Bei der Nachbesetzung vakanter Wahlkreise durch Listenbewerber der gleichen Partei kommt es zu Unstimmigkeiten bei den Ausgleichsmandaten. Scheidet ein Abgeordneter mit Direktmandat aus dem Bundestag aus, wird der vakante Sitz durch einen Listennachfolger der gleichen Landespartei ersetzt, der noch nicht der zum Zuge gekommen ist. (Vgl. § 48 BWahlG.) Das Direktmandat entfällt und wird durch einen Listenplatz ausgetauscht. Unterschreiten die Listenplätze einer Landespartei die von ihr erlangten Direktmandate, nimmt der Abstand, die Unterschiedszahl, also die Differenz zwischen beiden ab. Die Zahl der Überhänge wird also kleiner. Das kann nicht ohne Auswirkungen auf den Mandatsausgleich bleiben: Weniger Überhänge weniger Ausgleich.
Zuletzt war dies im Fall des CDU-Abgeordneten Armin Schuster, MdB, zu beobachten. Schuster ist im Wahlkreis Nr. 282 direkt gewählt worden, der in Baden-Württemberg liegt. Er schied an 9.11.2020 aus dem Bundestag aus und wurde durch Christian Natterer aus der CDU-Landesliste ersetzt. Das Direktmandat wurde durch einen Listenplatz ausgetauscht. Der Wahlkreis 282 bleibt also vakant. Damit entfällt eines der 11 sog. „Überhangmandate“, die bei der Landes-CDU 2017 angefallen waren. An den Ausgleichsmandaten änderte sich aber nichts.
Das Gleiche war schon beim Ausscheiden des CDU-Abgeordneten Stephan Harbarth aus dem Bundestag zu beobachten. Er war 2017 im Wahlkreis Nr. 227 direkt gewählt worden, der in Baden-Württemberg liegt. Harbarth schied schon am 30.11.2018 aus dem Bundestag aus und ist durch die CDU-Listennachfolgerin, Nina Warken, ersetzt worden. Sein Wahlkreis blieb also vakant. Das mindert den Abstand zwischen die Direktmandaten und den Listenplätzen bei der Landes-CDU. Der Ausgleich blieb aber auch damals unverändert.
Es handelt sich hier nicht um Einzelfälle. Bei Ausscheiden von M. Mortler (Wahlkreis 246, CSU-Bayern); von M. Stübken (Wahlkreis 065, CDU-Brandenburg); von Oswin Veith (Wahlkreis 177, CDU-Hessen) und von J. Kahrs (Wahlkreis 016, SPD-Hamburg) war ebenfalls zu beobachten, dass ein Wahlkreis vakant wurde, deshalb ein Überhang entfiel, der Ausgleich aber nicht verringert worden ist und seit 2017 nun schon sechs überhanglose Ausgleichsmandate entstanden sind, ohne dass der nach § 46 Abs.1 Ziff. 3 BWahlG zuständige Ältestenrat dagegen einschritt. Er ist dafür zuständig, wenn das Wahlergebnis neu festzustellen ist, weil der Rechtsgrund für den Ausgleich entfallen ist und der betroffene Abgeordnete mit Ausgleichsmandat aus dem Bundestag wieder ausscheiden muss.
Der Ältestenrat entscheidet „unverzüglich“ und „von Amts wegen„. (Vgl. § 47 Abs. 3 BWahlG.) Freilich bleibt das graue Theorie. In Wahrheit hat sich der Ältestenrat mit dem Problem noch nie befasst.