RECHTSPRECHUNG / AUSGLEICHMANDATE

Wie Kaninchen aus dem Hut gezaubert

Die einschlägige Entscheidung v. 25.7.2012, BVerfGE 131, 316 ff ( Az. 2 BvE 9/11; 2BvF 3/11; 2 BvR 2670/11) zur Deckelung der Überhänge ist im Internet im Originaltext leicht zugänglich. (Bundesverfas­sungsgericht/Entscheidungen/Datum/… ) Die Richter haben die Zahl der Überhänge beschränkt: 15 davon seien zulässig, mehr aber nicht. Ab dem 16. Überhang ist die Wahl ungültig. Das ist der gegenwärtige Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

2013 sind vier zulässige Überhänge in vier Bundesländern entstanden (in Thüringen, Brandenburg, Sach­sen-Anhalt, und im Saarland) alle bei einem Landesverband der CDU. Diese wurden ausgeglichen, aber nicht durch vier, sondern durch 29 Ausgleichsmandate! Für die vier  zulässigen Überhänge hat das Gericht in Karlsruhe eben gerade keinen Mandatsausgleich verlangt und schon gar nicht, dass der Ausgleich den Überhang um mehr als das Siebenfache übersteigen müsse. Es gibt nicht die geringste Spur einer höchstrichterlichen Anordnung dafür. Der Gesetzgeber kann nicht damit rechnen, dass diese maßlose Übertreibung seiner Wahlrechtsreform v. 3. Mai 2013 (BGBl I S. 1082) vor dem Grundgesetz Bestand haben könnte.

Ob ab dem 15 Überhang eine Verschonung durch einen Mandatsausgleich möglich ist, hat das Gericht nur am Rande als sog. „obiter dictum“ – also im Sinne einer Randbemerkung – andeutungsweise gestreift. Allgemein wird deshalb angenommen, das höchste Gericht würde mehr als 15 Überhänge akzeptieren, wenn es dafür einen Mandatsausgleich gibt, was auch immer das konkret heißen soll. Dass ein Ausgleich auch erforderlich werden könnte, obwohl dem auf der Gegenseite gar kein Überhang entspricht, das hat das Gericht mit keiner Silbe durchblicken lassen. Für jeweils sechs von sieben Ausgleichsmandaten gibt es einen Ausgleich, aber gar keinen Überhang. Es besteht also kein erkennbarer Sinnzusammenhang zwischen Ausgleich und Überhang. Also: 16 Überhänge = 16 Ausgleichsmandate. – Punkt!

Werden zu allem Überfluss auch die Ausgleichsmandate bei einer Höchstzahl von 16 Zusatzmandaten gedeckelt – wie das der Bundestagspräsident vorschlägt, der eine Obergrenze von 630 Mitgliedern des Bundestags einführen will –  dann kann es passieren, dass jenseits der Decklung mehr als 16 nicht ausgeglichene Überhänge entstehen. 2009 hat es 24 Überhänge gegeben, die man nicht mehr hätte vollständig ausgleichen können. Ganz abgesehen davon wird das Wahlrecht durch eine Deckelung der Ausgleichsmandate noch komplizierter als es ohnehin schon ist und von den Verfassungsrichtern in ihrer Entscheidung zum „negativen“ Stimmengewicht, BVerfG v. 3.7.2008, BVerfGE 121, 266 (316), mit großen Nachdruck gerügt worden ist.

Ohne Mitsprache der Wähler

Übrig bleibt dann immer noch die Frage, ob es möglich ist, dass nach der Wahl irgendwelche Mandate – ohne Mitsprache der Wähler! – nachgeschoben werden dürfen. Werden Ausgleichsmandate nachgescho­ben, muss natürlich auch die Abstimmung darüber nachgeschoben werden, welche Partei sie erhalten soll. Denn die Abgeordneten werden gewählt, und zwar ohne jede Ausnahme. Ob das Verfassungsgericht 29 Ausgleichsmandate akzeptiert, die 2013 wie „Kaninchen aus dem Hut“ gezaubert und an den Wählern vorbei in den Bundestag gemogelt wurden, das ist eine ganz andere Frage. Die Entscheidung v. 25.7.2012 gibt nicht das Geringste her, um das zu rechtfertigen!

Nun gibt es zwei Gruppen von Wählern, die genau dagegen mit sog. Wahlprüfungs-Beschwerden ( Az: 2 BvC 64/14 und 2 BvC 67/14) vor die Schranken des Verfassungsgerichts in Karlsruhe gezogen sind. Die einschlägigen Pressemitteilungen sind in dem Buch: „Die Berliner Republik unter dem Damoklesschwert / Wahlgesetz, Wahlgrundsätze und Wahlprüfung“ (1016, ISBN 978-3-7203-2880-0) auf den Seiten 11 und 13 abgedruckt). – Bisher hat die gesamte Presse das vollständig ignoriert.

 

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