WAHLGEBIET UND SPERRKLAUSEL

Gewählt wird mit Landeslisten

Wie bekannt ist die FDP an der Sperrklausel gescheitert. Sie erreichte 28 Sitze, hätte aber 30 erzielen müssen, um die Hürde von mehr als fünf Prozent aller 598 Sitze zu überwinden. Das hätte durchaus anders kommen können, wenn die Bürger auch über die 29 Ausgleichsmandate hätten abstimmen können, die 2013 nachgeschoben wurden. Werden Mandate nachgeschoben muss auch die Abstimmung darüber nachgeholt werden. Die FDP hätte bei einer Nachwahl über die Ausgleichsmandate sehr wohl zwei weitere Sitze hinzugewinnen und die Fünf-Prozent-Hürde von mehr als 29 Sitzen überwinden, also 30 Plätze im Bundestag erlangen können.

Die Hauptfrage wird wohl bleiben, was man unter dem „Wahlgebiet“ zu verstehen hat, das lt. § 6 Abs 3 Satz 1 BWahlG der Sperrklausel als Berechnungsbasis zugrunde zu legen ist. Eine Antwort darauf findet man in § 2 Abs 1 BWahlG. Dort heißt es: „Das Wahlgebiet ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.“ Nach §§ 1 Abs 2 und 5 Abs 1 BWahlG werden aber 299 Abgeordnete in Wahlkreisen, der Rest mit Landeslisten gewählt – in beiden Fällen also nicht im gesamten Bundesgebiet!

Das ist aber noch nicht alles. Denn der § 7 BWahlG wurde gestrichen. Die Zusammenfassung zu Bundeslisten, die nach altem Recht noch möglich war, ist entfallen. Gewählt wird nach § 6 Abs 1 Satz 1 BWahlG außerdem mit Länderquoten. Objektiv gesehen ist also einer der 299 Wahlkreise bzw. eines der jeweiligen Bundesländer das Gebiet, in dem die Wahl abgehalten wird. Auch gibt 299 Stimmzettel für die Erststimmen in den 299 Wahlkreisen. Und für die Zweitstimme können 16 Landeslisten eingereicht bzw. ausgewählt werden. Die Sperrklausel kann sich also nur auf das Wahlgebiet der 16 Bundesländer beziehen. Sperrklauseln in 16 Budesländern stehen natürlich in einer kontradiktorischen Gesetzeskonkurrenz zu einer einzigen Sperrklausel des Bundes, wie sie aus  § 2 Abs 1 BWahlG folgt. Diese Bestimmung ist daher ersatzlos zu streichen.

Widersprüchliche Gesetzgebung

Die Herabsetzung der Mitgliederzahl des Bundestages hat außerdem eine ähnliche Wirkung wie die in hohem Maße umstrittene Sperrklausel, weil die Mindestzahl an Stimmen steigt, die man für den Einzug in das Parlament braucht, wenn die gesetzliche Mitgliederzahl der Parlamentarier sinkt. Bei einem gleichzeitigen Wechsel zur klassische Direktwahl z.B. in 448 Wahlkreisen würde der Bundestag nur mehr aus 448 Mitgliedern bestehen, und die Zahl der Splitterparteien natürlich schrumpfen, die auch nur ein einziges Mandat erlangen können. Das Wahlverfahren der klassischen Direktwahl in überschaubaren Wahlkreisen, das auch als „Westminster-Modell“ bezeichnet wird, kommt bekanntlich ohne Sperrklausel aus und ist daher viel gerechter als die sog. „Verhältniswahl“.

Eine Zersplitterung der „Parteienlandschaft“ findet dabei in aller Regel nur bei der Opposition statt. 2015 sind in das britische Unterhaus 10 Parteien eingezogen. Hinzu kamen ein parteiloser Einzelbewerber und der Speaker. Und trotzdem konnten die Konservativen die absolute Mehrheit der Mandate erlangen. Obwohl das „Westminster-Modell“ am 6.5.2011 ein einer Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit basidemokratisch bestätigt worden ist, stößt dieses Wahlverfahren, das in den britischen Urkunden ab 1429 nachgewiesen werden kann, bei den europäischen „continentals“ – zu Unrecht! – auf breite Ablehnung.

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