STARRE ODER OFFENE LISTEN?

„Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“

Sinn und Zweck der Wahl ist es, die personelle Zusammensetzung des Parlaments zu bestimmen. (Vgl Hahlen, in. Schreiber, BWahlG, 2013, § 30, Rdnr 3.) Das Parlament setzt sich nicht aus 598 Parteien zusammen sondern aus 598 Abgeordneten. Das geht auch aus Art. 38 Grundgesetz hervor. Dort heißt es keineswegs: „Die Parteien werden (…) gewählt.“ Dort heißt es vielmehr: „Die Abgeordneten werden (…) gewählt.“ Deshalb muss der Stimmzettel so gestaltet sein, dass auch aus den Wahlvorschlägen der Parteien die Abgeordneten namentlich ausgewählt werden können. Ist das nicht der Fall, weil die Namen der Bewerber nicht vollständig oder überhaupt nicht aufgeführt sind, findet eine bloße Parteienwahl statt, der das BVerfG ablehnend gegenübersteht: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ (Vgl. Nachrücker-Entscheidung BVerfG vom 26. Februar 1998, BVerfGE 97, 317 (323). Zugänglich auch im Internet  unter: Bundesverfassungsgericht/Entschei­dungen/Datum.)

Bei der klassischen Direktwahl nach dem sog. Westminster-Modell ist das unproblematisch. Denn hier stehen die Personen auf den Stimmzetteln, die unmittelbar gewählt werden. Bei der sog. Listen-, Verhältnis- oder Parteienwahl ist das anders. Statt der Namen der Personen werden auf den Stimm­zetteln die Namen der Parteien zur Wahl gestellt. Es handelt sich also nicht um eine direkte, sondern um eine indirekte Wahl der Abgeordneten. Dies wird durch den Grundsatz der unmittelbaren Wahl ausge­schlossen, der in Art. 38 GG verankert ist. Die Listenwahl ist also verfassungswidrig, es sei denn aus den Listen kann eine namentliche Auswahl der Abgeordneten getroffen werden.

 „Roma locuta …“ – Rom hat gesprochen …

Die Plazierung auf den eingereichten Listen entscheidet über den Wahlerfolg. Wer oben auf der Lan­desliste steht hat gute, wer unten steht hat schlechte Wahlchancen. Nimmt man die fünf sog. „Listenführer“ aus, die auf den Stimmzetteln aufgeführt werden, bleibt den Wähler unbekannt, wer danach gelistet ist. Der Wähler muss also „die Katze im Sack“ wählen. Hahlen (in: Schreiber, BWahlG 2013, § 30, Rdnr 4.) sieht das anders. Die Listen der Parteien seien hinreichend bekannt. Man könne sie in den Wahlämtern und auch im Internet einsehen. Daher sei es nicht erforderlich, auch auf den Stimmzetteln unverkürzt alle Namen der Bewerber aufzuführen. Der Kommentator geht wohl davon aus, dass die bloße Parteienwahl verfassungsrechtlich unproblematisch sei und die Wahl mit starren Listen verfassungskonform wäre. Diese Auffassung ist aber auch anderswo auf dem Rückzug.

Das italienische Verfassungsgericht, die „Corte costituzionale“  in Rom, hat in der spektakulären „sentenza 1/2014“ vom 14. Januar 2014 verlangt, dass durch die Wähler aus den Listen der Parteien im Wege von Vorzugsstimmen eine namentliche Auswahl möglich sein muss. (Vgl. dazu im Netz www.cortecostituzionale.it.) Denn die italienische Verfassung verlange in Art 56, dass über die Mitglieder der Abgeordnetenkammer „a suffragio diretto ed universale“ – in direkter und allge­meiner Wahl – abgestimmt werde. In dem zweiten Wahlrechts-Urteil, der „sentenza 35/2017“ v. 25. Januar 2017, hat das höchste Gericht in Rom daran nichts mehr verändert. Diese Entscheidungen haben im Rechtsvergleich den bisher höchsten Rang.

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