An den Deutschen Bundestag
z. Hd. des Bundestagspräsidenten
Platz der Republik 1
11011 Berlin
(Vorab per Fax: 030 227-36097)
Per Einschreiben mit Rückschein
Einspruch gegen die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag gemäß Art. 41, Abs. 1, Satz 1 Grundgesetz
der Damen und Herren:
1.) Axel Schlicher, An der Neuwiesen 20 a), 67677 Enkenbach-Alsenborn;
2.) Dr. Manfred Hettlage, Nibelungenstr. 22, 80639 München, (Gruppenbeauftragter)
3.) Marena Bowden, Außerhalb Niedersaulheim 4, 55291 Saulheim;
4.) Friedrich Schaffarth, Höhenweg 17, 50129 Bergheim;
5.) Oliver Krauss, Carlo-Mierendorff-Str. 25, 67574 Osthofen;
6.) Thomas Wolf, Hauptstr. 37, 67724 Höringen;
7.) Stefan Schmidt, Hinter den Gärten 37, 66287 Quierschied;
8.) Angela Mayer, Keltenweg 73, 67663 Kaiserslautern;
9.) Christian Kiefer, Potzemergarten 9, 54450 Freuenburg;
10.) Daniela Gmeiner, Meißnererstr. 41 a, 90522 Oberasbach;
11.) Michaela Gmeiner, Meißnererstr. 41 a, 90522 Oberasbach;
12.) Thomas Vogler, Rumfordstr. 17, 80469 München;
13.) Ingo Klein, Ermlandstr. 3, 75181 Pforzheim;
14.) Rolf Lindner, Calandrellistr 15, 12247 Berlin;
15.) Stefanie Bauer, An den Neuwiesen 20, 67677 Enkenbach-Alsenborn;
16.) Kurt Frühauf, Randsiedlung 20, 67677 Enkenbach-Alsenborn;
17.) Günter Appel, Hohlstr, 22, 67724 Gonbach
18.) Rolf Heiss, An der Neuwiesen 20, 67677 Enkenbach-Alsenborn;
Die vorgenannten Wahlberechtigten legen hiermit beim Deutschen Bundestag (Einspruchsgegner), vertreten durch den Parlamentspräsidenten, gegen die am 24.9.2017 abgehaltene Wahl zum 19. Deutschen Bundestag nach Art. 41 Abs. 1 Grundgesetz bzw. § 2 Abs. 1 und Abs. 2 WahlprüfG gemeinsam Einspruch ein.
Gruppenbeauftragter im Sinne von § 2 Abs. 3 WahlprüfG ist Dr. Manfred Hettlage.
I. Zulässigkeit
Alle Einspruchsführer haben ihren Wohnsitz in Deutschland und sind beim Einwohneramt gemeldet. Zur Wahl des Deutschen Bundestages vom 24.9.2017 waren sie als Wahlberechtigte im Wählerverzeichnis eingetragen.
Der Einspruch gegen die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag ist somit nach § 2 Abs. 2 WahlprüfG zulässig.
II. Antrag
Die Einspruchsführer beantragen gemeinsam, die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag zu verwerfen und mit den bereits aufgestellten Kandidaten unter einem verfassungskonformen Wahlgesetz zu wiederholen. Das neu zu schaffende Wahlgesetz des Bundes muss insbesondere die unverbundene Wahl mit Erst- und Zweitstimme ausschließen und den Eingriff in das Wahlergebnis durch nachgeschobene Aufstockung der Listenplätze unterbinden.
III. Begründung im Überblick
In den Deutschen Bundestag sind 709 Abgeordnete eingezogen. Die exorbitante Aufblähung des Parlaments, das im Normalfall nur 598 Mitglieder hat, stößt auf allgemeine Ablehnung. „Viele teilen die Kritik, dass der Bundestag zu groß geworden ist“, bedauerte der designierte Bundestagspräsident, Wolfgang Schäuble, MdB, der „Bild am Sonntag“, die am Tag der Deutschen Einheit (3.10.17) erschienen ist. Geht man der Sache auf den Grund, stellt sich heraus: Das 22. Wahlrechts-Änderungsgesetz des Bundes ist eine in weiten Teilen verfassungswidrige Fehlkonstruktion. Hinzu kommt ein tw. ungesetzlicher Vollzug .
1. Das duale Wahlsystem mit Erst- und Zweitstimme ist ein überfrachtetes Konstrukt, das allgemein als „personalisierte Verhältniswahl“ bezeichnet wird. Niemand kann 598 Sitze in Parlament durch eine simultane Direktwahl der Abgeordneten personalisieren, wenn es nur 299 Wahlkreise gibt. Es verbleiben mindestens 299 Listenplätze, bei denen eine Personalisierung der Zweitstimme durch die Erststimme gar nicht möglich ist, also die blanke Verhältniswahl zum Zuge kommt. Dazu hat das Verfassungsgericht in der Nachrücker-Entscheidung festgehalten: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ Vgl. BVerfG v. 1998 BVerfGE 97, 317 (323).
2. Die „negativen“ Stimmengewichte hat das Gericht in Karlsruhe zweimal höchstrichterlich verurteilt. Vgl. BVerfG v. 3.7.2008, BVerfGE 121, 266; und BVerfG v. 25.7.2012, BVerfGE 131, 316. Bei der Bundestagswahl v. 24.9.2017 sind 46 Überhangmandate entstanden. Sie wurden ausgeglichen, aber nicht durch 46, sondern durch 65 Ausgleichsmandate. Der Ausgleich ist größer als der Überhang. 2017 entstanden bei der SPD 3 Überhänge und sie erzielte selbst 19 Ausgleichsmandate. Das „negative“ Stimmengewicht beim Mandatsausgleich liegt somit klar auf der Hand. Bei der Bundestagswahl v. 22.9.2013 waren 4 Überhangmandate entstanden. Sie wurden ausgeglichen, aber nicht durch 4, sondern durch 29 Ausgleichsmandate. Der Ausgleich fiel also noch schwerer ins Gewicht als der Überhang. Die 4 Überhänge, die damals alle bei der CDU anfielen, führten bei eben dieser Partei zu 13 Ausgleichsmandaten.
3. Die unverbundene Abstimmung mit beiden Stimmen – das sog. „Stimmensplitting – ist ungesetzlich, gehört aber millionenfach zum gewohnten Erscheinungsbild aller Wahlen, ausgenommen die erste Bundestagswahl von 1949, als der Stimmzettel nur einmal gekennzeichnet wurde und das Stimmensplitting ausgeschlossen war. Zwei Stimmen sind zwei Wahlen, die nach § 1 Abs 1 Satz 2 BWahlG miteinander verbunden werden sollen. Stattdessen wurden 2017 wiederum beide Stimmen „contra legem“ millionenfach unverbunden abgegeben.
4. Die Abgeordneten werden gewählt. So steht es im Grundgesetz. Niemand ist befugt, das Wahlergebnis nachträglich zu korrigieren, zu verbessern oder “auszugleichen“. Es kann nicht sein, dass die Wähler ihre Stimme abgeben und danach das Wahlergebnis abgeändert wird, aus welchen Gründen auch immer. Stimmen werden ausgezählt, niemals aber ausgeglichen. Werden Mandate nachgeschoben, muss auch eine Wahl darüber nachgeschoben werden, wer, von welcher Partei, in welchem Bundesland ein Aufstockungsmandat erhalten soll. Weil eine solche unmittelbare und freie Wahlhandlung fehlt, ist der Mandatsausgleich nicht demokratisch legitimiert. Ausgleichsmandate sind deshalb grob verfassungswidrig!
5. Das Verfassungsgericht in Karlsruhe hat in der Nachrücker-Entscheidung v. 3.7.2008 BVerfGE 121, 266 (316) angeordnet „das für den Wähler nicht mehr nachvollziehbare Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzverteilung im Deutschen Bundestag auf eine neue und normenklare Grundlage zu stellen.“ Diese höchstrichterliche Anordnung hat der Gesetzgeber zu befolgen. Der Deutsche Bundestag hat das aber nicht getan. Er hat mehr Normenklarheit und Verständlichkeit herzustellen, ist damit aber seit 2008 im Verzug.
IV. Erweiterte Begründung
In den Bundestag, der im Normalfall 598 Mitglieder hat, zogen 709 Abgeordnete ein. Diese exorbitante Aufblähung der Mandate trifft in einer breiten Öffentlichkeit auf Unverständnis und Ablehnung. Insbesondere hat Bund der Steuerzahler dagegen Front gemacht und schon in der 18. Legislaturperiode beim Deutschen Bundestag vorsorglich eine Petition mit mehr als 87.000 Unterschriften eingereicht, mit dem Ziel einen „XXL-Bundestag“ zu verhindern. Selbst Otto Hermann Solms hat in seiner Rede als Präsident der konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestags am 24. Oktober 2017 die Aufblähung des Bundestages mit Blick auf die steigenden Personalkosten kritisiert und eine Rückkehr zum früheren Wahlgesetz vorgeschlagen, in dem es noch keine Ausgleichsmandate gab.
Das Verfassungsgericht hatte in seiner Grundsatz-Entscheidung v. 25.7.2012 (BVerfGE 131, 316) die sog. „Überhänge“ gedeckelt: „Die Grundsätze der Gleichheit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien sind bei einem Anfall von Überhangmandaten von mehr als etwa einer halben Fraktionsstärke verletzt.“ Mehr als 15 Überhangmandate sind demnach unzulässig. Bei der Wahl vom 24.9. 2017 sind 46 Überhänge entstanden, ein nie dagewesener Rekord. Der Überhang wurde ausgeglichen, aber nicht durch 46, sondern durch 65 nachgeschobene Ausgleichsmandate. Der Ausgleich ist also größer als der Überhang.
Inwieweit die Überschreitung der Zulässigkeitsgrenze von 15 Überhängen durch nachgeschobene Aufstockungsmandate geheilt werden kann, ließ das Gericht offen. Nirgendwo und niemals hat es jedoch seine Zustimmung gegeben, dass die nachgeschobene Aufstockung der Mandate den Überhang sogar noch übersteigt. Schon gar nicht hat das Gericht in Karlsruhe gebilligt, dass für diesen nachträglichen und über jedes Ziel hinausschießenden Eingriff in das Wahlergebnis eine konkret auf den Ausgleich bezogene Nachwahl fehlt, weil die Wähler gar nicht über den Ausgleich abgestimmt haben.
Zu Ziff. III/1
a) Das duale Wahlsystem mit zwei Stimmen, die miteinander verbunden sind, aber auch 2017 wiederum millionenfach unverbunden abgegeben wurden, ist ein vollkommen überfrachtetes Konstrukt: Zwei Stimmen sind zwei Wahlen. Beide sind miteinander verbunden. Soweit die Doppelwahl nicht durch die unmittelbare Personenwahl gedeckt ist, kann sie vor dem Grundgesetz keinen Bestand haben. Denn die unmittelbare, d.h. namentliche Wahl der Abgeordneten gehört zu den in Erz gegossenen Grundsätzen der Abstimmung über die personelle Besetzung des Deutschen Bundestages, wie sie in Art. 38 Abs. 1 GG garantiert wird. Die gewählten Abgeordneten sind „nur ihren Gewissen unterworfen“. Im zweiten Absatz der gleichen Verfassungsnorm heißt es ausdrücklich: „ (…) wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Steine oder Tiere können nicht zu Abgeordneten gewählt werden. Es müssen volljährige, zu einer Gewissensentscheidung befähigte Personen sein, die auf dem amtlichen Stimmzetteln namentlich gekennzeichnet werden.
Das Wahlgesetz des Bundes führt in § 15 Abs. 1 BWahlG näher aus: „Wählbar ist, wer am Wahltag erstens Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist und zweitens das 18. Lebensjahr vollendet hat.“ Wählbar ist also nur eine natürliche Person, die das Alter der Volljährigkeit erreicht hat, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, zu einer Gewissensentscheidung befähig ist und die ihrer Aufstellung als Kandidat zustimmt. Das alles kann auf politische Parteien auch dann nicht zutreffen, wenn sie als eingetragene Parteien juristische Personen sind, die im Übrigen nur durch ihre Organe, d.h. den Vorsitzenden und den Vorstand handeln könnten. Kurzum erfolgt die persönliche Wahl, wie sie das Grundgesetz garantiert, auf amtlichen Stimmzetteln durch unmittelbare Kennzeichnung einer natürlichen Person. (Personenwahl)
b) Der Deutsche Bundestag besteht regulär aus 589 Mitgliedern. Davon werden 299 mit der Erststimme unmittelbar gewählt. Insoweit ist auch in Deutschland die klassische Direktwahl in 299 überschaubaren Wahlkreisen nach dem sog. „Westminster-Modell“ verwirklicht und so im Wahlgesetz verankert. Mindestens 299 Abgeordnete gelangen jedoch über die Landeslisten in den Bundestag, die von den Parteien in 16 Bundesländern aufgestellt werden. Sie werden nicht unmittelbar, sondern mittelbar gewählt. Über die Listen der Parteien wird „en bloc“ abgestimmt. Aus ihnen kann keine namentliche Auswahl der Abgeordneten getroffen werden (geschlossene Listen). Die Listen sind unvollständig. Auf ihnen werden nur die Namen der ersten fünf Listenbewerber aufgeführt. Die restlichen Bewerber sind den gewöhnlich anzutreffenden Wählern unbekannt.
Auf den Stimmzetteln wird mit der Zweitstimme der Name einer Partei gekennzeichnet. (Parteienwahl) Und dazu hat das BVerfG in der Nachrücker-Entscheidung v. 26.2.1998, BVerfGE 97, 317 (323) festgehalten: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ Diese Rechtsauffassung ist schon in der Vier-zu-vier-Grundsatzentscheidung des BVerfG v. 10.4.1997, BVerfGE 95, 335 anzutreffen. Die Rechtsfolge liegt auf der Hand: Die Zweitstimme ist für sich alleine genommen nicht verfassungskonform. Sie bedarf der Personalisierung durch eine vorgeschobene Entscheidung mit der Erststimme. Doch niemand kann 598 Listenplätze, die sich aus den Zweitstimmen ergeben, durch eine gleichzeitige Erststimmen-Wahl personifizieren, wenn es nur 299 Wahlkreise gibt. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
c) Auch bei einer Doppelwahl mit zwei Stimmen muss die Zahl der Sitze im Parlament zwingend mit der Zahl der Wahlkreise deckungsgleich sein. Das war bei der Bundestagswahl vom 24.9.2017 offensichtlich nicht der Fall: 299 Abgeordnete wurden namentlich mit den Erststimmen in 299 überschaubaren Wahlkreisen gewählt. Der verbleibende Rest der Abgeordneten gelangte 2017 wiederum allein über die bloße Zweitstimme in das Parlament oder kam in den Genuss eines nachgeschobenen Ausgleichsmandats, worauf unter Ziff. III/4 noch näher einzugehen ist. Im Deutschen Bundestag besteht also zur Zeit eine verfassungswidrige Personalisierungslücke von 410 Listenplätzen. Sie wurde nicht vom Wahlvolk selbst durch eine unmittelbare Personenwahl geschlossen wie sie das Grundgesetz verlangt. Diese Lücke wurde vielmehr durch die bloße Listenwahl ausgefüllt, bei der die politischen Parteien das Nominierungsmonopol für sich beanspruchen. 410 Abgeordnete werden also mittelbar gewählt. Den Wählern wird somit das Grundrecht auf unmittelbare Direktwahl der Volksvertreter aus der Hand gewunden. Die Volksvertretung wird zur Parteienvertretung degradiert.
Zu Ziff. III/2
Das Verfassungsgericht hat die sog. „negativen“ Stimmengewichte schon zweimal untersagt. Vgl. BVerfG v. 3.7.2008, BVerfGE 121, 266; und BVerfG v. 25.7.2012, BVerfGE 131, 316. Trotzdem ist dieses paradoxe Phänomen beim Mandatsausgleich, der 2013 auch im Bund eingeführt wurde, regelmäßig anzutreffen. Vgl. Hettlage, DÖV, 12/2016, S. 983 (985).
2017 hat die SPD in zwei Bundesländern zusammen drei „Überhänge“ (Direktmandat ohne Listenplatz) erzielt, zwei in Hamburg und eines in Bremen. Gleichwohl wurden der Partei insgesamt 19 nachgeschobene Aufstockungsmandate zugeteilt, ein „Verfahrensgewinn“ von 16 Sitzen. 2013 hatte die CDU in vier Bundesländern – in Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und im Saarland – jeweils einen Überhang erzielt und ging als alleinige Verursacherin der 4 Überhänge mit 13 von insgesamt 29 Aufstockungsmandaten zugleich als der größte Ausgleichsprofiteur aus der Wahl hervor. Das waren „netto“ 9 Zusatzmandate.
Zwei Stimmen sind zwei Wahlen, und zwar mit unterschiedlichen Wahlergebnissen. Es kann aber nicht sein, dass der Wahlgesetzgeber das schlechte Abschneiden einer Partei bei den Zweitstimmen durch einen nachgeschobenen Bonus an Listenplätzen belohnt. Weil das 2017 bei der SPD und 2013 bei der CDU der Fall war, ist das Paradox der „negativen“ Stimmengewichte offensichtlich nicht ausgeschlossen worden, wie es das Verfassungsgericht höchstrichterlich angeordnet hat. Wenn auch in anderer Gestalt als zuvor, tritt das „negative“ Stimmengewicht nach der Wahlrechtsreform von 2013 beim Mandatsausgleich deutlicher in Erscheinung als je zuvor. Und das ist mit dem Urteil v. 3.7.2008 unvereinbar.
Zu Ziff. III/3
a) Die unverbundene Abstimmung, also das sog. Stimmensplitting, ist ungesetzlich. Nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 2 BWahlG werden die Abgeordneten, „nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt“. Das schließt die unverbundene, die gespaltene, die getrennte Vergabe beider Stimmen natürlich aus. Trotzdem gehört die gespaltene Abstimmung seit 1953 millionenfach zum gewohnten Erscheinungsbild aller Wahlen und ist die Hauptursache für die leidigen Überhangmandate. Vgl. dazu auch Hettlage, Publicus / Der Online-Spiegel des Öffentlichen Rechts: https://publicus.boorberg.de/ohne-titel-9/ https://publicus.boorberg.de/zwei-stimmen-ein-mandat/und Ausg. 2017-10 ;
Zieht man die Erststimmen von den Zweitstimmen ab, (bzw. umgekehrt) ergibt sich für die Bundestagswahl v. 22.9.2017 das nachfolgende Bild:
1.581.972 CDU-Erststimmen-Wähler wählten die CDU nicht mit der Zweitstimme;
385.860 CSU-Erststimmen-Wähler verweigerten der CSU die Listenwahl;
1.888.2465 SPD-Erststimmen-Wähler gaben der SPD nicht die Landesstimme.
330.727 Zweitstimmen-Wähler der Linken wählten den örtlichen Wahlkreiskandidaten der Linken nicht mit der Erststimme;
440.128 Zweitstimmen-Wähler der Grünen verweigerten dem örtlichen Wahlkreisbewerber der Grünen die Personenwahl;
748.433 FDP-Zweitstimmen-Wähler gaben dem örtlichen Wahlkreisbewerber der FDP 2013 nicht die Wahlkreis-Stimme:
560.999 AfD-Zweitstimmen-Wähler verweigerten der Partei die Erststimme.
b) Rechtshistorisch taucht das Phänomen der gespaltenen Abstimmung überhaupt erst bei der zweiten deutschen Bundestagswahl im Jahre 1953 auf. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 konnte der Stimmzettel nur einmal gekennzeichnet werden. Die unverbundene Abstimmung war 1949 ausgeschlossen.
c) Das „negative“ Stimmengewicht hat das Gericht uneingeschränkt verworfen. Es könne nicht sein, dass die Wähler gemeinschaftlich mit weniger Stimmen mehr Mandate erlangen. Stimmen und Mandate dürften nicht negativ korrelieren. Vgl. BVerfG v. 3.7.2008, BVerfGE 121, 266. Das aber ist überhaupt nur bei einer gespaltenen Abstimmung möglich. Die Quintessenz des Urteils muss daher lauten: Es widerspricht dem Grundgedanken der Demokratie, wenn die Abgeordneten einer Partei daraus einen Vorteil erlangen, dass sie nicht mit beiden, sondern nur mit einer von beiden Stimmen gewählt werden. Bei näherer Betrachtung ist also die höchstrichterliche Urteilsliteratur zur gespaltenen Abstimmung keineswegs auf einen Nenner zu bringen, der gegen die Einspruchsführer spricht. Es gibt auch andere höchstrichterliche Entscheidungen, die für sie sprechen. Das gilt nicht nur für beide Urteile zum „negativen“ Stimmengewicht, sondern schon für das Urteil BVerfGE 7, 63 (74 f), das nachfolgend unter lit. d) näher beleuchtet wird.
d) Niemand kann physisch zweimal im Bundestag sitzen. Wer mit beiden Stimmen, also zweimal gewählt wurde, hat kein doppeltes Mitwirkungsrecht an der parlamentarischen Willensbildung. Werden beide Stimmen unverbunden abgegeben, richtet sich die gespaltene Abstimmung im Endergebnis nicht mehr auf ein Mandat sondern auf zwei. Die unverbundene Abstimmung führt zu einer Verdoppelung des Stimmenerfolgs, und das ist die Hauptursache für die leidigen Überhänge. Diesen Sachverhalt hat das BVerfG schon 1957 (BVerfGE 7, 63 (74 f)) missbilligt, allerdings hinzugefügt, die damit verbundenen „Manipulationsmöglichkeiten“ müssten „im Falle des Missbrauchs angezweifelt werden“. Dies ist mit der vorliegenden Wahlanfechtung geschehen.
Zu Ziff. III/4
a) Der Mandatsausgleich, der mit dem 22. Wahlrechts-Änerungsgesetz auch im Bund eigeführt wurde, ist grob verfassungswidrig. Bei der Wahl v. 24.9.2017 sind 46 sog. „Überhänge“ entstanden. Sie wurden ausgeglichen, aber nicht durch 46 sondern durch 65 Ausgleichsmandate. Der Ausgleich ist also größer als der Überhang. Insgesamt sind 19 überhanglose Ausgleichsmandate entstanden. In diesen Fällen stand dem Ausgleich – unsinnigerweise – gar kein Überhang gegenüber. Die 65 Abgeordneten, die lediglich ein nachgeschobenes Aufstockungsmandat bekleiden, sind nicht in allgemeiner, nicht in unmittelbarer, nicht in gleicher, nicht in geheimer und schon gar nicht in freier Wahl gewählt worden. Sie sind überhaupt nicht gewählt worden. Und das ist grob verfassungswidrig.
b) „Ausgleichsmandate sind Zusatzmandate“. Strelen in: Schreiber, BWahlG 2013, § 6 Rdnr. 29. Über sie kann nicht in, sondern erst nach der Wahlhandlung entschieden werden. Erst wenn die Stimmen ausgezählt wurden und sich gezeigt hat, dass sog. „Überhänge“ (Direktmandate ohne Listenplatz) entstanden sind, können diese ausgeglichen werden. Es gibt aber 299 direkt gewählte Mandatsträger, keinen weniger vor allem aber auch keinen mehr. Und gewählt ist gewählt. Die Zahl der Direktmandate steigt also gar nicht um irgendwelche gesetzwidrig gewählten Mandatsträger an.
Direkt gewählte Abgeordnete, denen ihr Mandat in Wahrheit gar nicht zusteht, die gibt es nicht. Das Überhangmandat ist kein konkretes Mandat, und schon gar nicht ein Mandat, das einem bestimmbaren Abgeordneten in Wahrheit gar nicht zusteht. Das Überhangmandat ist eine Differenz. Deshalb hat sogar der Wahlgesetzgeber selbst die sog. „Überhänge“ (in § 6 Abs. 4, Satz 2 BWahlG) auch dann uneingeschränkt für zulässig erklärt, wenn eine Partei in einem Bundesland mit den Zweitstimmen weniger Listenplätze erreicht als sie mit den Erststimmen Direktmandate erzielen konnte. Es liegt daher gar kein gesetzlicher Rechtsgrund für den Mandatsausgleich vor. Vgl. dazu auch Hettlage, BWahlG – Gegenkommentar, 2017, zu § 6 Abs. 4 und Abs. 5.
c) Dem nachgeschobenen „Ausgleich“ der Wahlergebnisse – wie er in der 2013 novellierten Vorschrift des § 6 Abs. 1, Abs. 5 und Abs. 6 BWahlG angeordnet wird – fehlt die demokratische Legitimation einer unmittelbaren und freien Wahlentscheidung durch das Wahlvolk. Die Abgeordneten werden gewählt. So steht es im Grundgesetz. Mitglied des Parlaments wird man durch Abstimmung. So sieht es auch das Verfassungsgericht. Vgl. BVerfG v. 26.2.1998, BVerfGE 97, 317 (323). Werden Aufstockungsmandate nachgeschoben, nachdem die Wahllokale schon geschlossen sind, muss auch die Abstimmung darüber nachgeschoben werden, wer, von welcher Partei, in welchem Bundesland denn eines der Zusatzmandate bekommen soll. Dazu hätte es wenigstens eine Eventualstimme oder eine vollständige Nachwahl speziell über den Ausgleich geben müssen, mit gesonderten Kandidaturen, eigenen Stimmzetteln und allem, was zu einer Nachwahl dazugehört. Beides gab es 2017 nicht und hat es schon 2013 nicht gegeben. Und ohne unmittelbar gewählten Kandidat kein Mandat, auch kein Ausgleichsmandat.
Zu Ziff. III/5
Der Sitzverteilung im Deutschen Bundestag fehlt die erforderliche Normenklarheit und Verständlichkeit Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung zum „negativen“ Stimmengewicht v. 3.7.2008, (BVerfGE 121, 266 (316)) angeordnet, „das für den Wähler nicht mehr nachzuvollziehende Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzverteilung im Deutschen Bundestag auf eine neue und normenklare Grundlage zu stellen“. Diese höchstrichterliche Anordnung muss der Gesetzgeber befolgen, hat es aber nicht getan. Er ist damit seit nunmehr 9 Jahren im Verzug.
Zu allem Überfluss hatte schon Bundestagspräsident, Norbert Lammert, MdB, noch in der 18. Legislaturperiode gegenüber der Presse vorgetragen, „nicht einmal eine Handvoll Abgeordneter ist in der Lage, unfallfrei die Mandatsverteilung zu erklären“. Vgl. Welt am Sonntag, 2.8.2015: „Der deutsche Volkskongress“. Das geltende Wahlrecht habe „die Mindestanforderungen an Transparenz“ nicht erfüllt, so Lammert. Vgl. das politische Magazin „Cicero“, 3/2015: „Kein Fortschritt der Demokratie“.
Der „Nestor“ unter den Wahlrechtsexperten, Professor Hans Meyer, Berlin, sieht in der bestehenden Regelung der Sitzverteilung geradezu „eine Verhöhnung des Gerichts“ und hat speziell die Vorschriften des § 6 BWahlG, also das Herzstück der Wahlrechtsreform von 2013, als „legislatorisches Monster“ kritisiert. Vgl. DÖV 8/2015, S. 700. Hans Meyer schreckt auch nicht davor zurück, dort die getroffene Regelung als „wahlrechtlichen Irrsinn“ zu bezeichnen.
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An den Deutschen Bundestag z.Hd. des Bundestagspräsidenten Platz der Republik 1, 11011 Berlin, (Vorab per Fax: 030 227-36097)
Betrifft: Beitritt zum Wahleinspruch von Axel Schlicher und anderen
- Der im Internet zugängliche Wahleinspruch von Axel Schlicher und anderen ist mir bekannt. Diesem Einspruch trete ich hiermit bei.
- Ich fordere Dr. Manfred Hettlage auf, ehrenamtlich die Pflichten und Rechte eines Gruppenbeauftragten im Sinne von § 2 Abs. 3 WahlprüfG wahrzunehmen und insbesondere gegen eine Ablehnung des Einspruchs gegebenenfalls Beschwerde beim Verfassungsgericht einzulegen.
- Anwalts- und Gerichtskosten oder andere mit dem Wahleinspruch in Zusammenhang stehende Kosten entstehen mir keine.
- Ich erkläre, dass ich zur Bundestagswahl am 24.9.2017 wahlberechtigt war.
Familienname Vorname Wohnsitz: (Straße, Plz., und Ort) Unterschrift
Dr. Grasbon, Annelie, Am Rain 15, 85767 Hettenshausen, Zustimmung liegt vor
Dr. Frohwein, Jürgen Dorfstr. 17, 14913 Hohengörsdorf, Beitritt per Fax
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Die mit allen Angaben ausgefüllte und unterzeichnete Beitrittserklärung kann einfach an den Bundestag gefaxt werden, Fax-Nr.: 030 227-36097, und muss dort am Freitag, den 24. November 2017, spätestens um 23 Uhr 59 eingehen. Eine Zustellung alleine per eMail ist nicht rechtswirksam. Wenn es die Wahrung der Frist noch zulässt, kann das Formular sowohl an Herrn Axel Schlicher (An der Neuwiesen 20 a), 67677 Enkenbach-Alsenborn ) oder Dr. Manfred Hettlage (Nibelungenstr. 22, 80639 München) zurückgeschickt und von ihnen dem Bundestag zugestellt werden.