Zum Parteiausschluss von Siegfried Kauder

Präzedenzfall von 1976: Hans Daniels

Das Wahlgesetz des Bundes sieht eine Aufstellung von Kandidaten aus der Mitte des Wahlkreises heraus ausdrücklich vor. Man braucht dazu 200 Stützunterschriften von Wahlberechtigten, die im Wahlkreis wohnen. Vgl. § 20 Abs. 3 BWahlG. Bei einer solchen „Bürger-Kandidatur“ spielt es keine Rolle, welcher Kirche oder welcher Partei der von Bürgern aufgestellte Kandidat angehört. Es wird vor allem nicht verlangt, dass er parteilos ist. Ein Parteiausschluss kommt daher für Siegfried Kauder nicht in Betracht. Das wäre sogar eine unzulässige, nötigende und damit strafbare Behinderung der Bewerbung um ein politisches Mandat.

Bei der legendären Bundestagswahl von 1976 erreichten CDU und CSU 48,6 Prozent (!) der Zweitstimmen. Damals ließ sich der CDU-Politiker und Oberbürgermeister der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn, Hans Daniels, nicht von seiner Partei, der CDU, sondern von 200 wahlberechtigten Bürgern seiner Stadt aufstellen. Welcher Religionsgemeinschaft oder welcher Partei diese Bürger angehören, spielt ebenfalls keine Rolle  Aus seiner Partei ausgeschlossen wurde Daniels damals nicht. Es gibt also eine sehr prominenten Präzedenzfall, auf den sich Siegfried Kauder berufen kann.

Außerdem muss man wissen, dass ein nicht aus seiner Partei, sondern aus der Mitte des Wahlkreises heraus aufgestellter Direktkandidat nicht für seine Partei, sondern für sich als Person kandidiert. Deshalb kann sein Mandat keiner Landesliste einer Partei angerechnet werden. Die Bürger-Kandidatur führt im Erfolgsfall also zu einem  unechten Überhangmandat, das nicht ausgeglichen werden kann. Das Mitglied der CDU,  Siegfried Kauder, würde, wie damals Hans Daniels, zusätzlich in den Bundestag einziehen, vorausgesetzt dass er den Wahlkreis gewinnt. Wenn ein CDU-Mitglied zusätzlich in den Bundestag einzieht, kann seine Partei schwerlich behaupten, dass ihr dadurch ein Schaden entstanden ist. Parteischädigendes Verhalten liegt also nicht vor. – Im Gegenteil!

Wie nützlich eine Bürger-Kandidatur sein kann, zeigt der Fall Hans Daniels besonders deutlich. Der Union fehlte damals nur ein Mandat zur absoluten Mehrheit. Hätte die CDU Daniels nicht bekämpft, sondern unterstützt, so dass er – neben seiner Parteien zusätzlich – in den Bundestag eingezogen wäre, dann wäre Helmut Kohl schon 1976 Bundeskanzler geworden. Bürger-Kandidaten werden keiner Landesliste zugerechnet, weil sie ja gar nicht für eine bestimmte Partei kandidieren. Sie ziehen deshalb ohne Anrechnung neben den Parteien in den Bundestag ein. Es kann daher sehr gut sein, dass sich 2013 der gleiche Fehler wiederholt, dem die CDU schon 1976 so schicksalhaft erlag, nämlich dass jetzt Angela Merkel ein Mandat fehlt, diesmal das von Siegfried Kauder!

Dieser Beitrag wurde unter Wahlrecht veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.