DUALES WAHLSYSTEM MIT ERST- UND ZWEITSTIMME

Was das Gesetz verbunden hat …

Dem Wahlgesetzgeber steht es frei, sich unter den gegebenen Wahlsystemen für das zu ent­scheiden, das im Parlament die erforderliche Mehrheit findet. Er kann also jederzeit zur klas­sischen Direktwahl in überschaubaren Wahlkreisen überwechseln, wenn die Mehrheit im Deutschen Bundestag das will. Anders als in der Weimarer Republik wird das Parlament durch die Verfassung daran nicht gehindert. Nun hat sich der Gesetzgeber 1949 nicht für ein Wahlsystem entschieden, sondern für zwei: die mit der Personenwahl verbundene und zu ver­bindende Verhältniswahl. (Personalisierte Verhältniswahl) Dabei ist es bis heute geblieben. Und was das Gesetz verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.

Diese Doppelwahl mit Erst- und Zweitstimme hat eine auffällige Besonderheit: Das aktive und das passive Wahlrecht sind nicht deckungsgleich. Im Parlament sitzen derzeit 631 Abge­ordnete. Regulär gibt es aber nur 598 Plätze. Es gibt also 33 irreguläre Abgeordnete. Schlimmer noch ist das gesamte Wahlgebiet nur in 299 Wahlkreise eingeteilt. Selbst wenn die Wähler alle Abgeordneten mit beiden Stimmen wählen, was die Splittingwähler ja nicht tun, könnten sie damit nicht erreichen, dass sie auch mit beiden Stimmen gewählt werden. Höchstens 299 Abgeordnete ziehen über beide Stim­men, die Erst- und die Zweitstimme, in den Bundestag ein, mindestens 299 aber allein über eine Stimme, nämlich die Zweitstimme. Parteilose Einzelbewerber können ohnhin nur mit der Erst­stimme gewählt werden. Und Abgeordnete mit nachgeschobenem Ausgleichsmandat werden gar nicht vom Wahlvolk gewählt sondern nachträglich ernannt, um das Wahlergebnis „auszugleichen“, wie das in Ländern üblich ist, in denen die Demokratie nur eine Theaterkulisse ist. – Von einer Wahl unter gleichen Bedingungen kann also überhaupt keine Rede sein!

Ein „mixtum compositum“

Zwei Stimmen sind zwei Wahlen. Das typisch deutsche Wahlsystem ist also ein „mixtum compositium“, eine Mixtur, eine Mischung, … – um das Wort „Mischmasch“ zu vermeiden. Bundeslisten gibt es nicht mehr. Sie wurden abgeschafft. Die Staatsbürger können also nicht alle, sondern nur einen Teil der Abgeordneten mit beiden Stimmen wählen, selbst das müssen sie nicht. (Aktives Doppelwahlrecht mit Limit und fakultativem Stimmensplitting) Und sie können sich für beide Wahlen um ein Mandat bewerben. (Passives Doppelwahlrecht mit Limit und fakultativer Doppelkandidatur). Etwa die Hälfte der ge­wöhnlich anzutreffenden Wähler verliert vor allem bei der gespaltenen Abstimmung den Überblick und kann die Fernwirkungen seiner doppelten Wahlentscheidung mit allen hochkomplizierten Details z.B. der negativen Stimmengewichte nicht mehr hinrei­chend durchschauen. Ob jemand für das gleiche Mandat zweimal kandidiert hat, im Wahlkreis und auf der Landesliste, das können die Wähler auf den Stimmzetteln gar nicht erkennen.

Für den Teil der Abgeordneten, der davon profitiert, ist die Doppelkandidatur natürlich ein „Geschenk des Himmels“. Wenn er im Wahlkreis verliert, hat sie eine zweite Chance und zieht auf einem abgesicherten Platz der Landesliste in das Parlament ein. Diejenigen Wahlkreis-Bewerber, die keiner Partei angehören, haben dagegen nur eine Chance. Wenn sie im Wahl­kreis verlieren ist das endgültig. Hinzu kommen diejenigen, die von vorne herein nicht in einem Wahlkreis kandidieren konnten, weil es davon gar nicht genug gibt: die bloßen Listen­bewerber. Als Bewerber zweiter Klasse müssen sie es hinnehmen, dass sie von den siegreichen Wahlkreis-Bewerbern erster Klasse auf die hinteren Plätze der Liste verwiesen werden und vielleicht gar nicht in den Buncdestag einziehen. Denn die Direktwahl in den Wahlkreisen hat den Vorrang. Wer im Wahlkreis gewinnt, sitzt so oder so im Bundestag, auch dann wenn ein Überhang an Direktmandaten entstehen sollte. Die Erststimme ist also wichtiger als die Zweitstimme. Sie kann bei der Wahl sogar den Ausschlag geben. Die personalisierte Verhältniswahl ist von ihrem Grundcharakter her also keine bloße Verhältniswahl. Denn sie wird im Zweifel von der Direktwahl überformt.

One man one vote

Das Ganze gleicht dem „gordischen Knoten“ mehr als einer sinnvollen Abstimmung nach den Spielregeln der Demokratie … – Wer mit zwei Stimmen wählt, holt sich den Teufel ins Haus. Nicht umsonst lautet das klassische Prinzip der Volkswahlen: „one man one vote“!

Dieser Beitrag wurde unter Wahlrecht veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.