OBERGRENZE FÜR AUSGLEICHSMANDATE

Die Katze beißt sich in den Schwanz

Überhangmandate sind so launisch wie das Wetter. Es bleibt nebelhaft, in welcher Zahl sie anfallen, in welchem Bundesland sie auftreten und welche Partei betroffen ist. Bei der Bundestagswahl v. 22.9.2013 entstanden vier Überhangmandate, und zwar in vier Bundesländern (Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und im Saarland), alle bei einer Landespartei der CDU. Das kam überraschend, jedenfalls hatte man weit mehr Überhänge erwartet. Für die bevorstehende Wahl im Herbst 2017 stellt sich nun die gleiche Frage, für die es wiederum keine eindeutige Antwort gibt. Niemand kann mit Gewissheit voraussagen, was passieren wird.

Die vier Überhänge, die es 2013 gab, wurden erstmals auch im Bund „ausgeglichen“, aber nicht durch vier, sondern durch 29 nachgeschobene Ausgleichsmandate. In den Bundestag zogen also 631 Abgeordnete ein. Davon sind 294 mit beiden Stimmen gewählt worden, der Erst- und der Zweitstimme. Vier weitere Abgeordnete wurden allein mit der Erststimme ge­wählt (sog. „Überhangmandate“). Hinzu kommen vier Abgeordnete, die nur mit der von der Erststimme abgespaltenen Zweitstimme gewählt wurden (systemwidrige Listenplätze). Das ergibt zusammen 303 Mitglieder des Bundestags, zu denen sich 299 Abgeordnete gesellen, die nur mit der Zweitstimme gewählt wurden, weil sie nicht mit beiden Stimmen gewählt werden konnten, denn dafür waren gar nicht genug Wahlkreise vorhanden. Damit erreichte der Bundestag eine Zahl von 602 – so oder so – gewählten Mandatsträgern. Sie wird durch die 29 nachgeschobenen Ausgleichsmandate auf 631 Abgeordnete erhöht, für die es auf der Seite der Wähler gar keine unmittelbare Abstimmung gab. Daher kann man es drehen und wenden wie man will: Für die 29 Abgeordneten, die lediglich ein nachgeschobenes Ausgleichsmandat bekleiden, gibt es keine demokratische Legitimation.

630 Abgeordnete sind genug

Bei der Bundestagswahl vom 19.9.2009 gab es 24 sog. Überhänge, die aber nicht durch eine unzulässige Vermehrung der 299 Wahlkreise entstanden sind, sondern dadurch, dass 24 Abgeordnete nicht mit beiden, sondern nur mit einer, nämlich allein der abgespaltenen Zweitstimme gewählt wurden, obwohl sie mit beiden Stimmen hätten gewählt werden sollen. Diese 24 Listenplätze wurden also von Parteien errungen, denen es nicht gelang, auch das dazugehörende Direktmandat zu erzielen. Überhangmandate sind also systemwidrige Listenplätze, die nicht durch die Erststimme personalisiert worden sind.

Gemessen an der vorangegangenen Wahl, bei der es zu 24 Überhängen kam und ohne Mandatsausgleich 622 Mitglieder den Bundestag bevölkerten, sind durch den Mandatsausgleich bei der letzten Wahl 631 Abgeordnete in den Bundestag eingezogen, obwohl es nur vier Überhänge gab. Der Gesetzgeber ist also vom Regen in die Traufe geraten. Mit Mandatsausgleich wäre es mit 24 Überhängen noch viel schlimmer gekommen. Das hat zu einer allgemeinen Verunsicherung geführt. Man will deshalb den Mandatsausgleich deckeln. 630 Abgeordnete sind genug. So sieht es jedenfalls der Präsident des Bundestages, Norbert Lammert, und will das sogar im Grundgesetz verankern.

Das hat aber einen gewaltigen Haken. Denn das Verfassungsgericht hat in seiner Grundsatz­entscheidung v. 25.7.2012, BVerfGE 131, 316 eine Obergrenze für die Überhänge festgelegt: 15 davon seien zulässig, ab dem 16. sei die Wahl ungültig, so die Richter in Karlsruhe. Wer­den die Überhänge ausgeglichen, kann die Obergrenze überschritten werden. Das ist jeden­falls die Auffassung, die sich allgemein herausgebildet hat. Wird nun der Mandatsausgleich auf 630 begrenzt, dann kommt es sehr schnell zu nicht ausgeglichenen Überhängen. 16 Über­hänge könnte man gerade noch durch 16 Ausgleichsmandate kompensieren, das 17. nicht mehr. Übersteigt der Ausgleich den Überhang – wie das 2013 ja der Fall war – dann wird die Obergrenze der ausgleichbaren Überhänge noch früher erreicht. Und bei mehr als 15 Überhängen ist die Wahl ungültig.

Die Katze beißt sich also in den eigenen Schwanz.

 

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