Überhang- sind Unterhangmandate
Neben der gespaltenen Abstimmung, dem sog. Stimmensplitting, ist wohl auch die Sperrklausel dafür dingfest zu machen, dass „Überhangmandate“ entstehen. In beiden Fällen geraten Erst- und Zweitstimmen aus der Balance. Wenn die Listenplätze einer Landespartei hinter den im gleichen Bundesland erzielten Direktmandaten einer Partei zurückbleiben, kommt es zu „Überhängen“, d.h. Direktmandaten ohne Listenplatz. Als Folge davon entstehen bei anderen Landesparteien Listenplätze ohne Direktmandat. Denn die von den Direktmandaten abgespaltenen Listenplätze lösen sich ja nicht in Luft auf. Sie werden vielmehr von anderen, von konkurrierenden Landesparteien errungen, denen es nicht gelang, auch das dazugehörende Direktmandat zu erzielen. – Überhangmandate sind in Wahrheit Unterhangmandate!
Bei der ersten Bundestagswahl am 14.8.1949 konnte der Stimmzettel nur einmal gekennzeichnet werden. Die unverbundene, die getrennte, die gespaltene Abstimmung war daher ausgeschlossen. Trotzdem gab es 1949 zwei „Überhangmandate“ (Direktmandate ohne Listenplatz), und zwar eines bei der SPD in Bremen und eines bei der CDU in Baden-Württemberg. Hinzu kamen drei parteiunabhängige Einzelbewerber, die zwangläufig zu „Überhängen“ (Direktmandaten ohne Listenplatz) führen.
Überhänge ohne Stimmensplitting?
Wie es ohne gespaltene, getrennte, unverbundene Abstimmung, d.h. ohne Stimmensplitting 1949 trotzdem zu „Überhängen“ (Direktmandaten ohne Listenplatz) kommen konnte, erschien bisher rätselhaft. Nimmt man die Fünf-Prozent-Klausel hinzu, die auf die zehn damaligen Bundesländer bezogen wurde, kommt etwas mehr Licht in die Sache. Die Listenplätze der an der Sperrklausel gescheiterten Splitterparteien werden auf die privilegierten Parlamentsparteien umgeschichtet. Es fallen Zweitstimmen unter den Tisch. Auch Bruchteils-Abgeordnete gibt es nicht. Die deshalb entstehende Zweitstimmenlücke wie auch die Rundungsmandate können dann zu den leidigen „Überhängen“ führen, die in Wahrheit ein Zurückbleiben von Listenplätzen hinter den Direktmandagten einer Landespartei darstellen, also viel treffender als „Unterhang“ an Listenplätzen zu bezeichnen wären.
Wohlgemerkt ist dies ein Erklärungsversuch. Letzte Klarheit darüber , warum 1949 sog. „Überhänge entstanden sind, obwohl beide Stimmen im Verbund abgegeben werden mussten, fehlt noch immer. Für die Wahlperioden danach liegt jedoch auf der Hand, dass die Sperrklausel, die seit 1953 auf die Zweitstimmen des Bundes bezogen wurde, an der Asymmetrie von Direktmandaten und Listenplätzen einzelner Bundesländer mitwirkt.