Gutachten zur Reform des Wahlrechts

für die Beantragung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde

nach Art. 93 Abs. 1, Ziff. 1, 2, 4 und Ziff. 4a) Grundgesetz

der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag,

der Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU)

des Freistaates Bayern und

von 99 Staatsbürgern

Hettlage-Gutachten

Mögliche Beschwerdeführer sind nach Art. 93 Abs. 1, Ziff. 1, 2, 4 und Ziff. 4a) Grundgesetz die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag (Normenkontrollklage); der Christlich-So­ziale Union in Bayern, CSU, (Organklage); der Freistaat Bayern; und eine nennenswerte Zahl von 99 Staatsbürgern (Jedermannsklage).

I.

Teil A des Antrags

„Es wird allgemein beantragt das neue BWahlG in der Fassung der beiden Bundestags-Drucksachen 20/5370 und 20/6015 schon deshalb zu verwerfen, weil die Opposition durch die nur dreitägige Bedenkzeit zwischen Nachbesserungen im Innenausschuss v. 14.3.2023 und Be­schluss im Plenum des Bundestages am 17.3.2023 genötigt wurde und auch dem beschlossenen Normengeflecht die unerlässliche Normenklarheit und Verständlichkeit fehlt.

Begründung:

Die Bundestags-Drucksache 20/5370 stammt vom 24.1.2023. Sie enthält zwar als Synopse in übersichtlicher Form den neu gefassten Wortlaut des BWahlG (auf S. 17 ff der Drucksache). Diese wurde nur drei Tage vor der 2. und 3. Lesung, am 17.3.2023, durch Beschluss des Innen­ausschusses mit Bundestags-Drucksache 20/6015 in vier wesentlichen Punkten erweitert und in einem wesentlichen Punkt sogar widerrufen, also wieder rückgängig gemacht. Für die über­hasteten Erweiterungen und die Widerrufung gab es keine Expertenanhörung.

Für die mit einer extrem kurzen Frist von nur drei Tagen angesetzte Beratung im Plenum des Bundestages war eine Aussprache von insgesamt nur 66 Minuten angesetzt worden. Ein Vorschlag zur Ge­schäftsordnung aus der CDU/CSU-Fraktion auf Vertagung um 14 Tage bis zur nächstfolgenden Sitzungswoche des Parlaments wurde – ohne Abstimmung – allein von der SPD-Fraktion abge­lehnt. Dieser Verfahrenswirrwarr, insbesondere aber die extreme Kürze der nur dreitägigen par­lamentarischen Bedenkzeit zwischen nachgeschobenen Änderungen bzw. Widerrufungen und der endgültigen Beschlussfassung, ist als verfahrensfehlerhaft zurückzuwiesen: Der Opposition blieb nicht genug Zeit, um sich mit der kurzfristig nachgeschobenen Rechtsmaterie ausreichend befassen zu können.

Der Bundestag hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 20/5370 (v. 24.1.2023) – nach Maßgabe der Änderungen auf Drucksache 20/1650 (v 15.3.2023) im Übrigen aber unverändert – am 17.3.2023 in 2. und 3. Lesung beschlossen. Es gibt also drei Rechtsquellen nebeneinander, eine Zumutung für die Rechtsunterworfenen. Die ursprüngliche Reform wurde gleichsam durch „eine-Reform-nach-der-Reform“ in mehreren Punkten ersetzt oder ergänzt und in einem Punkt sogar wieder rückgängig gemacht. Es ist schon schwer genug bei einem Artikel-Gesetz den Durchblick zu behalten. Bei zwei Artikel-Gesetzen (der beiden Bundestags-Drucksachen 20/5370 und 20/6015) und der Fortgeltung des von der Reform unberührten Rechts verlieren auch viele Wahlrechtsexperten die Übersicht über das in einander verwobene Normengeflecht. In Drucksache 20/6015 werden auf Seite 7, unter Art. 2 c) die Nummern 9 bis 11, und unter Art. 2 g) die Nummer 18 in der Drucksache 20/5370 wieder gestrichen, also die ursprüngliche Textfassung, die vor der Reform bestand, wieder hergestellt. – Ein Widerruf gesetzgeberischer Neuerungen ist ein besonders unrühmliches Novum in der Geschichte des BWahlG. Genau genommen macht hier der Wahlgesetzgeber „viel Lärm um nichts“.

Nach der gleichsam „über Nacht“ abgeänderten Textfassung (BT-Drs. 20/6015) soll der Bun­destag künftig nicht 598, sondern 630 Mitglieder haben, und das ist jedenfalls ein unüberwind­barer Gesetzesbefehl. Eine schon lange überfällige Gesetzgebungsmaßnahme. Dieser Imperativ schließt – endlich – jede Überschreitung der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestages durch Überhang- und Ausgleichsmandate von vorneherein aus. Die vorgegebene Mitgliederzahl des Bundestages kann also nicht überschritten werden. Zum Wahlergebnis dürfen weder irgend­welche Überhang- noch Ausgleichsmandate hinzugezählt werden. Und das ist das definitive Ende aller konkurrierenden Anordnungen zur Regelung von sog. „Überhangmandaten“ durch eine „verbundenen Mehrheitsregel“, die in § 1 Abs. 3 Satz 2 BWahlG n.F. und in § 2 bis § 6 BWahlG n.F. neu getroffen wurden. Diese Vorschriften sind obsolet und ersatzlos zu streichen.

Die leidigen Ausgleichsmandate sind schon nach drei Legislaturperioden gleichsam „sang- und klanglos“ wieder von der Bildfläche verschwunden. Das Gleiche gilt auch für die vermeintli­chen „Überhangmandate“, würden die Wahlleiter der bloßen Logik folgen, dass aus 299 Wahl­kreisen nicht mehr als 299 Wahlkreis-Sieger hervorgehen können, und irgendwelche unzuläs­sigen Überhangmandate jenseits der 299 Wahlkreise nicht länger zum Wahlergebnis hinzuge­zählt werden dürfen. Weil für mehr als 299 Direktmandate schlicht und einfach die Wahlkreise fehlen, wäre der ganze Spuk sofort vorbei. Dann nämlich verschwinden schon jetzt alle ver­meintlichen „Überhänge“ außerhalb der 299 Wahlkreise von der Bildfläche, wie davor die sog. „Ausgleichsmandate“ wieder verschwunden sind. Überhangmandate sind ein Zählfehler. Kein Wähler kann mit einer gültig abgegebenen Erststimme ein ungültiges Direktmandat vergeben.

Der zentrale Rechtsbegriff der bisherigen „Zweitstimme“ wurde im ursprünglichen Reform­gesetz (BT-Drs. 20/5370) durch das Wort „Hauptstimme“ ersetzt. Diese generelle Umbenen­nung zur „Hauptstimme“ wurde in der geänderten Textfassung (BT-Drs. 20/6015) an allen Textstellen widerrufen, also wieder rückgängig gemacht. Der ursprüngliche Rechtsbegriff der Zweitstimme habe sich „bewährt“, heißt es dazu in der Drucksache lakonisch. Der Wahlgesetz­geber selbst hat also nach der 1. Lesung den Plan wieder fallen lassen, der Zweitstimme durch Umbenennung eine andere als die bisherige Wortbedeutung zu geben. Kurzum die Zweitstim­me heißt so wie eh und je, weil sie eben gerade nicht die Hauptstimme ist, sondern gegenüber der Erststimme als nachrangig einzuordnen ist.

Die „personalisierte“ Verhältniswahl soll dennoch durch die „verbundenen Mehrheitsregel“ ersetzt werden. Den gewöhnlich anzutreffenden Normalbürgern des Wahlvolkes erschließt sich der damit verbundene Systemwechsel nicht. Auch Experten tun sich damit schwer. Für beides gibt es keine allgemeinverständlichen Legaldefinitionen, die der gewöhnlich anzutreffende Wähler in ihrer tieferen Bedeutung nachvollziehen kann. Nimmt man sich „pars pro toto“ allein den geänderten Wortlaut von „§ 6 – Vergabe der Sitze an die Bewerber“ vor, zeigt schon ein kurzer Blick, um zu erkennen, dass Gesetzestext insgesamt, so wie er mit der BT-Drs. 20/6015, beschlossen wurde, die Anforderungen des BVerfG v. 3.7.2008; BVerfGE 121, 266 (316) wie­derum nicht erfüllt, endlich „das für die Wähler kaum noch nachvollziehbare Regelungsge­flecht auf eine normenklare und verständliche Grundlage zu stellen.“

Wie beantragt ist das neue BWahlG schon aus diesen beiden Gründen insgesamt zu verwerfen.

II.

Teil B des Antrags

„In der Sache richtet sich der Antrag auf die höchstrichterliche Beseitigung der mehrfachen Verletzungen von Art. 38 und 20 GG, die nachfolgend unter den Ziffern 1.) bis 7.) einzeln aufgeführt sind.“

Zu Teil B, Ziff. 1.) des Antrags:

„Der grundsätzliche Richtungswechsel hin zur mittelbaren Verhältniswahl, mit Vorrang vor der unmittelbaren Personenwahl, (§ 1 Abs. 2, Satz 1 BWahlG n.F.), ist zu unterbinden.“

Begründung:

Die Personenwahl ist ein Gebot der Verfassung. Die sog. „Verhältniswahl“ ist es nicht. Die Erststimme ist also die Hauptstimme, die Zweitstimme ist es nicht.

Die Unmittelbarkeit der Wahl ist ein strenger Verfassungsbefehl. „Eine Wahl erfolgt unmittel­bar, (direkt) i.S. des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn (…) die Abgeordneten allein durch Stimm­abgabe der Wähler bestimmt werden (…).“ (Vgl. Schreiber/Strelen (2017), § 1, Rdnr. 15, mit zahlr. Verweisen auf die einschlägigen Entscheidungen des BVerfG in Anm. 29). Das schließt den grundsätzlichen Richtungswechsel hin zur mittelbaren „Verhältniswahl“ aus, wie er in § 1 Abs. 2, Satz 1 BWahlG n.F. getroffen wurde.

Die Verhältniswahl ist eine Blockwahl. Die Liste wird als Ganze, d.h. „en bloc“ gewählt. (So auch Schreiber/Strelen BWahlG, 2017, § 1, Rdnr. 114 u. Rdnr. 117.) Die Blockwahl ist um­stritten. Sie gilt als „undemokratisch und damit verfassungswidrig“. (Vgl. Scholz, „Deutsch­land in guter Verfassung“, 2004, S. 131.) Auf den amtlichen Stimmzetteln wird mit der Zweit­stimme nicht der Name einer Person, sondern der Name einer Partei gekennzeichnet. Den Stimmzetteln sind nur die Namen der fünf Listenführer zu entnehmen. (Vgl. § 30 Abs 2 Ziff. 1 BWahlG a.F.) Die Namen der übrigen Listenbewerber gingen in großen Bundesländern bei großen Volksparteien aus den Stimmzetteln noch nie hervor, die Wahl von 1949 ausgenommen. Eine namentliche Auswahl aus den Landeslisten gab der Stimmzettel in den genannten Fällen nicht her, weil sie gar nicht auf den Stimmzetteln erscheinen. Aber auch aus den Namen der fünf Listenführer konnten die Wähler allein durch Stimmabgabe in der Wahlkabine keine Auswahl treffen. Daran hat sich seit 1953 bis heute nie etwas geändert. – Viele Wähler kennen also nicht einmal den Namen der Personen, die sie wählen sollen.

Auf den Stimmzetteln wird seit 1953 mit der Zweitstimme nicht der Name einer Person, son­dern der Name einer Partei gekennzeichnet. Eine Partei kann nicht selbst wählen und deshalb auch gar nicht als solche gewählt werden. Für sich allein genommen ist die nur mittelbare „Ver­hältniswahl“ allein mit der Zweitstimme nicht verfassungskonform. Sie muss durch die Erst­stimmen vollständig personalisiert werden („personalisierte“ Verhältniswahl). Bei einer Wahl mit zwei Stimmen ist die lückenlose Erststimmendeckung unerlässlich, wenn die Verletzung der unmittelbaren Wahl auf der Seite der indirekten Parteienwahl durch die gleichzeitige Direkt- oder Personenwahl ergänzt, vor allem aber geheilt werden soll.

Als 1949 das Grundgesetz entstand wollte niemand aus dem Parlamentarischen Rat zu den Weimarer Verhältnissen zurückkehren. Die abschreckenden Erfahrungen mit der sog. „Verhäl­tniswahl“, wie sie in Art. 22 der Weimarer Reichsverfassung ausdrücklich niedergelegt war, ließen das nicht länger zu. Zwischen 1919 und 1930 gab es 16 Regierungen. Alle Regierungen zwischen 1920 und 1931 wurden vorzeitig aufgelöst. Die Verhältniswahl wurde daher aus dem Grundgesetz verbannt. Sie hat heute keinen Verfassungsrang mehr. Das ist unstreitig. Das Ver­fassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, der einfache Wahlge­setzgeber sei bei der konkreten Ausgestaltung des Wahlverfahrens frei. (BVerfG v 25.7.2012; BVerfGE 131, 316 (334 f.). Gewiss, das setzt jedoch die Einhaltung der in Art. 38 GG nor­mierten Wahlrechtsgrundsätze nicht außer Kraft. Die unmittelbare Wahl der Abgeordneten ist und bleibt ein unabdingbares Verfassungsgebot.

Im Standard-Kommentar zum BWahlG beschreibt Karl-Ludwig Strelen die Wahlhandlung zutreffend als „Personenauswahl-Entscheidung“ (Schreiber/Strelen, BWahlG 2017, § 1, Rdnr. 5.) Der Kommentator, Johann Hahlen, wird noch deutlicher und spricht: „(…) von dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verbürgten Prinzip der Personenwahl (…)“. (Schreiber/Hahlen, BWahlG 2017, § 48, Rdnr. 13.) Das Bundesverfassungsgericht sagt umgekehrt: „Eine bloße Parteien­wahl schließt die Verfassung aus.“ (BVerfG v. 26.2.1998, BVerfGE 97, 317 (323), Nachrücker-Entscheidung). Und „der Grundsatz der unmittelbaren Wahl verbietet die indirekte Wahl (…)“. (Vgl. BVerfGE 47, 253 (279).) Dem wird in der Begründung zur Reform entgegengehalten, auch nach Auffassung BVerfG sei das geltende Wahlverfahren „seinem Grundcharakter nach, eine Verhältniswahl“. (Vgl. BVerfG v. 25.7.2012; BVerfGE 131, 316, 2. Leitsatz, (359 ff), Entscheidung zur Deckelung der Überhänge.) Gewiss, diese höchstrichterlichen Ausführungen passen nicht zusammen.

Dem Grundgesetz ist die sog. „Verhältniswahl“ als Rechtsbegriff fremd. Entstehungsgeschicht­lich ist dieses Verfahren aus dem Grundgesetz verbannt worden. Beides gibt bei der Auflösung der höchstrichterlichen Spruchkonkurrenz den Ausschlag. Das Grundgesetz verlangt die unmit­telbare Abstimmung über die Person der Abgeordneten, Männer und Frauen, die das gesamte Volk bei der parlamentarischen Willensbildung vertreten sollen. Die sog. „Verhältniswahl“ ist dagegen keine unmittelbare, sondern nur eine mittelbare Blockwahl: Mit der Zweitstimme wird auf den Stimmzetteln nicht der Name einer Person, sondern der Name einer Partei gekenn­zeichnet. Eine freie Auswahl der Bewerber aus den Namenslisten der Parteien findet nicht statt. Volkstümlich formuliert, muss der Wähler bei einer bloßen Verhältniswahl „die Katzen im Sack kaufen“.

Wie beantragt ist der grundsätzliche Richtungswechsel zur mittelbaren Verhältniswahl zu ver­werfen und die Ergänzungsbedürftigkeit der indirekten Verhältnis- bzw. Parteienwahl“ durch die unmittelbare Direkt- bzw. Personenwahl festzustellen.

Zu Teil B, Ziff. 2.) des Antrags:

„Das systemwidrige Zurückbleiben der 299 Wahlkreise hinter der Gesamtzahl der 630 Mitglie­der des Bundestages (§ 1 Abs. 3, Satz 1 BWahlG n.F.) ist zu untersagen.“

Begründung:

Das Grundgesetz verlangt die unmittelbare Wahl aller 630 Abgeordneten. Hierfür stehen aber nur 299 Wahlkreise zur Verfügung.

Die Doppelwahl mit zwei Stimmern darf nicht auf – ungefähr – halben Wege stehen bleiben. Das einfache Wahlrecht mit zwei Stimmen ist seinem Grundcharakter nach ein „mixtum com­positum“, ein Mischmasch aus Personen- und Parteienwahl, also weder das eine noch das an­dere, sondern beides irgendwie zusammen. Wenn man schon alle Abgeordneten zweimal wäh­len soll, muss gewährleistet sein, dass dies auch tatsächlich geschieht. In einem Parlament mit 630 Sitzen muss es deshalb auch 630 Wahlkreise geben.

Niemand kann 630 Sitze im Bundestag durch die Erststimme „personifizieren“, wenn von vor­neherein nur 299 Wahlkreise zur Verfügung stehen. (Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 BWahlG n.F.) Es widerspricht dem Grundsatz der gleichen Wahl, wenn 299 Volksvertreter mit beiden Stimmen, 331 von ihnen aber nur mit einer Stimme gewählt werden können, weil es für eine lückenlose Doppelwahl gar nicht genug Wahlkreise gibt. Also müssen alle 299 Wahlkreise verkleinert und damit der Anzahl nach auf 630 Wahlgebiete mit Personenwahl angehoben werden. Wenn man unbedingt will, kann man natürlich alle 630 Abgeordneten zweimal wählen: einmal mit der Erststimme und noch einmal mit der Zweitstimme. Aber einmal, und zwar unmittelbar wählen, ist natürlich genug. Wenn die Wahlentscheidung mit der Erststimme gefallen ist, dann ist die Partei des Gewählten automatisch mitgewählt und braucht nicht mit der Zweitstimme gesondert wiederholt zu werden.

Wie beantragt, ist höchstrichterlich zu verfügen, dass die gesetzlich vorgegebene Sollzahl der Mitglieder des Parlaments immer mit der Zahl der Wahlkreise deckungsgleich zu sein hat.

Zu Teil B, Ziff. 3.) des Antrags:

„Das Verfahren der Zweitstimmendeckung, gemäß § 1 Abs. 3, Satz 2 BWahlG n.F. sowie § 6 Abs.1 Satz 1 BWahlG n.F., darf nicht neu eingeführt werden.“

Begründung:

Bei der Zweitstimmendeckung wird zusammengeführt, was nicht zusammengehört. In einer Wahl mit zwei Stimmen, dürfen beide Stimmen nicht gegeneinander gerichtet werden. Dadurch verliert die gesamte Wahlentscheidung ihre Eindeutigkeit.

Das Staatsvolk ist der Souverän der Republik. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ (Vgl. Art. 20, Abs. 2 GG.) Das Volk tut seien Willen vor allem in regelmäßigen Wahlen kund und bestimmt aus eigenem und freiem Ermessen, wer als Vertreter des ganzen Volkes im Bundestag an der parlamentarischen Willensbildung mitwirken darf und wer nicht. Diesem Verfassungs­gebot hat der einfache Wahlgesetzgeber zu folgen, tut es aber nicht.

In § 1 Abs. 3 Satz 2 BWahlG n.F. (BT-Drs. 20/6015) heißt es: „Jede Partei erhält in jedem Land für diejenigen ihrer Bewerber, die in den Wahlkreisen in diesem Land die meisten Erst­stimmen erhalten haben, die Sitzzahl, die von den auf die Parteien entfallenden Zweitstimmen gedeckt ist (Zweitstimmendeckung).“ In § 6 Abs. 1, Satz 1 heißt es weiter: „Ein Wahlkreisbe­werber einer Partei ist dann als Abgeordneter gewählt, wenn er die meisten Wählerstimmen auf sich vereinigt und im Verfahren der Zweitstimmendeckung einen Sitz erhält (…).“ Damit führt der Wahlgesetzgeber eine Art Sperrklausel für Direktmandate ein, unterwirft die Per­sonenwahl der Parteienwahl, verletzt deshalb den Grundsatz der unmittelbaren und freien Wahl und stellt im Ergebnis die Parteiensouveränität über die Volkssouveränität.

Durch die Zweitstimmendeckung entsteht gleichsam ein „negatives“ Stimmengewicht. Ein Zu­wachs an Erststimmen steigert das Risiko, ein Direktmandat zu verlieren. Die Wähler können in der Wahlkabine nicht erkennen, ob und inwieweit sie überhaupt gültig gewählt haben. (Vgl. BVerfG 25.7.2012; BVerfGE 131, 316 (347).) Sie müssen es ertragen, dass ihre gültig abge­gebene Stimme u.U. nachträglich für ungültig erklärt werden könnte. Ein solcher Eingriff in die Volkssouveränität ist mit Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz unvereinbar.

Der Wahlgesetzgeber greift durch die Anordnung der Zweitstimmendeckung (gemäß § 1 Abs. 3, Satz 2 BWahlG n.F. sowie § 6 Abs.1 Satz 1 BWahlG n.F.) nachträglich in das Wahlergebnis ein und verfälscht insoweit die Entscheidung des souveränen Staatsvolkes. Was mit der Erst­stimme zu entscheiden war, kann nicht nach der Wahl nach Maßgabe der Zweitstimme annull­iert werden. Was am Wahlsonntag gültig entschieden wurde, kann nicht bei der Verkündung der Wahlergebnisse am nächsten Montag wieder für ungültig erklärt werden, so dass der Wahl­kreis leer bleibt und die Zahl der gesetzlichen Mitglieder des Parlaments unter 630 Köpfe sinkt. Diese offensichtliche Verletzung der in Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz garantierten Volkssouverä­nität durfte das Staatsoberhaupt nicht unterzeichnen und schon gar nicht zum Gesetz erheben.

Das Volk tut seien Willen vor allem in Wahlen kund. Der Stimmzettel entscheidet. Auf diesem Fundament fußt die Demokratie. Die Wähler haben kein Recht auf einen vakanten Wahlkreis. Sie haben einen grundrechtlich garantierten Anspruch auf einen von ihnen selbst ausgewählten Volksvertreter. Gewählt ist gewählt. Wer die meisten Stimmen errungen hat, ist der Beste unter allen Mitbewerbern. Er ist und bleibt der Wahlkreissieger. Das ist unstreitig. Der Wahlgesetz­geber ist nicht befugt, den Wahlleitern zu gestatten, diesen Sieg über den Kopf der Wähler hinweg nachträglich umzustoßen und zu annullieren.

Wie auch immer verlangt die „personalisierte“ Verhältniswahl mit zwei grundverschiedenen Stimmen die lückenlose Erststimmendeckung für alle 630 Mandate und das schließt das sog. „Stimmensplitting“ aus. Die Zweitstimme kann nicht zur Hauptstimme gemacht werden, mit der das strenge Verfassungsgebot der unmittelbaren Personenwahl fallweise ausgehebelt wird, schon gar nicht nachdem die Wähler ihre Stimmzettel abgegeben haben und die Wahllokale schon geschlossen sind, eine Zustimmung der Wähler also ausgeschlossen ist. Alle Direktman­date sind verfassungsrechtlich garantierte Grundmandate und können niemals bei der Auszäh­lung der Wahlergebnisse nachträglich annulliert werden. Man kann nicht nach der Wahl ent­scheiden, wen die Wähler mit der Erststimme nicht wählen durften, weil das die mittelbare Parteienwahl mit der Zweitstimme nicht hergeben würde. Wer das Wahlergebnis nachträglich ganz oder teilweise verändert, verbessert, ergänzt, ausgleicht, korrigieren oder sogar annul­lieren will, der verfälscht es auch. Deshalb „Hände weg vom Wahlergebnis“. (Vgl. dazu auch NJOZ 2023, 161.)

Wie beantragt ist die grundrechtswidrige Hürde der Zweitstimmendeckung (nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BWahlG n.F.) in allen Fundstellen der Novelle zu verwerfen und der verfassungsrecht­lich garantierte Vorrang der unmittelbaren Personenwahl mit der Erststimme vor der bloßen Parteienwahl mit der Zweitstimme zu bestätigen.

Zu Teil B, Ziff. 4.) des Antrags:

„Die Verletzung des föderativen Staatsaufbaus durch Oberverteilung bzw. Unterverteilung der Zweitstimmen nach § 4 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 BWahlG n.F. sowie § 5 Abs. 1 BWahlG n.F. ist zu beseitigen.“

Begründung:

Wahlen werden nicht ausgerechnet, sondern ausgezählt. Die Abgeordneten werden grundsätz­lich nicht im Bund, sondern getrennt voneinander in 16 Bundesländern gewählt. Die Zweit­stimme ist eine Landesstimme. Das ist unstreitig. Die Wahlergebnisse der 16 Bundesländern sind endgültig.

In den nachgeschobenen Änderungen zur Ursprungsfassung der Reform heißt es dagegen: „Die insgesamt abgegebenen Zweitstimmen werden zunächst bundesweit ins Verhältnis gesetzt und die Zahl der den einzelnen Parteien zufallenden Mandate bestimmt (Oberverteilung), bevor diese dann auf die einzelnen Landeslisten verteilt werden (Unterverteilung).“ (BT-Drs. 20/6015, S. 4.) In der amtlichen Begründung zu § 4 BWahlG n.F. heißt außerdem: „In der Vorschrift wird die Durchführung der Verhältniswahl in der Verteilung der Sitze zwischen den Parteien (Oberverteilung) und den Landeslisten (Unterverteilung) geregelt. Die vorgeschaltete Errechnung von Mindestsitzzahlen anhand der Bevölkerungszahlen der Länder entfällt.“ (BT-Drs. 20/5370, S. 14)

Dem steht die föderative Staatsordnung entgegen, die in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegt ist. „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein (…) Bundesstaat.“ Die Bundesstaatlichkeit hat Ver­fassungsrang. Wie die USA ist auch die Bundesrepublik in Deutschland ein föderativ organi­siertes Staatsgebilde. Diese Garantie findet ihren besonderen Ausdruck im föderativ organisier­ten Wahlrecht. Gewählt wird in 299 Wahlkreisen, die auf die einzelnen Bundesländer verteilt sind. Gewählt wird außerdem mit Landeslisten in 16 Bundesländern. Gerade auch die Wahl mit Landeslisten ist Ländersache. Eine fakultative Zusammenfassung zu Bundeslisten gab es, gibt es aber nicht mehr. Jedenfalls wurde § 7 BWahlG (a.F. vor 2011) auf Vorschlag des Verfas­sungsgerichts (BVerfG v. 3.7.2008, BVerfGE 121, 266 (315), Entscheidung zum „negativen“ Stimmengewicht) mit dem Gesetz von 2011 aufgehoben. (Vgl. BWahlG v. 25.11.2011 (BGBl I, S. 2313). Bundeslisten gehören also einer weit entfernten Vergangenheit an.

Fläche und Umfang der Wohnbevölkerung sind in den einzelnen Bundesländern sehr ver­schieden ausgeprägt. Das kleine Saarland durfte bisher 7 Saarländer in das Parlament wählen; der etwas größere Stadtstaat Hamburg 13 Hamburger. Usw. usf. Der Freistaat Bayern konnte als zweitgrößter Flächenstaat 93 gewählte Bayern nach Berlin schicken und aus NRW stamm­ten 127 Nord-Rheinländer und Westfalen. Es liegt daher auf der Hand, dass die unterschiedli­chen Landessitzkontingente für 630 Mitglieder des Bundestages neu berechnet und leicht er­höht werden müssen, und zwar ohne den grundrechtlich geschützten Länderproporz aus der Balance zu bringen.

Seit 2002 wurden die vorgegebenen Landessitzkontingente in besonders auffälligem Umfang durch Überhang und Ausgleichsmandate regelmäßig „über den Haufen“ geworfen. Die neu festgelegte Zahl der 630 Mitglieder des Parlaments ist eine verbindlich vorgegebene Größe, die weder auf Bundes- noch auf Landesebene überschritten werden darf. Und in einer freien Wahl mit zwei voneinander getrennten Stimmen muss der Wählerwille aus beiden Verfahren auch dann respektiert werden, wenn sich auf der Ebene der Bundesländer die Zahl der gewählten Direktmandate und der erzielten Listenplätze bei einer Landespartei unterscheiden sollte. Zwei getrennte Stimmen sind zwei getrennte Wahlen. Und es macht keinen Sinn, beide Stimmen zu vermengen und vermischen oder sogar gegeneinander zu richten.

Die bundesstaatlichen Wahlergebnisse in den 16 Bundesländern sind maßgebend. Sie sind ge­trennt voneinander auszuzählen und zu verkünden. Die Abgeordneten ziehen als Landesgrup­pen in den Bundestag ein. Die verschiedenen Landsmannschaften aus 7 Saarländern, aus 13 Hamburgern, aus 93 Bayern etc. schließen sich dort zu parteipolitisch getrennten Fraktionen zusammen. Die den 16 Bundesländern zustehenden Landessitzkontingente sind endgültig und können nicht überschritten werden. Die in der Begründung zu § 4 (auf Seite 14 der BT-Drs. 20/5370) getroffene Erläuterung: „Die vorgeschaltete Errechnung von Mindestsitzzahlen an­hand der Bevölkerungszahlen der Länder entfällt“, ist abwegig und verletzt die föderative Staatsordnung.

Wie beantragt hat die Ermittlung einer von den 16 Landesquoten abweichende, gemeinsame Bundesquote, und die damit verbundene Gleichschaltung der Landesparteien in den verschie­denen Bundesländern zu unterbleiben. Bundeslisten gibt es nicht. Die 16 ausgezählten Landes­quoten sind unterschiedlich, verbindlich, endgültig und nicht zu unitarischen Bundesquoten umrechnungsfähig.

Zu Teil B, Ziff. 5.) des Antrags:

„Die offensichtlich überhöhte Bemessungsgrundlage einer Bundessperrklausel für die Träger von Landeslisten in den 16 Bundesländern (§ 4 Abs. 2 Ziff. 2 BWahlG n.F.) ist zu verwerfen.“

Begründung:

Eine Bundessperre widerspricht der föderativen Staatsordnung. Sie ist durch regionale Landes­sperren in den 16 verschiedenen Bundesländer zu ersetzen.

Die Sperrklausel ist eine Ausnahme. Die Grundmandatsregel eine Ausnahme von der Ausnah­men. Deswegen fällt es schwer, im ohnehin unübersichtlichen Normengeflecht aus BT-Drs. 20/5370 und BT-Drs.20/6015 den gesetzgeberischen Willen aufzuspüren. Nicht berücksichtigt werden bei der Verteilung der Zweitstimmen solche „Parteien“, die weniger als 5 Prozent der „im Wahlgebiet“ gültig abgegebenen Zweitstimmen erhalten haben. Außer dem Wortlaut hat sich gegenüber dem bisherigen Recht daran in der Sache, nach wie vor, nichts geändert. – Aber was heißt hier „Parteien“, und was heißt hier „Wahlgebiet“? Beide Begriffe sind zu unbe­stimmt und können so nicht angewendet werden.

Erschwerend kommt die allgemeine Verwirrung hinzu, weil sich die drei Mehrheitsfraktionen im Bundestag nur drei Tage vor der Endabstimmung im Bundestag, am 17.3.2013, handstreich­artig, entschlossen haben, die sog. Grundmandatsregel fallen zu lassen, also die gewohnte Verschonung vor der Fünf-Prozent-Hürde zu streichen, wenn die „Parteien“ in mehr als drei Wahlkreisen die meisten Wahlkreisstimmen erhalten haben. Und das hat weitreichende Folgen. Betroffen sind nicht nur die sog. Regionalparteien, wie etwa die ehemalige Bayernpartei, die frühere PDS, die bayerische CSU, oder der sog. „dänische“ Wählerverband in Schleswig-Hol­stein. Gewiss muss gleiches Recht unter allen mit einander konkurrierenden Trägern von Lan­deslisten geschaffen werden, die jeweiligen Landesverbände der Bundesparteien wie der CDU und der SPD etc. natürlich eingeschlossen. Das geht aber nicht, denn die beiden Länder, Bremen und das Saarland, wären für eine Bundessperre von 5 Prozent aller Zweitstimmen im gesamten Bund von vorneherein schon viel zu klein. Kleine Länder wie Bremen und das Saarland wären dann überhaupt nicht im Bundestag vertreten.

Der Direktwahl mit den Erststimmen ist eine Sperrklausel fremd. Die Fünf-Prozent-Hürde gilt allein der Zweitstimme. Sie führt zu einer groben Verzerrung der Verhältniswahl, weil die Zweitstimmen der Wähler zu anderen Parteien abwandern, die von ihnen gar nicht gewählt wurden. Das hat das Verfassungsgericht nolens volens akzeptiert, aber angeordnet, dass die Fünf-Prozent-Hürde im Europaparlament entfällt, im Bundestag jedoch Bestand hat, dort aber auf keinen Fall erhöht werden darf, und in ihrer Auswirkung auf die Repräsentation des ge­samten Staatsvolkes im Parlament auch nicht außer Kontrolle gerät. Es darf also nur ein gering­fügiger Teil des Staatsvolkes von der Wahl ausgeschlossen werden. (Vgl. dazu Schreiber/Stre­len BWahlG 2017, § 6, Rdnr. 36 ff mit allen Hinw. zur Rechtsprechung des BVerfG in Anm. 29.)

Inwieweit die Streichung der Grundmandatsregel schon eine Verschärfung der Sperrklausel ist, die das Verfassungsgericht bereits verworfen hat, kann dahingestellt bleiben. Denn mehr Licht kommt in die Sache, wenn man sich klar macht, dass im ausschlaggebenden Wortlaut des § 4 Abs. 2 Ziff. 2 BWahlG n.F. (BT-Drs. 20/5370, Seite 6 (und Seite 18)) mit dem unscharfen Begriff „Parteien“ keine Bundesparteien, sondern Landesverbände von Bundesparteien, und mit dem zu weit gefassten Begriff „Wahlgebiet“ nicht etwa das Staatsgebiet insgesamt, sondern der Geltungsbereich der Listenwahl in den 16 Bundesländer gemeint sein können. Träger der Landeslisten sind nicht die Bundesparteien, sondern einzig und allein ihre regionalen Landes­verbände. Hinzu kommen eigenständige Landesparteien wie etwa die CSU, oder auch andere Wählergemeinschaften. Und das „Wahlgebiet“ für die Sperrklausel ist nicht etwa der gesamte Bund, sondern der jeweilige Geltungsbereich für die Zweitstimmen in 16 verschiedenen Bun­desländern. Die Zweitstimmen gilt also nicht im gesamten Bundesgebiet, sondern im jeweiligen Land.

Gewählt wird nebeneinander mit getrennten Landelisten in 16 Bundesländern. Das ist unstreitig und wird durch die in Art. 20 Abs. 1 GG fest verankerte Bundesstaatlichkeit in der Verfassung garantiert. Saarländer wählen ihre Abgeordneten im Saarland, Hamburger in Hamburg, etc. Die Bayern stimmen über die bayerischen Volksvertreter ab und die Nordrheinländer zusammen mit den Westfalen in NRW. Gerade im Fall einer eigenständigen Landespartei wie etwa der bayerischen CSU wird besonders augenfällig, dass eine Bundessperrklausel für Landesparteien grundsätzlich eine offensichtlich überhöhte und deshalb grundfalsche Bemessungsgrundlage ist.

Für sämtliche Landeslisten kommt eine Bundessperre grundsätzlich nicht in Betracht. Die Lan­deslisten im Saarland, Hamburg, in Bayern oder NRW können nicht außerhalb ihres „Wahlge­biets“, wo die Träger der Listen gar nicht gewählt werden, einer unverkennbar überhöhten Hürde unterworfen werden. Die Saarländer, Hamburger, Bayern oder die Wahlberechtigten aus NRW wählen mit mehr als 5 Prozent aller in ihrem jeweiligen Bundesland gültig abgegebenen Zweitstimmen diejenigen Landeslisten aus, die bei der Verteilung der Listenlätze im Saarland, Hamburg, Bayer oder in NRW zum Zuge kommen sollen. Eine Verschonung durch eine Grund­mandatsregel ist bei 16 verschiedenen Landessperren entbehrlich.

Das Wort „Wahlgebiet“ (in § 4 Abs. 2 Ziff. 2 BWahlG n.F.) ist also durch das Wort „Bundes­land“ zu ersetzen. Die generelle Bundessperrklausel fällt weg und wird wie beantragt durch 16 verschiedene Landessperrklauseln abgelöst. Das ist schon bei der ersten Bundestagswahl 1949 schon so gehandhabt worden. Ähnlich, aber vergleichbar gab es auch nach der Wiedervereini­gung im Jahre 1990 zwar nicht 16, wohl aber zwei verschiedene Sperrklauseln, eine in den 5 neuen und noch eine in den 11 alten Bundesländern.

Zu Teil B, Ziff. 6.) des Antrags:

„Die Überschreitung der Plätze im Bundestag durch nachträgliche Zuteilung von Ergän­zungsmandaten (sog. „Siegerprämien“) nach (§ 4 Abs. 4 BWahlG n.F.) hat zu unterbleiben.“

Begründung:

Die Zuteilung von Ergänzungsmandaten ist eine sog. „Angstklausel“. Diese Mandate sind mit den „Siegerprämien“ vergleichbar, die in Italien und Griechenland „in Mode“ waren, aber auch dort aber wieder abgeschafft wurden. In der Geschichte des deutschen Wahlrechts ist noch nie der Fall eingetreten, das eine Partei bundesweit mehr als die Hälfte aller Zweitstimmen erzielen konnte, zugleich aber die absolute Mehrheit aller Mandate verfehlt hat. Das für diesen Fall vorgesehene Ergänzungsmandat wäre also von niemandem vermisst worden, wenn es eine solche Regelung gar nicht gegeben hätte. Ergänzungsmandate spielen in der Praxis keine Rolle.

Nach § 4 Abs. 4 BWahlG n.F. hält der Wahlgesetzgeber ohne Not an einer verfassungswidrigen „Siegerprämie“ fest. Ergänzungsmandate sind aber keineswegs bedeutungslose Schönheits­fehler. Es darf auch nicht der Anschein entstehen, dass der Wahlgesetzgeber das Wahlergebnis nachträglich ergänzen darf. Die überflüssige Vorschrift ist wie beantragt ersatzlos zu streichen.

Zu Teil B, Ziff. 7.) des Antrags:

„Der sinnwidrige Austausch von Direktmandaten durch Listenplätze bei der Nachfolge in va­kante Wahlkreise (§ 48 BWahlG n.F.) ist zu verhindern.“

Begründung:

Wird ein Wahlkreis vakant, weil der Abgeordnete das Mandat nicht antritt, verstirbt oder aus dem Bundestag ausscheidet, wird der Nachfolger überall auf der Welt durch eine Nachwahl bestimmt. In Deutschland kommt indessen die sog. „Listennachfolge-in-Direktmandate“ zum Zuge. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen: Wer mit der Erststimme zu wählen ist, kann grundsätzlich nicht durch jemand ersetzt werden, über den mit der Zweitstimme abzustimmen ist. Bei der generellen Listennachfolge werden aber auch Abgeordnete mit Direktmandat durch Anwärter auf einen Listenplatz ausgetauscht. Erststimmen werden sachwidrig mit Zweit­stimmen vertauscht, obwohl das Gesetz in seiner gesamten Ausprägung anordnet, dass der Wähler zwei eigenständige Stimmen hat. Außerdem steht unstreitig fest, dass im Bundestag dauerhaft 299 Abgeordnete mit Direktmandat Sitz und Stimme haben sollen, was nur durch Nachwahl zu erreichen ist.

Die Listennachfolge-in-Direktmandate wurde mit der Nachrücker-Entscheidung des Verfas­sungsgerichts (BVerfG 26.2.1998; BVerfGE 97, 317) gerügt. Ein vakantes Direktmandat könne nicht nachbesetzt werden, solange die Landespartei des Mandatsträgers von „Überhängen“ be­schwert sei. Die Listennachfolge des § 48 BWahlG wurde solange übergangsweise ausgesetzt, bis der Gesetzgeber den Sachverhalt neu geregelt habe. Doch dieser reagierte darauf einfach nicht. Als Karl-Theodor zu Guttenberg und Julia Klöckner ihre Mandate niederlegten, blieben ihre Wahlkreise in Bayern und in Rheinlandpfalz unbesetzt, weil die bayerische CSU bzw. die Rheinlandpfälzer CDU damals mit sog. „Überhangmandaten“ beschwert waren.

Zehn Jahre später zeichnete sich ab, dass mit einer neuen Entscheidung des Bundesverfassungs­gerichts zu rechnen war. Deshalb wurde der säumige Gesetzgeber nun endlich doch noch tätig und verfügte seinerseits, dass der Wahlkreis unbesetzt bleibe, solange der Landespartei des ver­storbenen oder ausgeschiedenen Abgeordneten noch ein Überhangmandat anzulasten war. (Vgl. § 48 BWahlG auf BT-Drucksache 16/7462, S 4.). Als es nach dem Urteil (BVerfG v. 25.7.2012 BVerfGE) das neue BWahlG v. 3.5.2013 (BGBl I S. 1084) entstand machte der Wahlgesetzgeber alles wiederrückgängig, weil jetzt die vermeintlichen „Überhänge“ ausgegli­chen würden. Als der Bundestagsabgeordnete, Stephan Harbarth, in das Bundesverfassungsge­richt wechselte und sein Wahlkreis neu zu besetzen war, rückte dann wieder Nina Warken von der CDU-Landesliste in Baden-Württemberg nach.

Nach dem neuesten Stand der Dinge sind die Ausgleichsmandate gefallen und damit lebt die ursprüngliche Rüge des Verfassungsgerichts (BVerfG 26.2.1998; BVerfGE 97, 317) wieder auf, nämlich dass der Wahlkreis leer bleibt, solange die Landespartei des Ausgeschiedenen von Überhängen beschwert ist. Doch das ist keineswegs das qualvolle Ende dieser wechselhaften Normengeschichte. Mit der am 17.3.2023 beschlossenen Reform beginnt alles wieder von vorne. In der 20. Legislaturperiode wurde auch das 25. Gesetz zur Änderung des BWahlG (v. 14.11.2020, BGBl I S. 2395) schon wieder abgeändert. Nach nur drei Legislaturperioden ist die Kompensation durch Ausgleichsmandate ersatzlos weggefallen, die Listennachfolge fällt aber nicht weg, sondern lebt diesmal fort. Wenn man den hochkomplizierten und zusätzlich mit Verweisen überfrachteten Wortlaut von § 48 Abs. 1 BWahlG n.F. genau unter die Lupe nimmt und auch die weiteren Erläuterungen des Gesetzgebers hinzuzieht, kommen ernste Zweifel auf, was sich an der Listennachfolge in Direktmandate überhaupt geändert hat, oder ob man anneh­men muss, dass sich der Wahlgesetzgeber in seinem eigenen Normengeflecht verirrt und ledig­lich bestehendes Recht in neue Worte gekleidet hat.

Direktmandate konnten noch nie gegen Listenplätze ausgetauscht werden. Dieser Austausch war schon immer unzulässig und ist antragsgemäß – endlich – auszuschließen. Die 299 Direkt­mandate unter den 630 Mitgliedern des Bundestages sind daher durch Nachwahl zu besetzen. Bei den 331 verbleibenden Listenplätzen greift dagegen die Listennachfolge.

III:

Zu Teil C des Antrags

„Es werden schlussendlich zwei höchstrichterliche Hinweise (obiter dicta) beantragt,

erstens zur Wahl mit zwei Stimmen und

zweitens zum Homogenitätsgebot nach 28 GG, dass der Bund auch die verfassungsmäßige Ordnung der Länder, also die Gleichwertigkeit der Wahl in Bundestag und Landtagen zu ge­währleisten hat (große Reform des Wahlrechts)“

Zu Teil C, „erstens“:

„Jeder Wähler hat zwei Stimmen.“ (Vgl. § 1 Abs. 2 BWahlG n.F.) Würde man stattdessen nur mit einer Stimme wählen – wie in den USA, im Vereinigten Königreich oder Frankreich etc. – würde es überhaupt nicht zu Überhang- und Ausgleichsmandaten kommen.

Wer mit zwei Stimmen wählt, kann diese gegeneinander richten und holt sich damit gleichsam „den Teufel ins Haus“. So sind in nur 20 Legislaturperioden 25 Wahlrechts-Änderungsgesetze entstanden. Das Wahlrecht des Bundes gleicht einer „ewigen Baustelle“. Es darf außerdem daran erinnert werden, dass der Stimmzettel 1949 nur einmal gekennzeichnet werden konnte. Das strittige Stimmensplitting war damals ausgeschlossen.

Der Gesetzgeber hat die Wahl mit zwei voneinander getrennten Stimmen überhaupt erst 1953 eingeführt. Niemand kann physisch zweimal im Bundestag sitzen. Niemand soll zweimal an der parlamentarischen Willensbildung teilnehmen. Es macht keinen Sinn, „für ein Mandat zweimal zur Wahlurne zugehen“. (Vgl. dazu auch NJOZ 42/2020, v. 15.10.2020, S 1249.) Auch muss verhindert werden, dass man zweimal kandidieren kann, einmal für die Erststimme und noch einmal für die Zweitstimme. Wer sich für die Erststimme bewirbt, kann nicht auch für die Zweitstimme zur Wahl antreten und umgekehrt.

Es wird daher eine höchstrichterliche Klarstellung im Sinne eines „obiter dictums“ beantragt, dass sich die Überfrachtung der Wahl mit zwei Stimmen nicht bewährt hat, und der Wahlge­setzgeber gut daran tut, darauf ganz zu verzichten und sich von der Wahl mit zwei Stimmen zu verabschieden.

Zu Teil C, „zweitens“:

Am 12. Februar 2023 wurde über die 130 Vertreter im Abgeordnetenhaus von Berlin abge­stimmt, von denen überhaupt nur 87 in Wahlkreisen unmittelbar gewählt werden konnten. Tat­sächlich sind aber 159 Mitglieder in das “rote Rathaus“ eingezogen. Der Berliner Wahlleiter ließ auf Nachfrage mitteilen, in den 12 Stadtbezirken seien 10 sog. „Überhangmandate“ entstan­den, – die man offensichtlich zu den 87 Wahlkreissiegern hinzugezählt hat, obwohl es jenseits der 87 Berliner Wahlkreise überhaupt keine weiter Direktmandate mehr geben kann, also auch keine Überhangmandate. Den vermeintlichen „Überhang“ habe man nach Auffassung der Wahlbehörde durch 19 Ausgleichsmandate ausgleichen müssen. Der Ausgleich übersteigt also den Überhang fast um das Doppelte – eine Zumutung für jeden, der mit der Mengenlehre ver­traut ist.

Fünf Tage danach wurde am 17.3.2023 im Berliner Reichstagsgebäude, ein neues Bundeswahl­gesetz ganz ohne Ausgleichsmandate beschlossen. Beides zusammen ist mit dem in Art. 28 Abs. 3 GG verankerten Homogenitätsgebot unvereinbar. Denn dort heißt es: „Der Bund ge­währleistet, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten (…) ent­spricht.“ Es kann nicht sein, dass im Bund die Ausgleichsmandate verschwunden sind und die Überhänge annulliert werden sollen, in den Ländern wie in Berlin, aber auch in Bayern auf Dauer fortbestehen. Das widerspricht dem Homogenitätsgebot wie es in Art. 28 Abs. 1 GG niedergelegt ist. Danach muss nicht nur der Bundestag, es müssen auch alle Landtage aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgehen. Kurzum: Wenn die Überhang- und Ausgleichsmandate im Bundestag fallen, können sie in den Landtagen nicht dauerhaft überleben.

Es wird weiter ein höchstrichterlicher Hinweis („obiter dictum“) beantragt, dass die Wahl zum Bundestag und zu den Landtagen dem Homogenitätsgebot nach 28 Abs. 1 GG entsprechen muss und der Bund letztlich auch die verfassungsmäßige Ordnung der Länder zu gewährleisten hat, also eine große Wahlrechtsreform in Bund und Land auf Dauer unerlässlich ist.

München, den 6.4.2023

Dr. Manfred C. Hettlage

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