Einfache Mehrheit

Die Logik der Abstimmung

Für die Gesetzgebung herrscht Parlamentspflicht. Es ist ein großer Irrtum, zu glauben die Ge­setze würden besser, wenn sie in erster, zweiter und dritter Lesung in Talk-Shows oder auf der Straße beschlossen würden. Es führt also kein Weg an den Parlamentswahlen vorbei. Die Parlamentarier stammen aus dem Volk. So will es die Demokratie. Sie werden in überschau­baren Wahlkreisen von ungefähr gleicher Größe mit einfacher Mehrheit gewählt.

Die absolute Mehrheit der Mandate ist schön und gut, aber schwer zu erreichen und kann auch im zweiten oder dritten Anlauf verfehlt werden. Bei einer Abstimmung mit einfacher Mehrheit kommt es dagegen schon im ersten Wahlgang zur direkten Entscheidung durch das Volk, die Stimmengleichheit ausgenommen, die extrem selten ist. Wer die meisten Stimmen hat, ist gewählt. Weil er unter allen Mitbewerbern der Beste ist, ist er der Sieger der Wahl und deshalb der gesetzliche Volksvertreter, und das zu Recht.

Die Logik der Abstimmung fußt auf Ja-Stimmen und nicht Nein-Stimmen. Niemand kann auf einem Stimmzettel zum Ausdruck bringen, wem seine Stimme nicht gelten soll. Eine negative Wahlhandlung würde den Stimmzettel ungültig machen. Deshalb kann man den mit einfacher Mehrheit gewählten Abgeordneten auch nicht entgegenhalten, dass die Mehrheit der Wähler sie nicht gewählt hätte und sie ihren Wahlsieg dem Zufall, d.h. einer Schieflage – bias – ver­dankten. Wer im Stimmgebiet die meisten Ja-Stimmen erhalten hat, ist gewählt. Und wer nicht die meisten Ja-Stimmen hinter sich hat, ist es nicht.

Wer die meisten Ja-Stimmen hat, ist gewählt. Wer das nicht hat, ist es nicht.

Wer dagegen bei Abstimmungen die absolute Mehrheit (mehr als die Hälfte) verlangt oder sogar eine qualifizierte Mehrheit (z. B. mehr als zwei Drittel) und das nicht nur von den gültig abgegebenen, sondern von allen Stimmen, auch wenn sie gar nicht abgegeben wurden, der überfordert die Demokratie. Je höher die Hürde bei der Abstimmung umso schwieriger wird es, sie auf Anhieb zu überwinden. Man riskiert also die Ergebnislosigkeit im ersten, zweiten bzw. dritten Wahlgang. Ja, es ist sogar denkbar, dass die Hürde, wegen ihrer übertriebenen Höhe, gar nicht überwunden werden kann und die Wahl ergebnislos ausgeht.

Deshalb ist es ein Gebot der politischen Klugheit, sich bei demokratischen Wahlen mit der einfachen Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen abzufinden und die Messlatte nur so hoch zu legen, dass der erste Wahlgang bereits zu einem eindeutigen Wahlergebnis führt. Ge­nau das ist bei der einfachen Mehrheit der Fall. Sobald die Stimmen ausgezählt sind, herrscht Gewissheit, wer der Beste ist. Und wer in den meisten Wahlkreisen gesiegt hat, der hat die absolute Mehrheit im Parlament. Das ist die Spielregel der direkten Demokratie. Und sollte der extrem unwahrscheinliche Fall der Stimmengleichheit eintreten, entscheidet das vom Wahl­leiter zu ziehende Los.

Eine Stichwahl unter den beiden stärksten Kandidaten löst die Probleme nicht. Sie ist mit dem Grundsatz der allgemeinen Wahl unvereinbar, die allen wählbaren Bewerbern offen steht. Vor allem aber ist sie eine Waffe, um der stärkste politische Kraft den wohlerworbenen Sieg zu entreißen. Wer wüsste es nicht. Aus dem gleichen Grund wird die sog. Verhältniswahl der klassischen Direktwahl vorgezogen. Sie legt den parlamentarischen Minderheiten eine unde­mokratische Sperrminorität in die Hand und stellt sie damit auf die gleiche Stufe mit der stärksten Partei. Die Verhältniswahl gestattet es, die Demokratie „auf den Kopf zu stellen“.

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