So konnte man die Landtagswahl gewinnen
„Gallien ist in drei Teile …“ und Thüringen in 44 Wahlkreise aufgeteilt. Die CDU hat 34 der insgesamt 44 Direktmandate gewonnen. Das entspricht einem Anteil von 77 Prozent. Bei der Erststimmen-Wahl überschritten die Wahlkreissieger der Union also die Grenze zur Drei-Viertel Mehrheit. Ein herausragendes Wahlergebnis, auch wenn es nicht das beste war. Mit den Zweitstimmen erreichte die CDU 33 von 88 Listenplätzen und wurde damit stärkste Partei im Erfurter Landtag … – und geht trotz allem in die Opposition!
„Ist also etwas faul im Lande Thüringen?“ Das mag so sein oder auch nicht. Eines steht jedoch fest: Alle 34 Landtagsabgeordneten der CDU sind auf jeden Fall mit der Erststimme gewählt worden. Es gibt in dieser Partei keinen einzigen Abgeordneten, der nur über die Liste, also allein mit der Zweitstimme gewählt wurde. Man mag es glauben oder nicht, für die CDU in Thüringen hat deshalb die Zweitstimme keinerlei Bedeutung. Denn alle Abgeordneten ziehen ohne Ausnahme ja schon mit der Erststimme in den Erfurter Landtag ein.
Im dualen Wahlsystem mit Erst- und Zweitstimme haben jedoch alle Wähler zwei Stimmen. Was sollen die CDU-Wähler mit der überflüssigen Zweitstimme anfangen? Der Caritas kann man sie nicht überlassen. Es liegt jedoch nahe, sie an den gewünschten Koalitionspartner, also an die FDP zu zedieren, d.h. abzutreten. Und das hätte eine verblüffende Folge gehabt: Die FDP wäre in den Landtag von Erfurt eingezogen, und zwar ohne dass die CDU durch den Zweitstimmen-Transfer ein einziges Direktmandat verloren hätte.
Wahlsieg im Huckepack-Verfahren
Umgekehrt hat die FDP kein einziges Direktmandat gewonnen. Doch das braucht sie gar nicht, um mehr als 5 Prozent der Zweitstimmen zu erreichen und die Sperrklausel zu überwinden. Sie kann also ihren Wählern empfehlen, die obsoleten Erststimmen an den gewünschten Koalitionspartner, d.h. an die Union zu „verleihen“, besser gesagt zu verschenken. Die CDU würde durch den Erststimmen-Transfer in den Wahlkreisen noch besser abschneiden und noch mehr, vielleicht sogar alle 44 Direktmandate erlangen.- So gewinnt man Landtagswahlen …
Gewiss, es gibt die Ausgleichsmandate. Mit der FDP würde aber eine weitere Partei in den Landtag einziehen. Und in einem Landtag mit sechs statt fünf Parteien hätte die Koalition aus Linken, SPD und Grünen keine Mehrheit mehr, um den Ministerpräsidenten zu stellen. Ganz abgesehen davon, dass die FDP am Mandatsausgleich teilnimmt, wenn sie dafür stark genug ist. Und wenn sie alle Zweitstimmen der CDU-Wähler erhält, wäre sie sogar die stärkste Partei im Landtag mit den meisten Ausgleichsmandaten.
Ein übler Trick, eine „hundsgemeine Chuzpe“? Nein, keineswegs! Geltendes Wahlrecht, nicht mehr und nicht weniger. Und niemand muss päpstlicher sein als der Papst. Wenn die Wähler zwei Stínmnen haben, dann liegt es nahe, sie aufzuspalten und die Erststimme den Kandidaten der gewünschten Koalitionspartei zu geben, die in den Wahlkreisen die besseren Chancen haben, um mit der Zweitstimme der anderen Koalitionspartei zumindest über die Sperrklausel zu helfen, darüber hinaus aber auch die für den gemeinsamen Sieg notwendigen Ausgleichsmandate zu verschaffen. Man muss also klotzen nicht kleckern, wie das in Niedersachsen passiert ist. Das liegt auf der Hand.
Mit zwei Stimmen kann man zwei Parteien wählen
Natürlich spricht sich das schnell herum. Wenn alle Wähler bei der Wahl zwei verschiedene Willenserklärungen abgeben können und beide auf die Parteien ihrer Wunschkoalition aufteilen dürfen, dann schafft sich die personalisierte Verhältniswahl ab. Dann braucht sich niemand mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sie das beste aller Wahlsysteme war oder nicht, denn es gibt sie dann nicht mehr.
An die Stelle der personalisierten Verhältniswahl ist das so genannte „Grabensystem“ getreten: Die einen werden über die Wahlkreise, die anderen unabhängig davon über die Listen gewählt. Die Zahl der Mandate steigt um die Hälfte an. Zuletzt sorgen die Ausgleichmandate dafür, dass am Ende doppelt so viele Abgeordnete im Landtag sitzen als es dort Plätze gibt. Doch warum soll man sich daran stören, wenn man so die Wahl gewinnt.