Antrag der CSU-Landesgruppe m Deutschen Bundestag
Antragsteller sind die Abgeordneten im Deutschen Bundestag:
Dr. Stephan Pilsinger (CSU), Alexander Hoffmann (CSU), Jens Spahn (CDU) und die CDU/CSU-Fraktion alle im Deutschen Bundestag.
ENTWURF
Der Deutsche Bundestag möge beschließen:
Der Antrag im Überblick
1. Die Normenklarheit und Verständlichkeit wird für das gesamte Wahhlrecht hergestellt.
2. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden länderweise gewählt.
3. Die Abstimmung erfolgt in 598 Wahlkreisen.
4. Pro Kopf eine Stimme, pro Wahlkreis ein Mandat.
5. Gewählt ist, wer die meisten Wähler hinter sich gebracht hat.
6. Die Sperrklausel entfällt.
7. Die Wahlprüfung ist Sache der jeweiligen Bundesländer.
8. Für die föderalisierte Wahlprüfung wird in Art. 41 GG die verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen.
9. Das Wahlprüfungsgesetz wird als 10. Abschnitt in das Wahlgesetz des Bundes eingegliedert, dabei vereinfacht und durch Befristung im Vollzug beschleunigt.
10. Verfassungsbeschwerden und Bürgerklagen, die im Zusammenhang mit der Überprüfung von Wahlen stehen, können nicht durch Beschluss auf Nichtbefassung erledigt werden.
Die Begründung
Nach dem Problem-Urteil des BVerfG v. v. 30. Juli 2024 (2 BvF 1/23 u.a.) ist die typisch deutsche Zwei-Stimmen-Wahl noch unhaltbarer geworden. Niemand hatte mehr damit gerechnet: Doch pünktlich mit der vorgezogenen Neuwahl v. 23. Februar 2025 sind wiederum 23 sog. „Überhänge“ entstanden. Sie werden aber nicht mehr geduldet und ausgeglichen, wie es die Verfassungsrichter mit ihrer Vorgänger-Entscheidung v. 12.7.2012. (131, 216) mit Nachdruck empfohlen hatten. Im Gegenteil! Jetzt werden sie – umgekehrt einfach annulliert – und zwar ebenfalls mit Billigung der Verfassungsrichter. In der 21. Legislaturperiode gibt es deshalb 23 Abgeordnete, die mit den meisten Stimmen ordnungsgemäß direkt gewählt wurden, aber nicht in das Parlament einziehen. Schlimmer noch: Obwohl sie dem Bundestag fernbleiben, sinkt die Gesamtzahl der 630 Abgeordneten nicht ab. Das verstehe, wer es vermag.
Dieses weltweit einzigartige Konstrukt mit seinen bizarren Rechtsfolgen verletzt die Jurisprudenz und kann vor dem Grundgesetz keinen Bestand haben.
Die erweiterte Begründung
Machbarkeitsstudie zum BWahlG, zum WahlprüfG und zum BVerfGG
Der Streit um das Bundeswahlgesetz geht in die nächste Runde. Die Koalition aus Union und SPD hat vereinbart, das Bundeswahlgesetz erneut zu novellieren. Abgeordneter rangeln bereits in den Fraktionen, um „Stuhl-Kreise“ zu bilden und dort mehrheitsfähige Vorschläge abzusprechen, also endlich Nägel mit Kopf zu machen. „Die Worte hör ich wohl. Allein, es fehlt der Glaube“, um es in einen Satz zu kleiden, den einst der Dichter zu Papier gebracht hat.
Koalitionsverträge heißen zwar so, sind aber keine „Verträge“ im eigentlichen Sinn des Wortes. Denn man kann sie nicht einklagen. – Deshalb weiß niemand, was jetzt passiert.
Teil A: Einige Beobachtungen und beiläufige Bemerkungen
Die politische Landschaft hat sich dramatisch verändert. Die Alternative für Deutschland (AfD) wächst und wächst und wächst und erzielte 2025 sogar schon 42 von 299 Direktmandaten. Sie kommt als Koalitionspartner aber nicht in Betracht, es sei denn, dass sie sich programmatisch normalisiert, wie das z. B. die SPD mit dem Godesberger Programm erfolgreich getan hat. Nach den GRÜNEN mussten auch die LINKEN zuerst „hoffähig“ werden. Die SPD ist von einer Volkspartei inzwischen zu einer Kleinpartei verzwergt. Auch die CDU leidet an akuter Schwindsucht und kann vom dramatischen Niedergang der SPD nicht profitieren. Vor alle und zuerst hat die von Angela Merkel seit 2015 betriebene Ausländerpolitik die konservativen Wähler der Partei heimatlos gemacht. Die haben haben den Union scharenweise den Rücken zugekehrt. Die CSU gewinnt in Bayern zwar weiter alle oder fast alle weiß-blauen Wahlkreise, setzt damit aber niemand mehr in Erstaunen. Denn bei den Zweitstimmen verharrt sie im Rückblick auf ihren Tiefstständen der Nachkriegszeit. Die programmatisch hin- und her pendelnde FDP ist nun schon zum zweiten Mal nicht mehr im Bundestag vertreten: 2013 und 2025. Das wird ihr vielleicht für immer gelingen, wenn ihr die Union nicht aus der Klemme hilft, um ihren Einzug in den Bundestag abzusichern. In Großbritannien sind die Liberalen unter der Geltung der Direktwahl hingegen unangefochten die dritte Kraft. In Deutschland können sie unter der Geltung der Doppelwahl in keinem der 299 Wahlkreise auch nur ein einziges Direktmandat „holen“. Die Partei zieht über die Liste in den Bundestag ein oder sie zieht gar nicht ein.
Seit der vorgezogenen Wahl vom 23. Februar 2025 zieht über die Bundesrepublik ein leichter Brandgeruch hin, der aus Weimar herüberweht. Man sieht aber kein Feuer. Schuld an allem ist die sog. „Verhältniswahl“ wie sie in Art. 22 der Weimarer Reichsverfassung verankert war. Weil man damit sehr schlechte Erfahrungen gemacht hatte, wurde sie 1949 nicht in das Grundgesetz übernommen. Sie hat also ihren Verfassungsrang von 1919 verloren. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Es drückt seinen Willen vor allem in regelmäßig wiederkehrenden Wahlen aus. Diese erfolgen in unmittelbarer, freier und gleicher Abstimmung über die Namen derjenigen Männer und Frauen, die das Volk bei den im Bundestag zu treffenden Entscheidungen vertreten sollen (Personen-Auswahl). Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.
Ein solches Gesetz gab es1949 aber nicht. Es musste gleichsam über Nacht aus dem Boden gestampft werden, damit man den ersten Deutschen Bundestag überhaupt wählen konnte, alles andere war 1949 eine „cura posterior“. Das damals schon geteilten Deutschland stand unter der Militärregierung der West-Alliierten. In dieser staatsrechtlich und staatspolitisch prekären Lage erging das erste Bundeswahlgesetz. Und in diesen „Koffer“ wurde hineinpresst, was die Siegermächte entweder selbst verlangten oder aber duldeten. Dabei kam die Weimarer Verhältniswahl nicht zu kurz, die man wenige Wochen zuvor so mühsam aus dem Grundgesetz entfernt hatte. Aus diesem politischen Gärungsprozess ging am Ende das typisch deutsche Mischsystem aus Personenwahl nach englischem Vorbild und aus Weimarer Verhältniswahl hervor. Dieses Machwerk glich dem „Leipziger Allerlei“ – ein „Eintopf“ aus der deutschen Küche – mehr als einem Regelwerk für die Bildung des Deutschen Bundestages. Da wurde zusammengemischt, was nicht zusammengehört!
Wohlgemerkt, bei der Wahl zum 1. Deutschen Bundetagwahl hatten die Wähler nur eine Stimme! Die Abstimmung mit zwei eigenständigen Stimmen, auf ein und demselben Stimmzettel ist erst mit der 2. Wahlperiode, also 1953 eingeführt worden. Seither stimmen wir mit einer ersten Stimme für die 299 Direktmandate und einer zweiten Stimme für die verbleibenden 331 Listenplätze ab, die nicht schon in den viel kleineren Wahlkreisen, sondern nur in den ungleich größeren Bundesländern gewählt werden. Die Zahl der Wahlkreise blieb seit 1949 hinter der Gesamt-Zahl aller im Parlament verfügbaren Sitze regelmäßig weit zurück. Auch heute werden 299 Abgeordnete direkt, weitere 331 von ihnen aber indirekt, also „en bloc“ gewählt. Diese typisch deutsche Pauschalwahl ist ein „mixtum compositum“ aus zwei grundverschiedenen Stimmen. Dieser Mischmasch aus Personenwahl (in 299 Wahlkreisen) auf der einen Seite und aus Parteienwahl (in 16 Bundesländern) auf der anderen, er hat dazu geführt, dass die Zahl der Mandatsträger in den meisten Legislaturperioden, ab 1994 einen zweistelligen und 2021 sogar einen dreistelligen Aufwuchs erfuhr.
Mit dem BWahlG vom 3. Mai 2013 kamen auf Drängen der Verfassungsrichter sog „Ausgleichsmandate“ zu den leidigen „Überhängen“ noch hinzu, die es vorher nur in 13 von 16 Bundesländern gab. Dadurch ist der Gesetzgeber vom Regen in die Traufe geraten: Die Zahl der Mitglieder des Bundestages schnellte ohne gesonderte Wahlhandlung um weit mehr als eine Hundertschaft an Abgeordneten sprunghaft in die Höhe. Der nachgeschobene Ausgleich überstieg den ominösen Überhang um ein Mehrfaches, und zwar dreimal in Folge! Nach drei Legislaturperioden gab der Gesetzgeber auf, hat den Irrweg kleinlaut verlassen und die vom Verfassungsgericht 2012 wärmstens empfohlen Ausgleichsmandate bei Nacht und Nebel „klammheimlich“ wieder einkassiert. Durch die vorgezogene Neuwahl v. 23. Februar 2025 kam es jedoch erneut ans Licht: Die Ausgleichsmandate sind endlich wieder weg, doch die „Überhänge“, sie sind leider geblieben – und zwar mit 23 Köpfen erneut in einer zweistelligen Größenordnung! – Eine richtige Reform sieht anders aus!
Mehr dazu nachfolgend im Hettlage-Referenten-Entwurf“ zum BWahlG (Teil B) und WahlprüfG (Teil C).
Teil B: Das BWahlG – Referenten-Entwurf
Das erneuerte Bundeswahlgesetz erhält eine Präambel.
„Die Präambel
„Kraft seiner hoheitlichen Gewalt hat sich das deutsche Volk ein Gesetz zur Auswahl der Männer und Frauen gegeben, die getragen von ihrer grundrechtlichen gesicherten Verantwortung vor Gott und Mensch das ganze Volk bei der parlamentarischen Willensbildung im gemeinsamen Bundestag vertreten sollen. In dankbarer Erinnerung an die deutsche Wiedervereinigung hat es den Nationalfeiertag des 3. Oktobers zum Wahltag bestimmt.“
Erster Abschnitt: Wahlverfahren
Im ersten Abschnitt werden die §§ 1 bis 7 insgesamt neu gefasst.
§ 1 Die Zahl der Mitglieder
„(1) Der Deutsche Bundestag besteht aus 598 Mitgliedern. Die Sollzahl ist eine feste Größe. Sie kann nur durch Gesetz, nur für alle Länder zusammen und nur nach Maßgabe von § 3 (Wahlkreiskommission) verändert werden.
(2) Die Volksvertreter werden länderweise gewählt (föderatives Wahlverfahren). Die Kopf-Zahl kann auch pro Land nur durch Bundesgesetz verändert werden.
(3) Über die Abgeordneten wird in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Urwahl von den wahlberechtigten Deutschen abgestimmt. Die Wahlberechtigten kennzeichnen auf amtlichen Stimmzetteln, welcher Mann oder welche Frau sie für die Dauer einer fünfjährigen Legislaturperiode im Deutschen Bundestag vertreten soll (Personenwahl).“
Die Begründung: Die Personenwahl ist ein Gebot der Verfassung. (Vgl. Art. 38 Abs. 1 GG). Die sog. „Verhältniswahl“ hat ihren Verfassungsrang verloren, den sie in der Weimarter Reichsverfassung noch hatte. Parteien sind außerdem keine natürlichen Personen und können selbst und als solche keine Mitglieder des Bundestages sein. Das schließ die pauschale Parteienwahl von vorne herein aus. Die vorgegebene Soll-Zahl von 598 Abgeordneten kann nur durch Gesetz verändert werden. Niemand kann weiterhin über mehr Mandate abstimmen als im Parlament Plätze zur Verfügung stehen. Die Legislaturperiode wird um ein Jahr maßvoll verlängert.
§ 2 Das Wahlgebiet
Die Vorschrift wird neu gefasst.
„(1) Das gesamte Wahlgebiet wird in 598 Wahlkreise von ungefähr gleicher Größe aufgeteilt.
(3) Der Zuschnitt der Wahlkreise wird von der ständigen Wahlkreiskommission ermittelt, die der Bundespräsident ernennt.“
Die Begründung: Deutschland ist ein Bundesstaat mit einem föderativen Wahlverfahren. Gewählt wird in Wahlkreisen (Abstimmung über Direktmandate). Die Volksvertreter ziehen als Abordnungen aus 16 Ländern in den Bundestag ein. Die feststehenden Landssitzkontingente schließen eine unbestimmte Zahl an Mitgliedern auch auf Länderebene aus.
Den Abgeordneten aus den Bundesländern steht es frei, im gemeinsamen Bundestag parteipolitische Fraktionen oder Landesgruppen zu bilden, die in Österreich „Clubs“ genannt werden.
§ 3 Die Wahlkreiskommission
Die bisherige Reihenfolge der Absätze in § 3 wird umgestellt: Aus Abs. (2) a.F. wird Absatz (1) n.F. Aus Abs. (3) a.F. wird Abs. (2) n.F. Dem Abs. (2) n.F. wird ein vierter Satz neu hinzugefügt. Der Abs. (1) a.F. wird zu Abs. (3) n.F. gemacht und neu gefasst.
Ergänzung Abs. (2) Satz 4: „Von den Vorgaben der Wahlkreiskommission kann der Bundestag nur mit den Stimmen von zwei Dritteln seiner Mitglieder abweichen.
Neufassung: „(3) Bei der Einteilung der Wahlkreise innerhalb der einzelnen Bundesländer sind die Landesgrenzen zwingend einzuhalten. Die Größe der einzelnen Wahlkreise bemisst sich nach der durchschnittlichen Kopfzahl seiner Wohnbevölkerung. Sie sollen so zugeschnitten sein, dass alle Wahlkreise ungefähr gleich groß sind. Die Wahlkreise müssen ein zusammenhängendes Gebiet bilden. Die Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte sollen nach Möglichkeit ungeteilt erhalten bleiben. Weicht im Wahlkreis die Kopfzahl der Wohnbevölkerung um mehr als 15 Prozent vom Durchschnittswert der Bundesländer nach oben oder nach unten ab, muss der Zuschnitt korrigiert werden.“
Die Begründung: Durch den Satz 4 in Abs. 2 n.F. wird der Missbrauch abgewehrt, dass der Bundestag die Vorgaben der ständigen Wahlkreiskommission mehrheitlich in den Wind schlägt und der Zuschnitt der Wahlkreise dazu missbraucht, um sich selbst zu begünstigen. Die Vorgaben der von Bundespräsidenten berufenen Wahlkreiskommission soll das sog. „Gerrymandering“ unterbinden. Die Neufassung von Abs. (3) der Vorschrift strebt auch eine sprachliche Vereinfachung an.
Nebenbei gesagt sind in größeren Wahlkreisen mehr Stimmen für den Wahlsieg erforderlich als in kleineren. Das trifft zu. Diese Ungleichheit beim sog. „Erfolgswert“ der Stimmen fällt aber nicht sonderlich ins Gewicht. Denn es gibt in größeren Wahlkreisen ja auch mehr Wähler. Das Gleiche gilt für die unterschiedliche Wahlbeteiligung in den verschiedenen Bundesländern. Die Debatte um den sog. „Erfolgswert“ der Stimmen verliert damit ihre grundsätzliche Bedeutung.
§ 4 Die zweite Stimme
Die Vorschrift entfällt. Und das zu Recht. Die Personenwahl ist das Rückgrat der Demokratie, weil sich die Wähler mit ihren Volksvertreten viel stärker identifizieren, wenn sie diese bei ihren Namen selbst auswählen. Zwei Stimmen sind immer auch zwei Wahlen, vor allem aber auch zwei Wahlchancen. Wer bei den Erststimmen verliert, kann über einen „sicheren“ Listenplatz bei den Zweitstimmen trotzdem in den Bundestag einziehen. Die Zwei-Simmen-Wahl ist ein „RettungsbootW für Wahlkreis-Verlierer. Das erklärt ihre Vorliebe für die Doppelwahl. Wer oben auf der Liste steht, zieht in das Parlament ein, wer unten platziert wurde, „den beißen die Hunde!“ Von gleichen Wahlchancen kann keine Rede sein. Wer Abgeordneter wird, entscheiden in Wahrheit nicht die Wähler in den Wahlkabinen, das bestimmen im Ergebnis vorab schon die Delegierten der politischen Parteien in ihren Versammlungen für die Aufstellung der Listenbewerber. So wird die Volksherrschaft durch die Parteienherrschaft vorweggenommen und verdrängt. Diese Art der Machtausübung wird vom Wahlvolk als Fremdherrschaft empfunden. Die Bürger werden entmündigt. Das ist zutiefst undemokratisch, ja verfassungswidrig und muss von Grund auf geändert werden. – Also: Weg mit der der zweiten Stimme! Weg mit der sog. „Verhältniswahl“!
Nach gesicherter Rechtsprechung kann man „de lege ferenda“ ohne Weiteres auf die „Verhältnis-“ oder Listenwahl ganz verzichten und alle 598 Abgeordneten allein mit einer Stimme, also nur mit der Erststimme wählen. In 299 Wahlkreisen ist das bereits der Fall. Im politischen Raum ist aus den genannten Gründen aber keine Zustimmung dafür zu erreichen, alle 598 Mitglieder des Bundestages in 598 Wahlkreisen direkt zu wählen. Wie auch immer, die „bloße“ Verhältniswahl, wie sie in Art. 22 der Weimarer Reichsverfassung niedergelegt war, wurde nicht in das Grundgesetz übernommen. Die sog. „Verhältniswahl“ hat ihren früheren Verfassungsrang verloren. Die unmittelbare Einzelwahl der Person steht dem Grundgesetz viel näher als die mittelbare „Listen-“ oder Parteienwahl. Letztere zielt im Kern darauf ab, dass die Wähler nur mehr bestimmen, wie viele Abgeordnete einer Partei in das Parlament einziehen, während das Recht des Volksouveräns untergeht, konkret, selbst, allein und endgültig zu entscheiden, wer Mitglied des Bundestages wird und wer nicht. Das einigende Band zwischen Volk und Volksvertreter wird durch die „Verhältniswahl“ gelockert oder vollkommen gelöst. Die Volkssouveränität wird zur Parteiensouveränität degradiert. – Und der Deutsche „Michl“ lässt sich das gefallen ohne Widerstand zu leisten!
§ 5 Die erste Stimme
Die Vorschrift wird neu gefasst.
„(1) Jeder Wähler kennzeichnet auf einem amtlichen Stimmzettel den Namen der bevorzugten Person, die das gesamte Volk bei der parlamentarischen Willensbildung vertreten soll (Personenauswahl). Gewählt ist, wer die meisten Wählern hinter sich gebracht hat (einfache Mehrheit).“
(2) Erreicht der Gewählte weniger als 25 vom Hundert der im Wahlkreis gültig abgegebenen Stimmen, kann die Hälfte der Wahlberechtigten zwischen den drei Bestplatzierten eine Stichwahl verlangen. Sinkt die Wahlbeteiligung an der Stichwahl unter die Hälfte der Wahlberechtigten, bleibt die Anordnung in Abs. (1) bestehen. Das Nähre regelt die Wahlordnung.
(3) Bei Stimmengleichheit entscheidet das vom zuständigen Wahlleiter zu ziehende Los.“
Bei der ersten deutschen Bundestagswahl im Jahre 1949 wurde der Stimmzettel nur einmal gekennzeichnet, aber zweimal ausgewertet. Schon damals entstanden drei Überhangmandate. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg wird noch heute so abgestimmt. Überhangmandate gehören zum normalen Erscheinungsbild der Landtagswahl. Das damalige Verfahren: eine Stimme, zwei Mandate würde zwar das Ende des widersinnigen „Stimmensplittings“ bedeutet, aber nicht das Ende der der Überhänge. Warum? Schon 1949 blieb die Zahl der Wahlkreise hinter der Zahl der Sitze in den Parlamenten weit zurück. Kann die Soll-Zahl in den Parlamenten nicht von der Ist-Zahl seiner gewählten Mitglieder abweichen, gibt es keine Überhänge. Bei der EU-Wahl v. 9. Juni 2024 wurde mit einer Stimme gewählt. Damit hat die typisch deutsche Zwei-Stimmen-Wahl als Modellfall ausgedient: Keine gegenläufigen Willenserklärungen bei der Abstimmung, also kein sog. „Stimmensplitting“; keine Überhänge; kein verfälschender Ausgleich der Wahlergebnisse – aber leider eben keine unmittelbare, keine freie und keine gleiche Personen-Wahl, sondern eine pauschale Block- und Parteienwahl. Und ein solcher Mangel ist mit der Verfassung kaum oder gar nicht zu vereinbaren.
§ 6 Die Landeslisten
Die Vorschrift entfällt. Die typisch deutsche Doppelwahl mit einer ersten und einer zweiten Stimme gehört der Vergangenheit an. Die pauschale Parteien- oder Blockwahl mit Landeslisten gibt es nicht mehr. Alle mit der sog. „Verhältniswahl“ zusammenhängenden Schwierigkeiten, verschwinden von der Bildfläche, als hätte es sie nie gegeben. Das heißt vor allem: Keine komplizierten Zuteilungsverfahren, die von den gewöhnlich anzutreffenden Wählern nur schwer oder gar nicht durchschaut werden; keine Zweitstimmen-Deckung; keine Verfälschung der Wahlergebnisse durch die Sperrklausel; keine Manipulation der parlamentarischen Mehrheiten durch nachgeschobene Ergänzungsmandate; kein Überhang, kein Ausgleich etc. Fazit: Eine Stimme ist genug!
Bisher gelangten die Abgeordneten auf zwei völlig verschiedenen Wegen in das Parlament. Dem stand das Gleichheitsgebot der Verfassung schon nimmer entgegen. Der Verstoß gegen das Gebot der unmittelbaren Wahl kam hinzu. Und bei einer starren Listenwahl bleibt die freie Wahl sowieso auf der Strecke. Eine Partei ist keine natürliche Person. Sie kann nicht wählen oder gewählt werden und deshalb selbst kein Parlamentarier sein. „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ (Vgl. BVerfG v. 26.2.1998, BVerfGE 97, 317 (323)).Ohne lückenlose Personifizierung durch die Erststimme war die „bloße“ Zweitstimme für sich alleine genommen zu keiner Zeit verfassungskonform. Und für eine komplette Doppelwahl aller Mitglieder des Bundestages gab es seit 1949 noch nie genug Wahlkreise.
§ 7 Zusammenfassung zu Bundeslisten
Die Vorschrift entfällt. Die Abschaffung der zweiten Stimme macht alle weiteren Regelungen zu den Landeslisten gegenstandslos. Am Rande gesagt wäre die „astreine“ Verhältniswahl mit Bundeslisten völlig praxisuntauglich: Über die Bewerber der Parteien würde „en bloc“ abgestimmt. Aus der starren Liste kann keine unmittelbare Auswahl getroffen werden. Und eine freie Auswahl aus einer offenen Namensliste der Bundesparteien würde voraussetzen, dass alle Bewerber auf den bundesweit identischen Stimmzetteln gelistet sind: Bei maximal 598 Bewerbern pro Partei würden die Wähler zwangsläufig den Bezug zu der Unzahl an Personen verlieren, die ihnen in den allermeisten Fällen vollkommen unbekannt sind. Ähnelt der Stimmzettel einem Telefonbuch, nimmt die Wahl Züge einer Lotterie an.
Zweiter Abschnitt: Wahlorgane
Die §§ 8 bis 11 bleiben unverändert.
Dritter Abschnitt: Wahlrecht und Wählbarkeit
§ 12 bleibt unverändert. §§ 14 und 15 ebenso. § 13 wird um die Ziff. 5 erweitert
§ 13 Der Ausschluss vom Wahlrecht
Erweiterung: „(5) Erwiesene Staatsfeinde können nicht zur Wahl aufgestellt werden.“
Die Begründung: Die Hinzufügung zieht daraus die Konsequenz, dass erwiesene Staatfeinde gar nicht erst in das Parlament gelangen und zuerst als Person zur Verantwortung zu ziehen sind, bevor ein Parteienverbot zum Zuge kommen kann.
Vierter Abschnitt: Vorbereitung der Wahl
§ 16 Der Wahltag
Die Vorschrift wird neu gefasst:
„(1) Über seine Volksvertreter stimmt das Volk am Nationalfeiertag des 3. Oktober ab. Der Termin kann durch die Briefwahl um höchstens 30 Tage vorgezogen werden. Bei außerordentlichen Wahlen wird der Wahltag vom Bundespräsidenten bestimmt.
(2) Sieben Tage vor der Wahl ist die Veröffentlichung von Meinungsumfragen zur Vorhersage der Wahlergebnisse untersagt. Einen Tag vor der Wahl sind der Straßen-Wahlkampf und öffentliche Kundgebungen einzustellen. Zuwiderhandlungen sind strafbar.“
(3) Am Wahltag finden keine Volksvergnügungen statt. In Gaststätten wird während der Öffnungszeiten der Wahllokale kein Alkohol ausgeschenkt.
Die Begründung: Diese Neuerung betont die historische Errungenschaft der unmittelbaren, freien und gleichen Wahlen, die durch die friedliche Wiedervereinigung auch für diejenigen Teile Deutschland erreicht wurde, die vorher davon ausgeschlossen waren.
Meinungsumfragen sind von der Wahlbeeinflussung nicht zu trennen. Das wird um so problematischer, je näher der Wahltermin heranrückt. Die ARD stellt deshalb eine Woche vor dem Wahltag die Veröffentlichung von Wahlprognosen ein. Die Einschränkung der freien Meinungsäußerung und die Beeinflussung der freien Meinungsbildung vor der Wahl müssen maßvoll gegeneinander abgewogen werden. Straßen-Wahlkämpfe und öffentliche Kundgebungen spalten das Volk und sind rechtzeitig vor dem Tag der gemeinsamen Wahl einzustellen (Abkühlungs-Tag). Volksvergnügungen wie der unsägliche Marathon-Lauf 2021 in Berlin unterbleiben. Der Alkohol-Ausschank während der Öffnungszeiten der Wahllokale sind untersagt.
§ 17 Wählerverzeichnis und Wahlschein
Die Vorschrift bleibt unverändert, wird aber entlastet. Abs. (1) Satz 1 und Abs. (2) verbleiben im BWahlG. Die übrigen Vorschriften werden in die Wahlordnung ausgelagert.
§ 18 Anmeldung der Wahlvorschläge
Die Vorschrift wird neu gefasst.
„(1) Wahlvorschläge bedürfen der schriftlichen Anmeldung bei den Wahlämtern. Die Nominierungen sind nur gültig, wenn sie von mindestens 200 Stimmberechtigten aus dem Wahlkreis unterzeichnet sind (tauglicher Wahlvorschlag). Bewerbungen von Abgeordneten, die dem Vorgänger-Parlament gehört haben, sind von davon ausgenommen.
(2) Die Unterschriftensammlungen erfolgen auf amtlichen Formblättern. Näheres ergibt sich aus der Bundeswahlordnung “
Die Begründung: Die Neufassung stellt darauf ab, für parteilose und parteigebundene Wahlbewerber gleiche Verhältnisse zu schaffen. Deshalb muss bei der Direktwahl grundsätzlich jeder Wahlvorschlag von mindestens 200 Stützunterschriften getragen werden. Für Abgeordnete, die bereits Mitglieder des Vorgänger-Parlaments waren, muss der Nachweis für Tauglichkeit ihrer Kandidatur nicht erneut geführt werden.
§ 19 Anmeldefrist
Die Vorschrift wird angepasst, d.h.: Die Worte „Landeslisten dem Wahlleiter“ werden gestrichen.
§ 20 Inhalt und Form der Anmeldung
Abs. (1), Abs. (2) und Abs. (4) der Vorschrift bleiben unverändert. Abs. (3) ist in § 18 abschließend geregelt und fällt deshalb weg.
§§ 21
Die Vorschriften in § 21 werden aus dem Wahlgesetz vollständig in die Wahlordnung übernommen.
§§ 23 bis 26
Die Vorschriften in §§ 23 bis 26 bleiben unverändert.
§§ 27, 28 und 29 Landeslisten
Die Vorschriften in §§ 27, 28 und 29 entfallen.
§ 30 Stimmzettel
Die Vorschrift wird angepasst. Abs. (1) und Abs. (2) Satz 1 bleiben unverändert. Abs. (2) Ziff. 2 entfällt. Absatz (3) ebenfalls.
Fünfter Abschnitt: Wahlhandlung
Die Vorschriften in §§ 31 bis 36 bleiben unverändert.
Sechster Abschnitt: Feststellung der Wahlergebnisse
Aus den Vorschriften §§ 37 bis 42 werden alle Bestimmungen für Landeslisten gestrichen.
Siebter Abschnitt: Unbesetzte Wahlkreise
§ 43 Die Wiederholung der Wahl
Abs. (1) wird neu gefasst; Abs. (2) bis (4) bleiben unverändert.
„(1) Ist ein Wahlkreis unbesetzt, erfolgt eine Wiederholung der Wahl. Die Anordnungen des § 18 sind zu beachachten. Die Nachwahl unterbleibt, wenn bis zum nächsten Wahltermin weniger als 6 Kalendermonate verbleiben. Das Nähere bestimmt die Wahlordnung.“
Die Begründung: Zwischen einer Nachwahl und Wiederholungswahl gibt es keinen ins Gewicht fallenden Unterschied.
§ 44 Die Nachwahl
Die Vorschriften über die Nachwahl sind obsolet und werden gestrichen.
Achter Abschnitt: Mitgliedschaft im Bundestag
§ 45 Erwerb des Mandats
Die Vorschriften bleiben unverändert.
§ 46 Verlust des Mandats
Die Vorschriften bedürfen der Klarstellung und Entlastung. Abs. (1) Ziff. 4 erhält eine klarstellende Ergänzung durch die Worte: „auf das Mandat“. Die Vorschriften in Abs. (2) bis (4) werden in die Wahlordnung übernommen.
„4. Verzicht auf das Mandat.“
Die Begründung: Die Ausübung des Mandats ist frei. Deshalb kann niemand zur Aufgabe gezwungen werden. Wer aber sein Mandat selbst aufgibt, muss den Bundestag verlassen und kann nicht eigenmächtig in ein anderes Mandat übertreten, in das er nicht gewählt wurde.
§ 47 Feststellung der Rechtskraft
Die sprachliche unscharfe und verweisungsüberladene Vorschrift bedarf einer Neufassung:
„(1) Der Verlust der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag tritt ein:
1. mit dem Inkrafttreten der Entscheidung über die Wahlprüfung im Fall von § 46 Ziff. 1;
2. mit dem Feststellungs-Beschluss des Ältestenrates im Fall von § 46 Ziff. 2 und Ziff. 5;
3. wenn der Verlust der Wählbarkeit durch Richterspruch eintritt ist im Fall § 46 Ziff. 3;
4. mit der Zustellung des Entlassungsschreiben aus der Hand des Bundestagspräsidenten
im Fall von § 46 Ziff. 4.“
Abgeordnete haben nicht das Recht, die aus der Wahl entstandenen Mehrheitsverhältnisse durch eine eigenmächtigen Mandatswechsel zu verändern. Im 20. Deutschen Bundestag war z. B. das Bündnis-Sahra-Wagenknecht (BSW) mit 10 Abgeordneten als parlamentarische Gruppe vertreten, obwohl ihre Partei bei der Bundestagswahl vom 26.9.2021 gar nicht auf dem Stimmzettel stand und deshalb nicht gewählt worden sein kann. Ein bisher nie dagewesener Vorgang der Parlamentsgeschichte, aber durchaus kein Einzelfall!Es ist daher geboten, diesen horrenden Missstand zu beenden. Wer seine Parteizugehörigkeit wechseln will, kann das zu jeder Zeit tun, muss aber ein entgegenstehendes Mandat niederlegen, also seinen Sitz im Parlament räumen und aus dem Bundestag ausscheiden. Solange aber die förmliche Feststellung fehlt (Entlassungsurkunde), besteht das ursprüngliche Mandat fort.
§ 48 Die Berufung von Listennachfolgern
Die Vorschrift entfällt. Begründung: Mit dem Wegfall der zweiten Stimme wird die Berufung von Listennachfolgern gegenstandslos.
Neunter Abschnitt: Sonstige Bestimmungen
§ 49 Die Anfechtung der Wahl
Die Vorschrift entfällt. § 49 wird aufgehoben. Im Gegenzug wird das Wahlprüfungsgesetz als Zehnter Abschnitt beginnend mit § 56 in das Bundeswahlgesetz eingegliedert.
§ 50 bis § 55 Wahlkosten, Bundeswahlordnung und Inkrafttreten
Die Vorschriften bleiben unverändert.
Teil C: Das WahlPrüfG wird erneuert
Die Wahlprüfung ist eine Verfassungsnorm. Sie wurde 1949 im Grundgesetz zu einem zweistufigen Verfahren ausgestaltet, der Bundestag zur Eingangsinstanz erklärt und letztinstanzlich dem Bundesverfassungsgericht unterworfen. Vgl Art. 41 GG. Dieser schwerfällige und zweitaufwendige Instanzenzug hat sich in der Praxis vor allem auch deshalb nicht bewährt, weil der Bundestag damit zum Richter in eigener Sache gemacht wurde. Es verwundert daher nicht, dass er die gegen ihn gerichteten Wahleinsprüche regelmäßig vertagt und verschleppt und am Ende als unbegründet abtut oder sogar für unzulässig erklärt. Das ist als Bundestags-Drucksache lückenlos dokumentiert und bedarf keiner weiteren Beweise. Nicht erst seit 1949, schon seit Domitius Ulpian gilt der Satz: „nemo judex in sua causa“. – Niemand kann sein eigener Richter sein. Es empfiehlt sich daher, die verfassungsrechtlich hochproblematische Vorstufe des Verfahrens abzuschaffen, die Wahlprüfung wesentlich zu vereinfachen und dadurch zu beschleunigen, dass der gesetzliche Richter in erster Instanz sofort und endgültig entscheidet.
Gegen Fehl-Entscheidungen des Deutschen Bundestages ist nach Art. 41 Abs. 2 GG letztinstanzlich die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig. Immerhin! Doch lt. § 24 BVerfGG dürfen Wahlprüfungs-Beschwerden von den Verfassungsrichtern, ohne weitere Begründung, einstimmig „a limine“, zurückgewiesen werden. Und genau das tut Gericht in der weitaus überwiegenden Zahl der Streitfälle, schon um sich des zunehmenden Andrangs an Verfassungsbeschwerden zu erwehren. Als abschreckende Beispiele lassen sich die Aktenzeichen nennen: 2BvR 842/23 (Bürgerklage: fehlerhaftes Bundeswahlgesetz/2023); 2 BvC 3/24 (zehnfache Mandatsanmaßung: Wagenknecht/-BSW); 2 BvC 4/24 (fehlerhafte Nachwahl/Berlin); 2 BvC 5/24 (Leerstand im Wahlkreis Passau); 2 BvC 10/24 (Leerstand im Wahlkreis Erlangen); 2 BvR 1662/24 (Bürgerklage/falsche Zusammensetzung des Bundesrates); 2 BvC 1/25 (Mandatsanmaßung/Sekmen); 2 BvR 432/25 (Bürgerklage/Wegfall d. Prozessgrundlage); 2 BvC 5/25 (EU-Wahl ohne Direktmandat); 2 BvC 10/25 (Mandatsanmaßung: Wissing); und 2 BvR 496/25 (Bürgerklage: fehlerhafte Neuwahl/2025). Das Oberste Gericht kann nach geltendem Verfahrensrecht urteilen, wenn es das will, aber auch nicht urteilen, wenn es das nicht will. Damit wird das Institut der Wahlprüfung entkernt und entwertet. Das Grundrecht auf Wahlprüfung verliert seine verfassungsrechtliche Kraft. Dieser Missstand muss unbedingt beseitigt werden.
Die Wahlprüfung muss also nicht nur aus den Händen des Bundestages befreit werden, weil dieser nicht Richter in eigener Sache sein kann. Sie muss nach dem Prinzip der Subsidiarität auch föderalisiert, d.h. aus der Hand des Bundesverfassungsgerichts in die Hände der 16 obersten Gerichte in den Ländern zu verlegen werden. Landesverfassungsgerichte sind ebenso unabhängig wie das Bundesverfassungsgericht. Wird die hohe Zahl der Streitfälle auf die 16 Länder verteilt, sinken die Fallzahlen, die pro Gericht zu erledigen sind. Durch diese Arbeitsteilung kommt man viel schneller zur Entscheidung als bisher. Der verbreitete Missbrauch der verspäteten Erledigung von Streitsachen, z. T. sogar erst nach Fortfall der Prozessgrundlage durch das Ende der Legislaturperiode gehört dann der Vergangenheit an.
Sicherzustellen ist natürlich, dass auch die Landesverfassungsgerichte nicht mit querulatorischen Wahlprüfungs-Beschwerden überrannt werden, die es ja auch gibt. Dies ließe sich z. B. dadurch erreichen, dass für die Wahlprüfung – weniger als früher – vielleicht nur 25 Stützunterschriften beizubringen sind.
1. Konkurrierende Gesetzgebung im Grundgesetz
Die Föderalisierung der Wahlprüfung setzt voraus, dass Art. 41 GG mit verfassungsändernder Mehrheit an die Anforderungen des Art. 20 Abs. 1 GG angepasst wird, der die Eigenständigkeit der Länder garantiert. Die bloße Verbesserung der Rechtssystematik durch Eingliederung der Wahlprüfung in das Bundeswahlgesetz wäre für sich alleine genommen, auch ohne Verfassungsänderung, d.h. ohne Regionalisierung des Rechtsweges, bereits ein naheliegender Schritt. Zu einer Korrektur des Art. 41 GG bedarf es der verfassungsändernden Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Natürlich ist eine verfassungsändernde Mehrheit nur zu erreichen, wenn das angestrebte Regelwerk von politischer Parteinahme frei ist. Davon konnte bisher keine Rede sein.
Der Art. 41 GG wird neu gefasst:
Die Wahlprüfung ist Sache der Verfassungsgerichte in den jeweiligen Bundesländern. Sie entscheiden auch, ob ein Abgeordneter des Bundestages die Mitgliedschaft nachträglich verloren hat. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.“
Die Abgeordneten des Bundestages werden länderweise gewählt. Vgl. dazu oben § 2 BWahlG. Die Föderalisierung der Wahlprüfung entspricht dem Subsidiaritätsprinzip, wie es in Art. 20 Abs. (1) GG verankert wurde.
Die Verfahrensänderung macht den Weg zu einer behutsamen Erneuerung des herkömmlichen WahlprüfG frei.
2. Eingliederung in das BWahlG
Zehnter Abschnitt: Die Wahlprüfung
Das Wahlprüfungsgesetz wird als 10. Abschnitt in das Wahlgesetz des Bundes eingegliedert. § 1 WahlPrüfG a.F. wird zu § 56 BWahlG n.F. und erhält den nachfolgenden Wortlaut:
§ 56 BWahlG: Zuständigkeit
„(1) Über die Gültigkeit der Wahl zum Deutschen Bundestag entscheiden die Verfassungsrichter in den Bundesländern.“
Die Wahl der Abgeordneten des Bundestages wird in Wahlkreisen durchgeführt, kann nur in Wahlkreisen angefochten und auch nur in Wahlkreisen wiederholt werden. Die Regionalisierung der Wahlprüfung entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und entlastet das Bundesverfassungsgericht.
§ 57 BWahlG – Wahlbeanstandung
Die Vorschriften des § 2 WahlPrüfG (a.F.) werden angepasst: Abs. (1) erhält einen Zusatz.
Zusatz: „(1) Der Einspruch kann sich nur auf einen bestimmten Wahlkreis beziehen und muss mandatsrelevant sein.“
Abs. (2) bleibt unverändert; Abs. 5 ebenso. In Abs. 3 und Abs. 4 wird das Wort„Bundestag“ durch die Worte „Verfassungsgericht des Bundeslandes“ ersetzt. Abs. 6 wird erweitert:
„(6) Das Gericht kann die Nicht-Befassung mit einem Wahleinspruch beschließen, wenn er grobe Formfehler aufweist. Das Verfahren kann im überwiegenden öffentlichen Interesse aufgenommen oder fortgesetzt werden. Das gilt auch wenn der Einspruch zurückgenommen wird.“
Die Wahl kann nur durch Einspruch angefochten werden, der sich auf einen bestimmten Wahlkreis bezieht. Der neue Wortlaut in Abs. (6) trägt dem Systemwechsel von zweistufigen zum einstufigen Rechtsweg Rechnung. Durch die Einschränkung auf grobe Formfehler wird die verfassungswidrige Praxis der Nicht-Befassung (A-Limine-Abweisung) mit Wahleinsprüchen wirksam reguliert.
§ 59 BWahlG – Stellungnahme des Bundestages
Die Vorschriften in § 3 WahlPrüfG a.F. werden neu gefasst.
„Die Verfassungsgerichte der Länder holen mit einer Frist von 30 Tagen eine gemeinsame Stellungname des Bundestages zu allen im Lande anhängigen Wahleinsprüchen ein. Das Landesverfassungsgericht entscheidet nach Ablauf der Frist unverzüglich und endgültig. Es kann von einer mündlichen Verhandlung absehen. Eine vorläufige Entscheidung findet nicht statt.“
Mit dieser tiefgreifenden Beschleunigung des Verfahrens soll der offenkundige Missstand ausgeschlossen werden, dass Wahleinsprüche erst zum Ende der Legislaturperiode erledigt werden oder die Entscheidung getroffen wird, wenn der Prozessgegenstand schon entfallen ist. Entscheidung und Begründung können (schon jetzt) getrennt voneinander ergehen, wenn das angezeigt ist.
Die Vorschriften von §§ 6 bis 11 WahlPrüfG a.F. werden gegenstandslos und fallen weg.
§ 60 – Das Gesetz der Landesverfassungsgerichte (LVerfGG)
Die Vorschrift § 9 WahlPrüfG a.F. (Anwendung des BVerfGG) wird neu gefasst.
„§ 60 Auf das gesamte Verfahren ist das jeweilige Landesverfassungsgerichts-Gesetz (LVerfGG) anzuwenden.“
Die angepasste Vorschrift entspricht der umgestellten Norm von § 1 Abs. 2 WahlPrüfG (a.F.).
§ 61 Die Richtervorlage
Die Vorschrift des § 12 WahlPrüfG a.F. wird neu gefasst:
„§ 61 Die Entscheidung wird veröffentlich, den Einspruchsführern zugestellt und die sich ergeben Folgerungen, den Ländern auferlegt. Hält das Landesverfassungsgericht einen Wahleinspruch bundesweit für relevant, gilt die Richtervorlage nach Art. 100 Grundgesetz.“
Die Entscheidungen der Verfassungsgerichte in den Ländern sind endgültig. Die Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG bleibt unberührt.
§ 13 WahlprüfG a.F. entfällt. § 14 WahlPrüfG a.F. (Wählbarkeit eines Abgeordneten) und § 15 WahlPrüfG a.F. (nachträglicher Verlust des Mandats) bleiben unverändert und werden zu § 62 BWahlG. §§ 16 bis 18 WahlPrüfG a.F. entfallen; §§ 19 und 21 WahlprüfG a.F. bleiben ebenfalls unverändert und werden zu § 63 BWahlG. Auch § 20 WahlprüfG a.F. entfällt.
3. Klarstellung im BVerfGG
Die Vorschrift des § 24 Bundesverfassungsgerichts-Gesetz (BVerfGG) wird durch einen Satz 3 ergänzt wie folgt:
„Davon ausgenommen sind Verfassungsbeschwerden nach 41 Abs. 2 GG oder nach Art. 94 Abs. 1 Ziff. 4a GG, soweit diese sich auf eine Verletzung von Rechten aus Art. 38 GG bzw. Art. 28 GG berufen.“
Begründung: Die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden nach Art. 41 Abs. 2 GG wie nach Art. 94 Abs. 1 Ziff. Bezug auf Art. 38 GG bzw. 28 GG hat Verfassungsrang. Das schließt den richterlichen Beschluss auf Nichtbefassung mit Beschwerden über eine Fehl-Entscheidung des Bundestages zur Wahlprüfung aus. Die Zurückweisung einer Beschwerde, die im Zusammenhang mit der Wahlprüfung steht, bedarf der richterlichen Begründung.
Im Freistaat Bayern ist die Nichtbefassung des Verfassungsgerichts (BayVGH) mit Verfassungsbeschwerden über Vorentscheidungen des Landtags zur Wahl nicht hat anzutreffen. (Vgl. v. 11. Juni 2025, AktenZ: Vf. 24-III-24).
Teil D: Das Elend der sog. „Verhältniswahl“ – die Koalition
Die Direktwahl in überschaubaren Wahlkreisen wird in den Urkunden des Vereinigten Königreichs von Großbritannien schon seit 1429 erwähnt. Und 2011 haben die Briten ihr althergebrachte Verfahren in einer Volksabstimmung verteidigt und den Wechsel zur sog „Verhältniswahl“ samt ihren vermeintlichen Segnungen mit überraschend hoher Wahlbeteiligung mehrheitlich abgelehnt: Überhangmandate? Gibt es nicht. Ausgleichmandate? Undenkbar. Die „Fünf-Prozent-Hürde“? Völlig unbekannt. Und 23 gewählte Abgeordnete, die nicht ins Unterhaus einziehen? Für solche Kindereien fehlt den Briten das infantile Gemüt.
Zwei-Parteien-System? Tatsächlich gibt es im Unterhaus mehr als doppelt so viele Parteien als im Deutschen Bundestag. Und der Brandgeruch der „Weimarer Verhältnisse“ verbreitet sich viel stärker über Berlin als über London. Dort stellt seit 2024 Labour mehr als die Hälfte aller Abgeordneten und braucht deshalb keinen Koalitionspartner. Die weit abgeschlagen SPD glaubt dagegen, dass sie in Deutschland mit der “Verhältniswahl“ besser fahren würde, wird trotz ihrer sehr viel schlechten Erfahrungen mit der „Verhältniswahl“ nicht eines Besseren belehren. Über die Abgeordneten wird in den Wahlkreisen einzeln abgestimmt.
Wer in seinem Heimat-Wahlkreis die meisten Wähler hinter sich versammeln kann, zieht als „Member of Parliament“ in das Unterhaus ein, weil ihm niemand „das Wassert reichen kann“. Niemand im Vereinigten Königreich kommt auch nur auf die Idee, die Demokratie auf den Kopf zu stellen, statt der Stimmen für den Favoriten die vermeintlichen „Gegenstimmen“ zu zählen, eine Stichwahl zu verlangen und dem Gewinner im Wahlkreis, den Sieg zu entreißen. Doch Gegenstimmen gibt es überhaupt nicht. Wer eine „Nein“-Stimme abgibt, macht seinen Stimmzettel ungültig.
Benjamin Disraeli, Premier unter Königin Victoria, brachte es mit stolzen Worten zum Ausdruck: „Dieses Land kennt keine Koalitionen.“ Freilich hat man inzwischen auch in Westminster gelernt, was ein „hung parliament“ ist. Es kommt auch im Vereinigten Königreich vor, dass man mit wechselnden Mehrheiten regieren muss, ist aber vergleichsweise selten. Und das ist der springen Punkt: Koalitionen sind im Deutschen Bundestag nicht die Ausnahme, sie sind die Regel. Und das ist der Fluch der Verhältniswahl!
Niemand kann physisch zweimal im Parlament sitzen oder sich zweimal an der parlamentarischen Willensbildung beteiligen. Halten wir es also fest: Wer zweimal wählt, wählt einmal zu viel! Überhänge sind Kinder der Doppelwahl. Würde man nur mit einer Stimme wählen, wären der ganze Spuk sofort verschwunden. Die Abschaffung der zweiten Stimme wird von der herrschenden Meinung jedoch mit Entrüstung abgelehnt, ja sogar als Provokation empfunden. Im schroffen Gegensatz dazu folgt die vorliegende Novelle unbeirrt und standhaft der Maxime: „One man one vote!“ Pro Kopf eine Stimme! Pro Wahlkreis ein Mandat! Der vorliegende Entwurf versteht sich als „Tischvorlage“ und ist für weitere Verbesserungen offen.
Ein Zurück zu 23 Überhangmandaten und zu noch mehr unsinnigen Gesetzgebungsnormen, das steht natürlich nicht auf der Reform-Agenda. Der vollständige Systemwechsel ist unerlässlich und kann auch nicht „ad calendas graecas“ vertagt werden. Man kann nicht ewig „halbe Sachen machen“ und von einer Reform in die nächste stolpern. Das BWahlG ist eine „ewige Baustelle“. 21 Legislaturperioden gab es 26 Wahlrechts-Änderungsgesetze bzw. -änderungsversuche. Das muss endlich ein Ende haben.
Das Wahlrecht ist entweder ein salomonische Recht. Oder es überhaupt kein Recht, sondern der gewohnte Gesetzgebungsschrott der auf ihren eigenen Vorteil bedachten Parlamentarier. „Prüfet alles und behaltet das Beste“, schreibt der Aposte.
München, 4. September 2025 / MCH
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