„Personalisierte“ Verhältniswahl: Glosse zum Wahlrecht

Wasch mir den Pelz…

… aber mach ihn nicht nass!“ Ein geflügeltes Wort. Und keines passt besser auf die Doppelwahl mit Erst- und Zweitstimme als dieses: Weil die Direktwahl von Personen in Wahlkreisen und ihre indirekte Wahl über die Listen der Parteien in den Bundesländern beide Vor- und Nachteile haben, bringen die Deutschen beide Verfahren gleichzeitig zur Anwendung. Doch diese „Patentlösung“ gleicht dem Versuch der Quadratur des Kreises.

Wenn man zwei Stimmen hat, sind das auch zwei Wahlen. Und wenn man zweimal über die gleiche Sache entscheiden darf, dann kann man einmal „ja“ und einmal „nein“ sagen. Niemand geht zum Standesamt, um die gleiche Frau zweimal zu heiraten. Man könnte nämlich die beim ersten Mal getroffene Entscheidung beim zweiten Mal abschwächen oder umstoßen. Doch beim Standesamt und bei Wahlen gibt es kein „Jein“, auch keine zweite Entscheidung.

Die wundersame Vermehrung der Stimmen bei den Wahlen bezeichnen die Deutschen als „personalisierte“ Verhältniswahl. Und die merkwürdigen Anführungsstriche in der Begriffsbildung lösen bereits einen Anfangsverdacht aus. Tatsächlich ist es so, dass der Wähler zwei Stimmen hat, von denen eine aber nur bedingt gelten soll. Wenn die Zweitstimmen (für die Wahl der politischen Parteien mit ihren Landeslisten) weniger Mandate erbringt als die Erststimmen (für direkte Wahl von Personen in Wahlkreisen), dann entsteht ein unlösbares Dilemma: „Wasch mir den Pelz, aber mach‘ ihn nicht nass!“

Im Augenblick der Wahrheit kann man der Entscheidung nicht mehr ausweichen. Jetzt heißt es Kopf oder Zahl und nicht beides zusammen. Wenn man zwei Stimmen hat, muss man entscheiden, ob im Konfliktfall die einen gelten sollen oder die anderen. Und wenn man im Ernstfall immer nur die eine von beiden Stimmen, also die Zweitstimme gelten lassen will, dann wirft das die Frage auf, wozu die andere, die Erststimme, gut sein soll. Fazit: Zwei Stimmen sind zwei Wahlen: Man braucht aber nur eine.

Weil man fast alles steigern kann – z.B. Katze, Leopard, Tiger – kann man auch die „personalisierte“ Verhältniswahl noch toppen. Es gibt nämlich nur 299 Wahlkreise, aber 598 Sitze im Parlament. Es ist also von vorne herein unmöglich, alle Listenplätze mit direkt gewählten Personen zu „personalisieren“, die vorab in Wahlkreisen gewählt worden sind.  Dyskalkulie nennt man das: Rechenschwäche. Die Vertreter der „personalisierten“ Verhältniswahl können nicht richtig rechnen. Die innere Logik des Systems wird also nicht nur geköpft, sondern auch gevierteilt.

Dieses  absurde Wahlverfahren muss auch im Praxistest versagen und tut das auch. Denn bei einer freien Wahl wandern die Direktmandate zu den großen Parteien. Die kleinen Parteien erreichen die Sieg nur selten oder gar nicht. So erzielt im Wahlkreis Nr. 84 (Berlin/Friedrichshain/Kreuzberg/ Prenzlauer Berg) Hans-Christian Ströbele einzig und allein „auf weiter Flur“ den Sieg. Bei allen anderen Abgeordneten der Grünen findet eine „Personalisierung“ der Listenplätze nicht statt.

Den Vogel hat die FDP abgeschossen. In bisher 18 Bundestagswahl ist es dieser Partei gelungen, in zuletzt 299 Wahlkreisen nicht ein einziges Direktmandate zu erlangen. Die „personalisierte“ Verhältniswahl findet also nur ausnahmsweise bei den kleinen, im wesentlichen aber bei den großen Parteien statt. Und natürlich hat es sich herumgesprochen, dass der Sieg im Wahlkreis zur höheren Ehre des Abgeordneten dient, dass man aber genau so gut über die Liste in den Bundestag gelangen kann. Die Folge davon: Die Erststimmen sind für die kleinen Parteien bedeutungslos. Man braucht sie nicht und kann sie an andere Parteien „verleihen“, verschenken, was auch immer.

Dabei wird von vorne herein gar nichts mehr „personalisiert“.  Und so wird das Boot der „personalisierten“ Verhältniswahl endgültig umgekippt!

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