Negatives Ausgleichsmandat

Zählappell im Bundestag: Aus Bayern fehlt einer?

Der Bundeswahlleiter hat festgestellt, dass dem Freistaat Bayern im Deutschen Bundestag 92 Abgeordnete zustehen. (Vgl. dazu die „aktuelle Mitteilung des Bundeswahlleiters v. 9.10. 2013: http://www.bundeswahlleiter.de/de/aktuelle_mitteilungen/…) Beim „Zählappell“ melden sich im Berliner Parlament aber nur 91 Abgeordnete des Freistaates zur Stelle. (Vgl. www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete18/listebundesland/bayern .)

Die von der CSU aufgestellten Kandidaten erzielten in allen 45 Wahlkreisen Bayerns den Sieg. Sie wurden auf die Landesliste der Christ-Sozialen angerechnet. Hinzu kommen 11 weitere Abgeordnete der CSU, die nur über die Landesliste ihrer Partei in das Hohe Haus eingezogen sind. Die SPD konnte 22 Listenplätze gewinnen, die Grünen 9 und die Linke 4. Zählt man alles zusammen, dann ergibt sich als Summe nicht 92 Mandate, die dem Freistaat zustehen, sondern nur 91. – … aus Bayern fehlt einer?

Es kommt noch schlimmer

Erschwerend kommt noch hinzu: In vier Bundesländern Thüringen, Bandenburg, Sachsen-Anhalt und dem Saarland entstand bei der jeweiligen Landes-CDU ein so genanntes „Überhangmandat“, weil in den vier betroffenen Ländern die erreichten Listenplätze um einen Sitz hinter den von ihr erzielten Direktmandaten zurückgeblieben sind. Seit der Wahl von 2013 werden Überhangmandate ausgeglichen. Durch die nachträgliche Aufstockung der Listenplätze soll der Proporz unter den Landesparteien wieder hergestellt werden. Doch verschiebt sich dadurch der Proporz unter in den Bundesländern. Schon durch den Überhang, zusätzlich aber auch durch den anschließenden Mandatsausgleich unter den Landesparteien geht unweigerlich auch der Länderproporz unter den verbleibenden zwölf Bundesländern ohne Überhänge zu Bruch. Man sollte meinen, dass ihnen keine Ausgle4icvhsmandate zustehen. Aber so ist es nicht.

Dem Saarland steht zum Beispiel im Bundestag ein Kontingent von sieben Mandaten zu. Weil die Landes-CDU in allen vier Wahlkreisen des Landes gewonnen hat, aber nur 3 Listenplätze erlangen konnte, entstand an der Saar, anders als in Bayern, ein sogenannter „Überhang“. Er wurde bei den Listenplätzen unter den Parteien im Verhältnis ihrer Stimmenanteile ausgeglichen. Der nachgeschobene „Ausgleich“ fällt also der SPD des Saarlandes zu. Sie ist hinter der CDU die stärkste Landespartei und kommt nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zuerst zum Zuge. Ihr wird aus Gründen einer „ausgleichenden Gerechtigkeit“ ein zusätzlichen Listenplatz zugewiesen, … – für den es, wohlgemerkt, keine zusätzlichen Zweitstimmen gibt.

Wie gesagt verschieben Überhang und Ausgleich den Länderproporz zu den sonstigen Bundesländern. Es ziehen also zu viele Saarländer in den Bundestag ein. Zählt man nach, sind nicht sieben Saarländer, die das Land nach den Berechnungen des Bundeswahlleiters in Bundestag schicken darf. Es sind auch nicht acht, weil es ein Überhangmandat geben hat. Nein, mit dem Ausgleichmandat sind es neun Saarländer, die im Hohen Hause Sitz und Stimme haben. Und darin liegt ein unüberwindbarer Widerspruch: Feste Landeskontingente sind mit Überhang und Mandatsaufstockung bei der Sitzverteilung im Deutschen Bundestag unvereinbar. Die Landeskontingente werden gesprengt.

Niemand ist befugt, das Wahlergebnis „auszugleichen“

Was die Wähler dazu sagen, dafür interessiert sich niemand mehr. Ein nachgeschobener „Mandatsausgleich“, der ja erst nach der Wahl vorgenommen wird und das Wahlergebnis abändert, kann vor dem Prinzip der Volksherrschaft, die in Art. 20 Grundgesetz fest verankert ist, keinen Bestand haben. Alleiniger Urheber des Parlaments ist das Volk. Wer Volksvertreter wird, entscheidet das Volk durch Wahl und nur durch Wahl. Abgeordnete werden nicht ernannt, sie werden gewählt. Deshalb hätte es für den Mandatsausgleich wenigstens eine Eventualstimme, besser noch eine richtige Nachwahl geben müssen, mit allem was dazu gehört. Doch davon konnte 2013 keine Rede sein. Niemand ist befugt, das Wahlergebnis nachträglich „auszugleichen“. Vgl. dazu Publicus in den Ausgaben: 2013.9; 2013.10; und zuletzt 2014.6: http://www.publicus-boorberg.de/sixcms/detail.php?template=pub_artikel&id=boorberg01.c.276311.de

Zurück zum Freistaat Bayern. Zu den 92 Sitzen im Bundestag, die den Land zustehen, kam anders als in den sonstigen Bundesländern kein einziges „Ausgleichsmandat“ hinzu, um zu egalisieren, dass zu viele Saarländer, auch Thüringer, Brandenburger und Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt im Bundestag sitzen. Bayern ging bei den Ausgleichsmandaten leer aus. Schlimmer noch, beim Zählappell fehlt sogar einer. Wurde der Freistaat 2013 wirklich mit einem „negativen“ Ausgleichsmandat belastet? – In der Tat, so ist es.

Nachzählen kann man so oft man will

Man kann es nachzählen so oft man will: Am Mandatsausgleich nimmt der Freistaat Bayern nicht teil. Vgl. dazu die „aktuelle Mitteilung“ des Bundeswahlleiters v. 9.10.2013: http://www.bundeswahlleiter.de/de/aktuelle_mitteilungen/… Schlimmer noch, sitzen statt 92 Bayern nur 91 im Bundestag. Und das obwohl der Freistaat der zweitgrößte Flächenstaat im Bund ist und die CSU darin mit Abstand die stärkste Partei bildet, die bei einem Ausgleich nicht übergangen werden kann. Alle Bundesländer nehmen am Mandatsausgleich teil, auch diejenigen, in denen keine Überhangmandate entstanden sind, nur Bayern nicht. Doch damit nicht genug hat der Freistaat sogar ein Mandat weniger erhalten als dem Land zusteht.

Erklärungsversuche des Bundestags (vgl. www.bundestag.de/dip21/btd/18/027/1802700.pdf ), aber auch von Hans Meyer, („Das Leiden am Bundeswahlgesetz“, DÖV 2015, S. 700) sind „an den Haaren herbeigezogen“. Danach soll der Mandatsausgleich vor allem den Zweck dienen, die Unterschiede der Wahlbeteiligung in den 16 Bundesländern zu egalisieren. Dem steht jedoch die Verfassungsgarantie entgegen, dass die Wahl frei ist, und die Wähler der Abstimmung fernbleiben können, wenn sie das wollen. (Negative Wahlfreiheit) Der Gedanke, Nicht-Wähler durch nachgeschobene Ausgleichsmandate in das Ergebnis der Abstimmung miteinzubeziehen, findet im Grundgesetz keine verfassungsrechtlich haltbare Grundlage.

Das alles ist für sich allein genommen schon absurd genug, vorausgesetzt, es ging bei der Sitzverteilung im Bundestag überhaupt mit rechten Dingen zu. Und diese Frage darf man stellen. Mehr noch, man muss sie stellen.

 

 

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