wahlergebnis über den Kopf der Wähler hin­weg durch nachgeschobene Zusatzsitze auszugleichen. Wer das Wahlergebnis ausgleicht, der verfälscht es auch.

Das Fazit:

Mit Zustimmung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (BayVGH, Vf. 74-III-18, Rdnr. 40) findet Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV bei der Auszählung der Landtagswahl keine Anwendung mehr.

München, 2. November 2023

gez. M. Hettlage

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Dr.  Manfred C. Hettlage

Vorab per Mail.

Das unterzeichnete Original folgt mit der Post

Petition810.docx

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