Leserbrief: Süddeutsche Zeitung

„An Aufträge nicht gebunden“

Zu Detlef Esslinger: „Wähler und Gewählte / Der Auftrag“, Leitartikel in der SZ v. 30.12.2017

In seinem Leitartikel hinterfragt Detlef Esslinger das Modewort: „Wählerauftrag“. Doch sein Kommentar geht an der Sache vorbei. Denn einen Wählerauftrag gibt es nicht und kann es nicht geben. Unsere Verfassung erteilt dem imperativen Mandat eine klare Ab­sage. Die Abgeordneten sind nach Art. 38, Absatz 1, Satz 2, Grundgesetz „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“.

Man darf von einem Leitartikel-Autor der SZ erwarten, dass er das Grundgesetz in seinen Grundzügen kennt. Die Volksvertretung ist nicht beauftragt, wohl aber befugt, in freier Entscheidung, nach Art. 40 GG zuerst den Bundestagspräsidenten, danach lt. Art. 63 GG den Bundeskanzler zu wählen und nach § 42 Abs. 2 GG an der sonstigen Willensbildung des Parlaments gemeinschaftlich mitzuwirken.

Hilfreich wäre es gewesen, wenn Detlef Esslinger darauf hingewiesen hätte, dass es bei der Kanzlerwahl keine erkennbare Frist gibt. Gäbe es eine solche Frist, würde die Koali­tionsbildung ohne das übliche Tam-Tam über die Bühne gehen. Würde man die Diäten an die Abgeordneten erst nach der Kanzlerwahl auszahlen, könnte man auf eine Frist verzichten.

Noch besser wäre es, wenn wir nicht nur einen Teil, nämlich 299, sondern alle 598 Ab­geordneten in überschaubaren Wahlkreisen direkt wählen würden. Das Grundgesetz schreibt in Art. 38 GG die unmittelbare Wahl der Abgeordneten ausdrücklich vor. Die Wahl der Volksvertreter ist also eine Personenwahl. Würde man sich daran halten, und auf den amtlichen Stimmzetteln nicht eine Partei, sondern eine Person kennzeichnen, wie es das Grundgesetz verlangt, wäre auch der ganze Spuk von den Überhang- und Ausgleichsmandaten auf einen Schlag verschwunden.

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