Die verdrehte „Palmström“-Regel …
… – sie geht auf den bekannten Nonsenspoeten, Christian Morgenstern, zurück und lautet in umgekehrter Fassung, „dass nicht sein darf, was nicht sein kann.“ Man mag es glauben oder nicht: Es gibt überhaupt keine Überhangmandate. Dieses Ungetüm der Sprache führt in die Irre. Die Zahl der Wahlkreise stimmt mit der Zahl der Direktmandate überein, im Land wie im Bund. Bei Bundestagswahlen werden mit den Erststimmen in 299 Wahlkreisen ordnungsgemäß 299 Abgeordnete gewählt. Keiner mehr und keiner weniger.
Auch in den Ländern gibt es keinen unzulässigen Zuwachs an Wahlkreisen. Nirgends werden mehr Abgeordnete direkt gewählt als es Wahlkreise gibt. Das wird von Landeswahlleitern auch für die Bundesländer regelmäßig bestätigt und kann leicht überprüft werden. Die abwegige These, dass mit den Erststimmen irgendwelche Mandate entstanden seien, die den direkt gewählten Abgeordneten gar nicht zustünden, ist unhaltbar und muss aufgegeben werden. Es gibt bei der Direktwahl keine Wahlkreisbewerber, die ungültig gewählt werden.
Schlimmer noch: Es gibt auch kein negatives Stimmengewicht. Werden schon mit den Erststimmen niemals mehr Abgeordnete direkt gewählt als es Wahlkreise gibt, werden auch auf die Parteien nirgends und niemals mehr Listenplätze verteilt als dafür Zweitstimmen zur Verfügung stehen. Im Bund nicht, in den Ländern nicht. Mit seinem Urteil v. 3.7.2008, (BVerfGE 121, 266) hat es das Verfassungsgericht allerdings untersagt, mit einem Verzicht an Stimmen ein Gewinn an Mandaten herauszuschinden. Doch damit hat das oberste Gericht „eine offene Türe eingerannt“.
Natürlich kann niemand mit weniger Stimmen mehr Mandate erzielen. Weniger Zweitstimmen sind weniger Listenplätze, mehr Erststimmen mehr Direktmandate. Erst- und Zweitstimmen darf man nicht „in einen Topf werfen“. Auch muss man Listenplätze von Direktmandaten streng unterscheiden. Tut man das nicht, gerät man in Teufels Küche. Denn wer Äepfel und Birnen in einen Topf wirft bekommt nicht Fisch, nicht Fleisch.
Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass man die Schere zwischen Direktmandaten und Listenplätzen beliebig öffen und schließen kann, wenn man zwei Stimmen hat und nach Lust und Laune gespalten abstimmen darf oder es auch lassen kann. Wird dagegen nicht mit zwei, sondern nur mit einer Stimme gewählt, dann gibt es diese Schere nicht. – „Das also ist des Pudels Kern. Der Casus macht mich lachen.“
Doch war sich das Bundesverfassungsgericht „in seinem dunklen Drange des rechten Weges stets bewusst“. Zum Verdruss vieler Rechtswissenschaftler hat es sich in ständiger Rechtsprechung immer geweigert, die fälschlich so genannten „Üeberhangmandate“ in Bausch und Bogen zu verdammen. Werde nach dem Grundsatz der „personalisierten“ Verhältniswahl mit zwei Stimmen gewählt, müsse man mit Mandatsdifferenzen in den Bundesländern rechnen, so urteilte der Zweite Senat in seiner Entscheidung v. 10.4.1997 (BVerfGE 95, 335). Einschränkend fügte er hinzu: Solche Differenzen dürften aber nicht zu groß werden.
In ihrer Entscheidung vom 25.7.2012, (NVwZ 2012, 1167) korrigierten die acht Richter in Karlsruhe die Unbestimmtheit des 1997 ergangenen Urteils: Eine Differenz von zusammen mehr als 15 Plätzen zwischen Personenwahl in Wahlkreisen und Parteienwahl mit Landeslisten bei ein und derselben Partei mache den Grundcharakter der Verhältniswahl zunichte. Deshalb werde die Grenze des Zulässigen überschritten. Das ist der Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Doppelwahl mit zwei Stimmen und ihren leidigen Mandatsdifferenzen. Und damit muss man leben oder aber reumütig zum klassischen Grundsatz der Demokratie: „one man one vote“ – pro Kopf eine Stimme – zurückkehren.
Dann wäre mit einem Schlag dieser quälende Albtraum endlich zu Ende.