Wechsel zur Direktwahl und dann Neuwahlen

Offener Brief an Herrn Peer Steinbrück, MdB, SPD-Fraktion, Deutscher Bundestag

Große Demokratie, statt große Koalition!

Sehr geehrter Herr Steinbrück,

ich habe Ihr wunderschönes Interview gelesen, das vor kurzem in der Zeitung stand und bin begeistert. Um so mehr stört es mich, dass die Rolle der Opposition in der Demokratie von der SPD so gering geschätzt wird. Die Regierung regiert, die Opposition kontrolliert. Das sind die Spielregeln der Volksherrschaft. Große Koalition heißt kleine Opposition. Und das ist „großer Mist“.

Sie persönlich trifft an der Misere keine Schuld. Sie haben immer gesagt, dass Sie kein Ministeramt in einer großen Koalition anstreben. Warum haben Sie trotzdem bei der Wahl so schlecht abgeschnitten? Ganz einfach: In einem politischen System mit Direktwahl wäre die SPD nicht mit 22 plus x Prozent der Stimmen, sondern mit vielleicht 32 plus x Prozent oder sogar 42 plus x Prozent – der Mandate! – aus dem Rennen gegangen. Peer Steinbrück wäre ein machtvoller Oppositionsführer, statt sich als Kandidat einer verzwergten Volkspartei lächerlich zu machen, die bei einem Fünftel der Stimmen herumkrebst und diese verheerende Niederlage in Presse und Öffentlichkeit als „Wahlsieg“ verkaufen muss.

Weil wir kein Mehrheiten-bildendes- sondern ein Koalitionen-bildendes-Wahlrecht haben, landet die SPD im Abseits der Politik und setzt ihre Rolle als Volkspartei aufs Spiel. Gäbe es links von der SPD nicht die Linken und zusätzlich auch noch die Grünen, die beide nur sehr wenige Wahlkreise direkt gewinnen können, stünde die SPD als glaubwürdige Alternative zur Regierung da, ohne sich auf die Krücken einer ungewissen Ampel-Koalition stützen zu müssen. Und wenn es einen Wechsel gibt, könnte die SPD alleine die Regierung stellen.

Das System der Direktwahl stärkt die Regierung, bündelt aber auch die Opposition. Dieses Verfahren kommt ohne die undemokratische 5-Prozent-Hürde aus. Die relative Mehrheit im Wahlkreis ist leichter zu erreichen als die absolute. Der Minderheitenschutz ist desahalb in der Direktwahl nicht kleiner, sondern größer als in der Verhältniswahl. Und wenn man mit der relativen Mehrheit der Stimmen die absolute Mehrheit der Mandate gewinnen kann, um so eine Regierung zu bilden, dann kann man diese Regierung auf dem gleichen Wege wieder ablösen. Es herrscht also Waffengleichheit zwischen Regierung und Opposition.

Vergessen wird von fast allen Genossen, die sich vor der Direktwahl fürchten, dass man in 299 Wahlkreisen, die es im  bundesdeutschen Wahlgebiet gibt, natürlich nicht 598 Abgeordneten in das Parlament wählen kann. Man muss also die 299 Wahlkreise halbieren und so ihre Zahl verdoppeln, um die 598 Plätze im Parlament überhaupt füllen zu können. Jeder zweite Wahlkreis wäre dann ein „weißer Fleck“ auf der Landkarte des gesamten Stimmgebietes, wo noch nie jemand kandidiert hat und niemand vorhersagen könnte, wer dort gewinnt. Wenn man zusätzlich in den Wahlkreisen, in denen die absolute Mehrheit verfehlt wurde, zur Stichwahl schreitet, dann wäre in zwei Dritteln der Wahlkreise ein zweiter Urnengang erforderlich, bei dem „die Karten neu gemischt werden“. Warum traut sich die SPD nicht zu, diese Herausforderung anzunehmen?

Ich rufe Ihnen zu: Tun Sie Ihrer Partei den Gefallen, verlangen Sie den sofortigen Ausstieg aus der Großen Koalition! Einigen Sie sich statt dessen – ohne vorangehende Kanzlerwahl! – mit den beiden Unionsparteien darauf, von der Verhältniswahl mit Landeslisten zur Direktwahl mit Stichentscheid zu wechseln. Verabschieden Sie  zusammen mit der Union ein neues Wahlgesetz und gehen Sie anschließend in die Neuwahl!

Sie hätten sich damit einen Platz in der Geschichte der Bundesrepublik gesichert, den Ihnen niemand mehr streitig machen könnte. Gehen Sie in die zweite Runde! Unter einem neuen Wahlgesetz mit 598 Wahlkreisen können Sie – mit etwas Glück – die Wahl sogar gewinnen. Das ist doch das Schöne am Fußball und an Wahlen, dass niemand im Voraus weiß, wer das Feld als Sieger verlässt. Und wenn Sie nicht gewinnen, dann gehen Sie als starker Oppositionsführer in das Parlament und warten bis die Stunde des Wechsels gekommen ist. – Das ist große Demokratie!

Die Weimarer Republik ist an der Verhältniswahl zugrunde gegangen. Franz Josef Strauß wollte die Direktwahl, hat sie sogar zusammen mit anderen im Bundestag beantragt. Herbert Wehner wollte die Direktwahl. Ihr Freund, Helmut Schmidt, will die Direktwahl. Ein Wechsel zur Direktwahl kann im Bundestag aber nur von SPD und Union gemeinsam beschlossen werden. Jetzt ist doch die Stunde gekommen, jetzt ist doch die Gelegenheit da, diesen überfälligen Schritt zu tun!

Die SPD ist doch die wahre Alternative für Deuschland. Gewiss, das ist kein kleiner Schritt für Ihre Partei. Doch das ist die Wiedergeburt der SPD als Volkspartei. Und das ist zugleich auch ein großer Schritt für Deutschland. Ich traue Ihnen zu, dass Sie das schaffen

Mit den besten Wünschen
Dr. Manfred C. Hettlage

Nibelungenstraße 22; 80639 München; eMail <mhettlage@yahoo.de>

 

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